Das Internet hat unzählige Menschen zusammen und auf die Straße gebracht – nämlich um gegen den Klimawandel und für ein aktiveres Engagement der Regierungen zu demonstrieren. Dabei ist das Internets selbst nicht sonderlich nachhaltig. Außerdem ist es selbst durch den Klimawandel gefährdet. Der bedroht nämlich die Infrastruktur, die die Welt vernetzt. Bald könnte so ein Um- und Neudenken des Internets nötig werden.
Von Michael Förtsch
Wir können sehen, wie sie über die Straßen rollen, durch das Wasser pflügen, über den Himmel rauschen oder inmitten der Landschaft stehen und dichte Rauchwolken in den Himmel pusten. Autos, Schiffe, Flugzeuge, Kohle- und Ölkraftwerke stehen im Mittelpunkt der Kritik, wenn es um den Kampf gegen Klimawandel, Luftverschmutzung und CO2-Ausstoss geht. Und, ja, zugegeben, sie sind auch die richtigen Ziele. Aber sie sollten nicht die einzigen sein. Oft vergessen und ausgeklammert wird bei der Debatte nämlich ein anderes Ding , das nicht ganz so sichtbar ist. Oder irgendwie schon, aber nicht so wahrnehmbar, weil es ganz selbstverständlich und fast schon auf magisch unsichtbare Weise funktioniert. Nämlich das Internet.
Natürlich ist das Internet nicht wirklich ein Ding wie ein Auto, ein Schiff, ein Flugzeug oder ein Kraftwerk. Es ist eine komplexe Struktur, ein Geflecht aus verschiedensten Technologien, die in unterschiedlichsten Ländern von Aberhunderten großen und kleinen Firmen entwickelt, betrieben und gewartet werden. Genau das könnte das Internet sogar zu einer der größten Herausforderungen machen – eine, die wir lieber früher als später angehen sollten. Denn das Internet ist nicht sonderlich nachhaltig und damit ein Treiber des Klimawandels. Gleichzeitig könnte es zudem selbst zum Opfer der Erderhitzung werden.
Internet, du Klimasünder
Den ökologischen Fußabdruck des Internet und damit seinen Einfluss auf Umwelt und Klima festzumachen, ist nicht ganz so einfach. Denn das Internets ist die größte und komplexeste Infrastruktur, die die Menschheit bisher geschaffen hat. Nur selten, wenn wir das Smartphone zur Hand nehmen oder die Hände an Maus und Tastatur legen, machen wir uns klar, dass jede Website, jede Notification, jede E-Mail, jede Message und jedes Video uns nur erreicht, da rund um die Uhr in Data Centern rund um den Globus unzählige Server arbeiten und Bits und Bytes durch Millionen von Kilometern an Glasfaser- und Kupferkabeln und über Antennen durch die Luft pumpen.
Daher gibt es auch unterschiedliche Meinungen darüber, wo dieses Internet jetzt eigentlich anfängt und wo es aufhört. Beziehungsweise was dazugerechnet werden kann und was nicht. Fest zur physischen Infrastruktur zählen unzweifelhaft Unterseekabel, Rechenzentren und Internet Exchanges. Aber auch die heimischen Router, Smartphones, Tablets, Videospielkonsolen, Smart-TVs und Rechner könnten einbezogen werden. Und wie steht es mit der aktiven Nutzung von digitalen Diensten wie Facebook, Twitter, Snapchat, TikTok, Amazon und Netflix: Müsste deren Energieverbrauch beispielsweise auch mit in den Prozess Internet einberechnet werden – schließlich wäre das moderne Internet ohne sie ziemlich sinn- und spaßfrei, oder? Genau daher sprechen selbst akkurate Studien, die zu diesem Thema erstellt wurden, nicht immer vom ein und demselben Konstrukt, wenn sie Internet sagen.
Dennoch können die Zahlen und Fakten aus eben solchen Studien einen ziemlich guten Eindruck davon liefern, wie stark das globale Netz unseren Planeten, die Umwelt und das Klima belastet.
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Das Internet ist heute für rund zehn Prozent des weltweiten Stromverbrauchs verantwortlich. Das ist zumindest das Ergebnis einer Studie des Royal Institute of Technology in Stockholm, das dafür nicht nur den Stromverbrauch von Data Centern, sondern zumindest auch von Rechnern und Smartphones einbezogen hat. Anderen Annahmen und Berechnungen zufolge nimmt das Internet nur sieben oder acht Prozent der weltweit erzeugten elektrischen Energie in Anspruch.
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Im Jahr 2030 könnte der Stromverbrauch des Internet bis zu einem Fünftel der globalen Energieproduktion umfassen. Das hat eine Studie von Huawei ergeben.
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Data Center wie jene von Google, Facebook und anderen Internetkonzernen verbrauchen jetzt schon ein Prozent des weltweit produzierten Stroms. Bis 2021 soll diese Zahl auf knapp unter zwei Prozent steigen.
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Insgesamt sollen das Internet und die dahinterstehenden Unternehmen samt angebundenen Internet-fähigen Geräten jährlich für rund 830 Millionen Tonnen CO2 verantwortlich sein. Alles in allem ist’s damit für vier Prozent aller Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Zum Vergleich: Das ist doppelt so viel wie der gesamte CO2-Ausstoß von Deutschland.
