Einkaufen können wir per Smartphone alles. Bei Dienstleistungen könnte es auch bald so weit sein. Vom Fahrdienst bis zum Wertpapierhandel, alles wandert in Apps. Wenn es Start-ups mithilfe neuartiger und per App organisierter Geschäftsmodelle gelingt, Dienste komfortabler und günstiger anzubieten, können sie ganze Branchen ins Wanken bringen. Stehen herkömmliche Dienstleister deshalb vor dem Aus?
Von Tim Nagy
Schon seit fast 10 Jahren vermittelt Uber Fahrdienste unkompliziert per App. Mit wenigen Klicks ist anstelle eines Taxis ein privater Fahrer samt eigenem Auto bestellt, der uns an den gewünschten Zielort bringt. Bezahlt wird bargeldlos und spielend leicht über die App. Nur noch eine E-Mail erinnert daran, dass hier tatsächlich ein Kaufvertrag abgeschlossen wurde. Das Geschäftsmodell mit den vergleichsweise günstigen Preisen sorgte zwar vielerorts für einen Aufschrei der gewerblichen Taxifahrer und führte auch zum Verbot in Deutschland, doch Uber war dennoch nur der Anfang eines Prozesses, der inzwischen sogar Uberisierung genannt wird.
Denn unser Konsumverhalten und die Art, wie wir miteinander in Kontakt treten, haben sich unter der Einflussnahme der Digitalisierung bereits spürbar verändert. Während Produkte zunehmend online gekauft werden, tauchen auch immer mehr Dienstleistungen mit eigener App auf. Da stellt sich die Frage: Werden Dienstleistungen in naher Zukunft nur noch per App angeboten? Bevor wir all das klären, werfen wir einen Blick auf die Anfänge dieser Bewegung.
Das Disruptive an Uber ist nicht der Fahrdienst selbst
Trotz weltweiter Proteste, Regulierungen und Verbote hat Uber es in vielen Städten geschafft, das Angebot von Fahrdiensten auf den Kopf zu stellen. Der disruptive Charakter des Geschäftsmodells steht daher immer wieder zur Diskussion.
Der Begriff „Disruptive Innovationen“ wurde von Clayton Christensen in der Mitte der 1990er Jahre geprägt und bezieht sich auf den Prozess, bei dem meist junge Unternehmen mit einer Innovation – nach einem kurzen Nischendasein – auf einmal so rasant wachsen, dass sie etablierte Unternehmen vom Markt drängen.
Da mithilfe eines innovativen Produkts oder einer neuartigen Dienstleistung zunächst nur ein kleiner Markt erschlossen oder eine Nische bedient wird, nehmen Großunternehmen mit gefestigter Markposition diese oft nicht als ernstzunehmende Konkurrenz wahr. Wächst dann aufgrund der niedrigeren Preise oder der unkomplizierten Handhabung das Kaufinteresse der Kunden, kann das Wachstum oft nicht mehr aufgehalten werden. Als Folge dessen werden die Produkte der etablierten Unternehmen durch ihre innovativen Mitbewerber ersetzt oder verdrängt.
Uber zählt mit einem Jahresumsatz von etwa 14,15 Milliarden US-Dollar zweifelsohne zu den großen Erfolgen der im Silicon Valley ansässigen Technologieunternehmen. Doch Uber ist kein herkömmliches Taxi-Unternehmen mit eigener Fahrzeugflotte, sondern lediglich ein Online-Vermittlungsdienstleister im Bereich der Personenbeförderung. Die Fahrer sind keine Angestellten, sondern werden von der Uber-App mit den Kunden zusammengebracht – und verdienen pro Fahrt. Der Einfluss auf die Taxibranche ist daher bemerkenswert und wurde von den herkömmlichen Taxi-Unternehmen nicht rechtzeitig erkannt.
Die eigentliche Dienstleistung von Uber stellt allerdings keine Disruption dar, sondern ist nur eine Verbesserung des bestehenden Taxiservice. Fahrdienste gab es in Form von Taxis schließlich schon lange. Doch Uber nutzte die neuen Möglichkeiten des mobilen Internets, um eine praktischere und günstigere Alternative für seine Nutzer anzubieten. Die privaten Fahrer hingegen freuten sich über eine weitere Nebenverdienstquelle mit niedriger Qualifizierungshürde, da quasi jede Person mit gültiger Fahrerlaubnis und eigenem Fahrzeug Uber-Fahrer werden kann.
Allerdings sind die Folgen des Geschäftsmodells „Service per App“, das in erster Linie auch durch Uber geprägt wurde, durchaus disruptiv und führen in manch anderen Branchen ebenfalls zu heftigen Umbrüchen.
