Nein, China baut keine Zeitmaschine – aber diese Geschichte ist trotzdem verrückt

In chinesischen Internet hat die Ankündigung für Aufsehen gesorgt, wonach ein Start-up gemeinsam mit einer Forschungseinrichtung der Regierung eine Zeitmaschine bauen will. Auf Power-Point-Folien wird eine Gerätschaft beschrieben, die Raum und Zeit verbiegen soll. Die Chinesische Akademie der Wissenschaften dementierte das Projekt zwar. Merkwürdig bleibt die Geschichte trotzdem.

Von Michael Förtsch

Wenn uns die Welt der Kinofilme eines gelehrt haben sollte, dann, dass Zeitmaschinen spannend sind, aber eigentlich echt keine gute Idee. Sie sind gefährlich und bereiten (zumindest fast) nur Ärger und Kopfschmerzen. In der Zurück-in-die-Zukunft -Saga reist Marty McFly durch die Zeit, löschst sich beinahe selbst aus der Geschichte und macht den bösen Biff Tannen zum Herrscher über eine dystopische Zukunft, bevor er alles wieder geraderückt. In Predestination verwickelt sich ein Zeitreise-Agent in eine bizarre Jagd auf einen Terroristen, bei der er sich letztlich selbst rekrutieren, retten und richten muss. Und in Primer , tja, da weiß keiner so richtig, was da eigentlich los ist. Dennoch will China nun angeblich eine Zeitmaschine bauen. Das wird zumindest gerade in Dokumenten behauptet, die ins Internet geleaked wurden.

Bei den Dokumenten handelt es sich um eine Power-Point-Präsentation, die von einem chinesischen Forschungs- und Entwicklungs-Start-up namens Ruitai Technology stammen soll. Sie machten seit Anfang des Monats in chinesischen Social Networks und WeChat-Gruppen die Runde, nachdem sie von The Paper Journalist veröffentlicht worden waren. The Paper Journalist ist eine Art Tech-Boulevardblatt auf der Community-Nachrichtenplattform CNBeta, das sonst über Kryptowährungen und die Tech-Branche schreibt. In den mutmaßlich geleakten Folien wird behauptet, dass das in Shanxi beheimatete Unternehmen, das angeblich zahlreiche renommierte chinesische Forscher- und Ingenieure rekrutieren konnte, eine Forschungskooperation mit dem Institut für Hochenergiephysik der Chinesischen Akademie der Wissenschaften eingegangen sei.

Ziel der Zusammenarbeit sei es, ein „Space-time Tunnel Generation Experimental Device“ zu konstruieren, das in den Dokumenten beschrieben wird. „Das Gerät kann Zeit und Raum verzerren, die Fließgeschwindigkeit der Zeit kontrollieren, die Barriere von Zeit und Raum durchbrechen“, heißt es in einer der Präsentationsfolien. Möglich soll das durch eine Manipulation von elektromagnetischen Feldern werden. Dadurch könnte die „Krümmung und der Fluss von Zeitstrahlen gewandelt“ werden. Durch eine starke Krümmung eines Zeitstrahls mittels eines massiven elektromagnetischen Felds könne ein Zeitstrahl sogar verdreht und gebrochen werden, wodurch dann „ein Zeit- und Raumwurmloch entsteht“.

Ein Milliardengerät?

Diese Zeitmaschine, denn genau das soll es sein, soll sich sowohl für Reisen durch die Zeit als auch den interstellaren Raum – sprich: zu anderen Planeten – nutzen lassen. Durch sie würde die Besiedlung fremder Welten möglich. Auch für die Verlängerung des Lebens könnte sie taugen, auch wenn nicht genau beschrieben wird, wie das funktionieren soll. Erdacht haben soll die mysteriöse Gerätschaft der Forscher Guo Weiwei, der Gründer von Ruitai Technology. In der Präsentation wird behauptet, dass die Maschine nach ihrer Fertigstellung in sieben bis zwölf Monaten funktionsbereit sein könnte. Zumindest könnten dann mit dem „Space-time Tunnel Generation Experimental Device“, das etwas einem riesigen Druckkessel gleicht, erste Raum-Zeit-Experiment durchgeführt werden.

