Hatte ihn tatsächlich noch nicht gesehen, aber jetzt nachgeholt. Danke @b.eichstaedt für den Link.
Der Film ist dramaturgisch stark gemacht, spricht wichtige Kritikpunkte an, die in der Debatte über die Energiewende unbedingt berücksichtigt werden sollten. Insofern aus meiner Sicht ein sehr guter Reminder, dass Solar-, Wind- und Biomassekraftwerke nicht einfach so aus dem Nichts entstehen und nicht unhinterfragt bejubelt und gefördert werden sollten.
Trotzdem ist es eher ein aktivistischer als ein journalistischer Film. Wie das immer ist, wenn Michael Moore an Bord ist. In der Journalistenausbildung haben wir dann immer von Thesen-Rambos gesprochen. Du willst eine starke These transportieren? Um jeden Preis? Dann bleibt dir meist nichts anderes übrig, als jegliche Grautöne auszublenden, hin und wieder die ein oder andere Statistik zu deinen Gunsten zu interpretieren und ganz klar zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Das ist eindrucksvoll. Wird der Komplexität der Welt aber nicht gerecht. Ein weiteres Problem: Bei Michael Moore Produktionen besteht die Welt eigentlich immer nur aus den USA.
Aber ein paar Beispiele, wo aus meiner Sicht einfach nicht redlich gearbeitet wurde, sondern entweder schlampig oder eben bewusst schwarz/weiß, um die eigene harte These nicht zu untergraben: Der Film unterstellt, bei Biomasse würde es sich nur um Holz handeln, für das Wälder einfach knallhart gerodet werden. Das stimmt so nicht. Biomasse kann auch von Maisfeldern kommen oder von Tierausscheidungen. Insbesondere in Deutschland spielt die nicht nachhatlige Rodung von Wald, wenn ich die Informationen des – durchaus Bioenergie-kritischen – Umweltbundesamtes richtig lese, keine große Rolle. Doch die Statistik zu Deutschland wird im Film eingeblendet, nachdem wir minutenlang gesehen haben, wie amerikanische Wälder abgeholzt werden.
Noch ein Beispiel: Als es um Erdgas geht, wird eine Statistik herangezogen, die einfach nicht das belegt, was im Film suggeriert wird. Es geht darum, dass Gaskraftwerke als Ersatz für Kohlekraftwerke gebaut werden (was im Übrigen zumindest etwas besser ist). Und dann – um die Größe dieses Trends zu beleuchten – wird das mit einer Grafik der massiv gestiegenen Gasproduktion der USA untermauert. Die gestiegene GasPRODUKTION im Inland hat aber nicht zwingend etwas mit dem GasVERBRAUCH zu tun. Denn zufällig war zwischen 2010 und 2020 der unseelige Fracking-Boom, durch den die USA sich deutlich unabhängig von Importen machen konnten. Das heißt, vermutlich ist auch der Verbrauch gestiegen, wir erfahren im Film nur leider nicht wie stark. Denn es wird ja nur die steigende Produktion erwähnt, ohne die fallenden Importe zu nennen.
Noch ein – ziemlich dicker Punkt: Ich weiß nicht, ob irgendjemand behauptet, Solar- oder Windkraftwerke oder gar Elektroautos wären über ihre Lebensdauer hinweg CO2-neutral. Das sind sie natürlich nicht. Es werden viele Rohstoffe und viel Energie verbraucht, um sie herzustellen. Aber in Summe, das ergeben inzwischen viele Studien, sind sie deutlich klimafreundlicher als konventionelle Kraftwerke und Autos mit Verbrennungsmotor. Sie sind sicherlich alles andere als perfekt. Aber der Film stellt sie dar, als wären sie um kein Deut besser als die konventionellen Methoden.
Noch ein Punkt, der mir ständig auffiel: Der Film blendet aus, dass es Fortschritte geben kann. Natürlich werden Solar- und Windkraftwerke immer besser. Natürlich senken viele Industrien seit Jahren ihren Energieverbrauch. Selbst der Verkehrssektor. Die Zahl der Autos ist explodiert in den vergangenen Jahren, die CO2-Emissionen nur wenig gestiegen, weil die Autos – trotz aller Manipulationen und falscher Versprechen – sparsamer wurden. Es geht also voran. Sicher nicht schnell genug. Aber wir reden hier nicht von einem statischen Zustand.
Da könnte man sicher noch weiter machen… Aber meine Kritik an dem Film, die mich mit einem unguten Bauchgefühl zurücklässt, weil ich nicht das Gefühl bekomme, wirklich INFORMIERT worden zu sein, sondern eher einem Aktivisten gelauscht zu haben, ist zusammengefasst die: Ich teile ja die Grundbotschaft, dass erneuerbare Energie und neue Technologien – die übrigens insbesondere helfen könnten, Energie zu sparen – kein Allheilmittel sind. Sicher nicht. Es braucht einen Systemwandel der Weltwirtschaft, es braucht veränderte Konsumgewohnheiten, es braucht bessere Regulierung, es braucht auch darüber hinaus Umweltschutz…
Aber kann man denn diese wichtige und richtige Botschaft nicht auch rüberbringen, indem man einen differenzierten, die Nach- und VORteile beleuchtenden Film produziert, der darüber aufklärt, wie viel Unwissen, Unsicherheit und Unvollkommenheit es in Bezug auf alle möglichen Lösungen gibt? Muss es so ein schwarz-weißes Schauerwerk sein, das einem am Ende das Gefühl gibt: Das war’s. Alles umsonst. Lasst die Abrissparty beginnen. Oder fahrt die Atomkraftwerke wieder hoch?