Das Uber-Prinzip lässt sich übertragen
Uber hat einen beträchtlichen Teil dazu beigetragen, das sich einerseits das Konsumverhalten der Gesellschaft durch die praktische Digitalisierung verändern und sich andererseits das Plattform-Geschäftsmodell beziehungsweise die Peer-to-Peer- oder auch Sharing-Economy ausbreiten konnte.
Grundsätzlich kann das Geschäftsmodell von App-basierten Online-Vermittlungsdiensten auf alle Bereiche der Gesellschaft ausgebreitet werden. Die Skalierbarkeit entscheidet dabei über den Erfolg der einzelnen Unternehmen. Aufgrund des im Vergleich zur produzierenden Industrie sehr geringen Startkapitals, das für die Gründung eines Online-Unternehmens nötigt ist, kann die finanzielle Hürde anfangs oft ohne Aufnahme von Investorengeldern überwunden werden. Da keine Fabrikgelände oder eigene Güter benötigt werden, lässt sich das Geschäftsmodell in den meisten Fällen beliebig und relativ einfach skalieren.
Dem Wachstum der Start-ups im Silicon Valley steht finanziell nun ebenfalls nichts mehr im Wege, da der Erfolg der Digitalunternehmen viele Risikokapitalgeber anzieht, die bereit sind in innovative Produkte und Dienstleistungen zu investieren. In Deutschland und auch im Rest von Europa ist es deutlich schwieriger Finanzierungen zu erhalten, doch auch hier profitieren Jungunternehmer vom Geschäftsmodell, das mit vergleichsweise niedrigem Startkapital auskommt.
Von der Essenslieferung bis zum freien Parkplatz
Kommen wir damit zurück auf die Eingangsfrage. Ob in naher Zukunft wirklich alle Dienstleistungen per App angeboten werden, ist schwer zu sagen. Angesichts des Wachstums der Internetkonzerne und des Trends zu Cloud-Lösungen, E-Commerce und On-Demand erscheint dies aber wahrscheinlich. Nicht zuletzt gibt es den Grundsatz: Alles war digitalisiert werden kann, wird früher oder später auch digitalisiert. Vielleicht hilft uns bei der Einschätzung der Blick auf Branchen, die bereits Produkte und Dienstleistungen per mobiler App anbieten.
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Ferienwohnungen: AirBnB ist die bekannteste und größte Plattform für das Vermieten und Buchen von privaten Unterkünften. Das Geschäftsmodell von AirBnB unterscheidet sich dabei kaum von dem von Uber. Private Wohnraumbesitzer können sich im Online-Portal registrieren und ihren Wohnraum zur Zwischenvermietung anbieten. Nutzer können dann die passende Unterkunft im Online-Portal oder über die App buchen. Auch hier benötigen Anbieter keine kaufmännische Ausbildung, um ein gut funktionierendes Kleinunternehmen über das Smartphone laufen zu lassen. AirBnB gehört, wie Uber, zu den großen Erfolgsgeschichten des Silicon Valley und auch der beeindruckende Börsengang von AirBnB zeigt das Vertrauen der Anleger in die neuartigen Geschäftsmodelle.
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Essenslieferdienste wurden ebenfalls von Uber geprägt. In den USA liefern sich nicht nur Fahrdienste Preisschlachten, auch Essenslieferanten wie Uber Eats, Grubhub und DoorDash versuchen sich gegenseitig zu unterbieten. Der Trend, Lebensmittel oder Essen von Restaurants und Fastfoodketten über eine App zu bestellen, welches dann von privaten Fahrern an die Haustür geliefert wird, konnte sich bereits verfestigen. In Zukunft werden auch immer mehr Supermarktketten sich diesen Dienst zu Nutze machen, um ihre Kunden weiterhin zu erreichen.
Für die erfolgreiche Digitalisierung von Dienstleistungen braucht es aber nicht immer ein Sharing- oder Peer-to-Peer-Modell. Oft reicht es auch, dass die digitalen Angebote komfortabler, individueller oder schneller sind als ihre analogen Vorbilder. Auch hier exemplarisch ein paar Beispiele.
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Streaming-Dienste sind mittlerweile mehr als nur ein Konkurrent zu den herkömmlichen TV- und Radio-Sendern. Über mobile Apps können von überall aus Serien, Filme und Musik auf dem Smartphone oder Tablett konsumiert werden. Die zahlungswilligen Kunden ziehen dabei die freie Auswahlmöglichkeit eines breiten Angebots ohne Werbeunterbrechung dem festgelegten Programm der Sendeanbieter vor. Streaming spielt eine tragende Rolle in der Zukunft der Unterhaltungsmedien und die Eigenproduktionen der Streaming-Dienste konkurrieren bereits jetzt mit der Filmindustrie von Hollywood. Oder Hollywood produziert gleich für Netflix und Co.