Allerdings müsse dem Dokument zufolge erst einmal ein passender Standort in China für eine rund 16 Hektar große Anlage ausgewählt werden, wo sicher und ungesehen gearbeitet werden kann. Der Ort müsse fernab von Siedlungen und in einer Flugverbotszone liegen. Und natürlich müsse die Finanzierung gesichert werden. Aber „sobald die Finanzmittel vorhanden sind“, könne es losgehen. Es wäre nicht einmal so viel Geld nötig: nur 31 Millionen US-Dollar über die ersten drei Jahre. Das klingt für eine Zeitmaschine recht günstig.

An dem Experiment sollen auch zahlreiche große und bekannte Köpfe der chinesischen Wissenschaft interessiert sein, die nur darauf warten würden, dass das Projekt in Peking abgesegnet wird. Darunter Gao Kun, ein Physiker, Glasfaser-Pionier und Nobelpreisträger und andere Akademiker. Gao Kun soll die Maschine „anerkannt und gelobt“ haben. Die Möglichkeiten, die die Maschine biete, wären schließlich grenzenlos – nicht nur in wissenschaftlichen, sondern auch in wirtschaftlichen Belangen. Laut den Schätzungen von Ruitai Technology sei eine funktionierende Zeitmaschine 838 Milliarden US-Dollar wert. Wobei hier absolut unklar ist, auf welcher Basis diese Zahl fußt oder was das eigentlich genau heißt.

Keine Zeitmaschine, aber dafür UFO-Patente

Die kuriose Geschichte von der Zeitmaschine verbreitete sich binnen kürzester Zeit in den chinesischen Social-Media-Kanälen und sorgte durchaus für Aufsehen. Zumindest so viel Aufsehen, dass sich die Chinesische Akademie der Wissenschaften zu einem Statement gezwungen sah – und klarstellte, dass sie natürlich nicht an einer Zeitmaschine arbeitet. „Es ist nicht wahr, dass unser Institut und die im Artikel erwähnte Ruitai Technology und ihre Belegschaft in Kontakt stehen oder eine Kooperation [haben]“, heißt es vom Institut für Hochenergiephysik. Die ganze Geschichte sei Unsinn und „falsche Propaganda“.

Das erst Ende Dezember 2020 gegründete Unternehmen Ruitai Technology verneint die Pläne ebenfalls. Zwar sei es tatsächlich als Unternehmen aufgestellt, das Forschungs- und Entwicklungsarbeit leisten soll, aber es arbeite nicht an einer Zeitmaschine. Auch die Autoren von The Paper Journalist und dem US-Magazin Popular Mechanics merkten einige Inkonsistenzen in der Geschichte an. Beispielsweise sind einige der genannten Wissenschaftler offensichtlich erfunden. Der Nobelpreisträger Gao Kun wiederum – in westlicher Schreibweise Charles K. Kao – ist seit zwei Jahren tot.

Verantwortlich für die merkwürdige Präsentation sollen weder das Start-up noch das Forschungsinstitut sein. Auch mutmaßliche Verschwörungstheoretiker oder „Scherzkekse“, wie teils in Online-Debatten vermutet, sollen ichts damit zu tun haben. Stattdessen, das behauptet zumindest der Ruitai-Chef Guo Weiwei, soll die Buchhaltungs- und Finanzplattform Tourongjie die Präsentation „versehentlich erstellt“ haben, wie Yicai Global mit Bezug auf ein Interview der Chongqing Morning News berichtet. Daher habe das Start-up seine Zusammenarbeit mit dem Dienst auch prompt beendet und müsse nun Behörden bei der „Aufarbeitung und Untersuchung“ des Gerüchts behilflich sein. „Das ist sehr ärgerlich“, wird Guo Weiwei von Sina.com.cn zitiert. Ihm würde nun von mehreren Seiten Betrug vorgeworfen. Angeblich habe er mit der Präsentation Investoren locken wollen.

Ein Teleporter für den Mars?!

