Reporter ohne Grenzen hat eine Anti-Zensur-Bücherei in Minecraft eröffnet

Das Videospiel Minecraft ist dafür bekannt, dass die Spieler darin imposante und kreative Welten erschaffen können. Nun hat die Organisation Reporter ohne Grenzen darin eine virtuelle Bibliothek gebaut. Die enthält Texte, die in einzelnen Ländern zensiert sind. Dadurch sollen sie nun trotzdem für viele Menschen lesbar werden.

Von Michael Förtsch

In zahlreichen Ländern rund um die Welt steht es schlecht um die Pressefreiheit. Es wird eingeschränkt, was und wie berichtet werden darf. Öffentliche und private Medien werden reguliert, Reporter und Redakteure unter Druck gesetzt oder sogar verhaftet und inhaftiert, wenn sie Skandale und Ungerechtigkeiten öffentlich machen. Erst vor kurzem kündigte der vietnamesische Blogger Bui Thanh Hieu an, nicht mehr weiter schreiben zu können. Er selbst lebt zwar in Deutschland, aber in seinem Heimatland werde seine Familie bedroht und eingeschüchtert. Die Organisation Reporter ohne Grenzen setzt sich seit Jahren für die freie Presse und gegen Zensurmaßnahmen ein. Dabei wird sie auch gerne kreativ – und setzt auf ungewöhnliche Kanäle.

Bereits vor zwei Jahren ließ die Organisation zensierte Texte in Pop-Songs verwandeln, um sie auf Streaming-Diensten wie Spotify, Deezer und Apple Music zu verbreiten. Denn während Nachrichtenportale in vielen Ländern scharf reguliert oder sogar geblockt werden, werden es diese Musikportale nicht. Das gleiche gilt meist ebenso für Videospiele – besonders jene, die optisch harmlos erscheinen. Wie Minecraft , das hinter seiner Klötzchenoptik jedoch einen mächtigen und vielfältigen Baukasten versteckt, der viel mehr ermöglicht als die meisten glauben. In Minecraft wurden von Spielern etwa Städte aus Serien wie Game of Thromes nachgebaut aber auch virtuelle Computer konstruiert, die tatsächlich funktionieren.

Daher hat Reporter ohne Grenzen gemeinsam mit den Minecraft -Experten von Blockworks und der Werbeagentur DDB, das auf zahlreichen Plattformen verfügbare Videospiel nun genutzt, um darin eine Bibliothek mit Texten zu eröffnen, die in verschiedenen Ländern zensiert werden. Die Uncensored Library ist als epochaler Prunkbau auf einer einsamen Insel gestaltet und von einem weitläufigem Garten umrundet. Inspiriert ist der Bau von Gemälden der legendären Bibliothek von Alexandria oder auch der New York Public Library. In der hohen Eingangshalle können sich Besucher über die Situation der Pressefreiheit in 180 Ländern informieren. Angeschlossen an die Halle sind fünf große Räume, die Ägypten, Mexiko, Russland, Saudi-Arabien und Vietnam gewidmet sind.

Die Bibliothek soll weiter wachsen

In der Uncensored Library sind in virtuellen Büchern unter anderem Artikel des ägyptischen Online-Magazins Mada Masr verfügbar. Die Seite ist seit Mai 2017 im eigenen Land gesperrt. Ende 2019 wurden zudem mehrere Redakteure des Magazins verhaftet. Ebenso lesbar sind in der Bibliothek mehrere Texte der seit sechs Jahren in Russland zensierten Nachrichtenplattform grani.ru und des mexikanischen Journalisten Javier Valdez, der für das Magazin Ríodoce vor allem über den Drogenkrieg berichtete und 2017 entführt und erschossen wurde. Auch Artikel des saudi-arabischen Journalisten Jamal Khashoggi sind einsehbar. Er war, nachdem er die Botschaft seines Landes in Istanbul betreten hatte, verschwunden. Erst nach Wochen räumte die Regierung der Monarchie ein, dass Khashoggi in der Botschaft ermordet wurde. Über die kommenden Monate sollen weitere Texte hinzukommen, die möglichst stets sowohl in einer englischen Übersetzung als auch in der Originalsprache verfügbar sein sollen.

„In vielen Ländern der Welt gibt es keinen freien Zugang zu Informationen. Webseiten werden blockiert, unabhängige Zeitungen konfisziert, die Presse vom Staat gelenkt“, sagt Christian Mihr von Reporter ohne Grenzen. „Junge Menschen wachsen auf, ohne sich eine eigene Meinung bilden zu können. Indem wir das weltweit populärste Computerspiel Minecraft als Medium nutzen, ermöglichen wir ihnen den Zugang zu unabhängigen Informationen.“

Die Uncensored Library kann auf der offiziellen Website als Karte für Minecraft heruntergeladen werden. Spieler können sie dann auf ihrem Rechner installieren und betreten, oder aber auch auf eigenen Servern laufen lassen und dadurch für andere zugänglich machen. Somit könnten Hunderte oder sogar Tausende virtuelle Instanzen der Bibliotheken auf Computern rund um die Welt entstehen. Das Netzwerk aus Minecraft -Servern ist dezentral organisiert und dadurch nur schwerlich blockierbar oder zensierbar.

2 „Gefällt mir“