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Trading-Apps: Die Digitalisierung macht selbst vor Brachen mit starker Regulierung nicht Halt. Die sogenannten Neo-Broker sind Trading-Apps für den Handel mit Aktien, Derivaten und Kryptowährungen. US-Unternehmen wie Robinhood stellen mit dem gebührenfreien Handel über die Trading-Apps eine ernstzunehmende Konkurrenz zu den herkömmlichen Brokern der Banken dar. Mit diesen aggressiven Preisstrategien können zwar viele Kunden überzeugt werden, doch für den Erfolg des Unternehmens müssen die Einnahmequellen ausgebreitet werden. Beispielsweise kann dies durch die Vergabe von Kleinkrediten, eigene Kryptowährungen oder die aktive Vermögungsverwaltung geschehen, welche zentral über eine einzige Applikation zugänglich sind.
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Parkgebühren-Apps sind digitale Erweiterungen der Parkautomaten. Anstelle eines Parkscheins am Automaten, können die Parkgebühren über die jeweilige App bargeldlos bezahlt werden. Doch das Angebot der Park-Apps geht bereits weit über das Bezahlen von Gebühren hinaus. Viele Anbieter navigieren ihre Kunden zu den Parkplätzen und helfen in Großstädten bei der Suche nach freien Parkmöglichkeiten. In Zukunft könnten Parkautomaten komplett durch Apps ersetzt werden und somit ein weiteres Argument gegen Münzgeld liefern.
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Die Beispiele verdeutlichen, dass keine Branche vor dieser Bewegung gefeit ist. Es lassen sich allerdings zwei Trends erkennen, nämlich die zunehmende „Anonymisierung“ von Dienstleistungen und die Entstehung von Super-Apps.
Menschen lassen sich gerne persönlich beraten und verspüren ein Gefühl von Sicherheit, wenn sie dabei ihrem Gegenüber in die Augen schauen können. Viele Apps hingegen ersetzen soziale Kontakte zu anderen Menschen durch ein paar Klicks. Diese neue Art von Geschäftsbeziehung muss besonders von den älteren Bevölkerungsschichten erst angenommen werden. Doch da viele Menschen in Zeiten der Corona-Pandemie diese Entwicklung sogar zu schätzen gelernt haben, könnte COVID-19 als Katalysator bei der Adaption dienen.
Aber zumindest Uber und AirBnB lassen hoffen, dass die menschliche Komponente nicht gänzlich der Digitalisierung zum Opfer fällt. Denn gerade die persönlichen Gespräche während einer Uber-Fahrt oder ein Gastgeber, der wertvolle Tipps für eine Entdeckungstour liefert und einen Einblick in die lokal vorherrschende Kultur gewährt, bewahren einen charmanten Charakter in dem sonst so anonymisierten Geschäftsmodell.
Im Alltag begegnen uns zahlreiche mobile Applikationen. Möchte man sich beispielsweise mit Freunden zum Essen verabreden, dafür Restaurants vergleichen, Car-Sharing oder Fahrdienste buchen, auf dem Weg dorthin Einkäufe erledigen oder Streaming-Dienste nutzen und am Ende des Abends bargeldlos bezahlen, verwenden viele Smartphone-Nutzer gut ein halbes Dutzend Apps. Das könnte sich in den kommenden Jahren ändern.
Super-Apps bieten hierfür die Lösung, da sie den Funktionsumfang von Social-Media-Plattformen, Liefer- und Vermittlungsdiensten, E-Commerce und Bezahlsystemen in einer einzigen App vereinen. Seit gut sechs Jahren zeichnet sich der Trend in China und Südostasien ab. Technologiekonzerne wie Tencent haben es geschafft mit Apps wie WeChat eine ganze digitale Dienstleistungs- und Shoppingwelt zu bündeln. Super-Apps agieren auf dem Smartphone dabei fast schon wie übergestülpte Betriebssysteme, da die Nutzer für alle virtuellen Tätigkeiten nur noch eine einzige App verwenden.
Auch die westlichen Internetkonzerne möchten an diesen Erfolg anknüpfen. Google Maps folgt dabei den Fußstapfen von WeChat und entwickelt sich stetig weiter in Richtung Buchungsplattform. Beispielsweise können Restaurantempfehlungen angezeigt, Tischreservierungen durchgeführt und Essenslieferungen bestellt sowie Touren für die Erkundung von Sehenswürdigkeiten gebucht werden. Facebook arbeitet an der Integration von WhatsApp in den Facebook-Messenger und entwickelt ein eigenes Bezahlsystem. Den Status der Super-App hat Facebook aber trotzdem noch nicht erreicht.
Wie beurteilt ihr die Entwicklung? Und welche digitalen Dienstleistungen haben euch in letzter Zeit besonders überrascht?
Titelbild: Getty Images