Dass die Zeitmaschine nicht gebaut wird, heißt jedoch nicht, dass nicht an ihr geforscht wird, oder? Zumindest weist der The-Paper-Journalist- Autor Yu Hanqi darauf hin, dass sich Guo Weiwei wohl tatsächlich vor mehreren Jahren mit Zeitreisen befasst habe. Bei der Suche nach Angaben über den mysteriösen Firmengründer „fanden wir ein Blog, das zu seinem Profil passt“, schreiben die The-Paper-Journalist -Autoren. Und in dem wäre bereits über Konzepte wie Zeitreisen mittels einer Einstein-Rosen-Brücke – oder anders gesagt: mit Wurmlöchern – und über Zeitstrahlen und Zeitpartikel geschrieben worden. Und das vor über 13 Jahren.

Guo Weiwei sagt zwischenzeitlich auch selbst in einem Interview, dass er „ein Talent für diesen Bereich der Wissenschaft habe“ und sich seit rund 15 Jahren mit dem Thema befasse. Fragen nach der Zeitmaschine weicht er aus. Laut ihm hätten wohl „nur Albert Einstein, Stephen Hawking oder Nikola Tesla die Wahrheit über die Zeit“ in den Händen gehalten. Er glaube nicht, dass er diese Größen der Physik überflügeln könne – und wolle das auch nicht. Auf die Frage, ob er Menschen zum Mars teleportieren könnte, antwortete er dagegen mit dem Satz: „Mein Fortschritt in Bezug darauf ist ziemlich gut.“ Mehr wolle und könne er nicht sagen. Denn er arbeite lieber im Stillen vor sich hin, bis er etwas vorweisen kann. Was das allerdings nun bedeutet? Eine gute Frage. Auch chinesische Medien schreiben, dass die Aussagen die Geschichte „nur noch verwirrender“ machen.

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Ist das alles irgendwie merkwürdig und schräg? Definitiv. Interessanter macht die skurrile Social-Media-Geschichte aus China noch das Timing. Schließlich schwappten gerade erst andere Berichte über unglaubliche Erfindungen durchs Netz. Von Ende 2020 bis Anfang 2021 hatte das Online-Magazin The Drive / The Warzone mit einer Artikelreihe über die sogenannten UFO-Patente der Militärforschungseinrichtung Naval Air Warfare Center Aircraft Division für Debatten gesorgt. Unter Leitung eines gewissen Salvatore Cezar Pais wurden angeblich Technologien wie ein Plasma-Kompressions-und-Fusions-Gerät erforscht, das es ermöglichen würden, Waffen zur Modifikation der Raumzeit zu entwickeln – welche, wie es heißt, „eine Wasserstoffbombe eher wie einen Knallfrosch aussehen lassen“. Oder auch ein elektromagnetisches Schutzschild wie aus Star Trek , ein kompakter Fusionsreaktor und ein Flugzeug, das sowohl in der Luft als auch Unterwasser eingesetzt werden kann.

Wie sich bei Nachforschungen und Nachfragen der The-Drive -Redakteure ergab, waren aber nur wenige der Patente wirklich fundiert, andere seien vollkommene Science Fiction und Salvatore Cezar Pais und seine Forschung äußerst umstritten. Denn zahlreiche der UFO-Erfindungen würden auf dem sogenannten Pais-Effekt beruhen, den der Wissenschaftler angeblich entdeckt hat, aber nie belegen konnte. Als Patent anerkannt wurden die bizarren Gerätschaften wohl in Teilen nur, weil China in ähnlichen Bereichen aktiv ist. Manche wären als Art Platzhalter für andere Forschungsprojekte vergeben worden. Einige seien pure Desinformation, um andere Länder und deren Forscher in die Irre und in Sackgassen zu führen. Vielleicht ist das ja auch bei der chinesischen Zeitmaschine der Fall.

Teaser-Bild: Unsplash

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Ha., wasne Story…! :sweat_smile: Ich glaube solange Zeitmaschinen- Konzepte auf Power-Point Folien präsentiert werden., wird’s auch keine Zeitmaschinen geben.
Oder wo wir schonmal am Rumfabulieren sind: Das mag ich ja sehr… Vielleicht ist John Titor zurück und hat den Chinesen seine Blueprints zur Zeitmaschine überlassen … :joy::vulcan_salute:

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