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Für 60 Prozent des Internetverkehrs und damit dessen Energieumsatz sind mittlerweile Online-Videodienste verantwortlich. 21 Prozent davon machen Youtube-artige Plattformen aus, 27 Prozent Pornovideoplattformen und 34 Prozent entfallen auf Netflix, Amazon Prime Video und deren derzeitigen Konkurrenten. Der Rest sind Videoinhalte auf Sharing- und Social-Network-Plattformen wie Facebook, Reddit, 9GAG und Co.
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Der Betrieb der Bitcoin-Blockchain wird bis Ende dieses Jahres geschätzt zwischen 73 und 74 Terawattstunden an Strom verbrauchen. Das ist knapp soviel wie alle Steinkohlekraftwerke in Deutschland im Jahr 2018 produzierten oder soviel wie Österreich im Jahr verbraucht. Damit hat Bitcoin einen CO2-Fußabdruck von 34,73 Millionen Tonnen – so groß wie der von Dänemark.
Nahezu all diese Zahlen werden in den kommenden Jahren weiter klettern – und zwar rapide. Der Grund? Die Digitalisierung. Es gibt immer mehr Websites und Online-Dienste, immer mehr Menschen abonnieren Musik- und Videostreaming-Angebote, nutzen moderne Smartphones und Apps. Und natürlich werden immer mehr und aufwendigere Dienste und Prozesse in die mystische Cloud verlagert, die nicht aus wabernden Bit- und Byte-Tröpfchen besteht, sondern aus strombetriebenen Servern in in Rechenzentren. Seien es Onlinedatenspeicher- und Backup-Dienste wie Dropbox, Online-Bild- und Videobearbeitungsprogramme wie die von Adobe, Livestreaming wie Twitch oder die gerade gehypten Games-Streaming-Services wie PlayStation Now oder Stadia: Alles läuft in der Cloud.
In Asien erleben Onlinebezahldienste gerade einen regelrechten Boom. Und auch wenn die Faszination für Kryptowährungen einen Dämpfer erlebt hat, werden sie und die dahinterstehende Blockchain-Technologie weiterhin stark angenommen und für neue Projekte und Automatisierungsanstrengungen adaptiert. Dazu kommt das sogenannte Internet of Things – die Verknüpfung von Geräten wie Kühlschränken, Glühbirnen, Türschlössern und anderen einst dummen Gerätschaften mit dem Internet. Allen voran aber können immer mehr Menschen das Internet nutzen – und befeuern so den Traffic und die Energienutzung: Nutzten 2010 gerade einmal knapp unter 29 Prozent aller Menschen das Netz, so sind es heute knapp unter 50 Prozent.
Ist das Netz nur Teil des Problems oder auch der Lösung?
Aber was ist das eigentliche Problem? Die zunehmende Digitalisierung, die wachsende Anzahl jener, die das Internet nutzen, neue Dienste und Technologien: Das sind eigentlich positive Entwicklungen und Innovationen – welche, auf die wir nicht verzichten wollten und sollten. Auch war es erst das Internet, das über die letzten Monate Millionen Menschen zusammenbrachte, um für den Kampf gegen den Klimawandel und die Untätigkeit der Nationen auf die Straße zu gehen. Ohne die Vernetzung über die Landes-, Gesellschafts- und Kulturgrenzen hinweg wäre das nicht machbar gewesen.
Das Problem ist viel eher, dass der Großteil des elektrischen Stroms, der die Rechenzentren, Mobilfunkantennen, heimischen Computer, Smartphones und Router am Laufen hält, zu weiten Teilen immer noch aus Kraftwerken stammt, die mit fossilen Energieträgern befeuert werden: Öl, Kohle, Gas. Hier muss angesetzt werden.
Ein guter Anfang wären dabei die Rechenzentren. Weltweit gibt es eigentlich Tausende großer und kleinerer Lagerhallen und Gebäude, in denen Unternehmen eigene und fremder Server betreiben. Der Großteil der Daten wird jedoch über nur einigen Hundert Großrechenzentren und mehrere Dutzend internationaler Internet-Knoten abgewickelt. Nach einer Schätzung von Cisco Systems könnten 2021 sogar um die 95 Prozent des Internet-Verkehrs von nur 628 riesigen Serverfarmen einiger weniger Internet-, Hosting- und Cloud-Computing-Giganten verwaltet werden. Die müssten konsequent auf alternative Energien umgestellt werden – Strom aus Sonnen-, Wind- und Wasserkraft.
Einige der Mega-Internetunternehmen versuchen schon grüner zu werden. Das tun sie, da der gesellschaftliche Druck wächst – und es freilich gute Werbung darstellt. Dennoch ist es ein richtiger und wichtiger Schritt. Passend zum Klimastreik vom 20. September hat Google etwa daran erinnert, dass das Unternehmen seit 2017 seinen kompletten Stromverbrauch mit erneuerbaren Energien deckt und jetzt zusätzlich in 18 Wind- und Solarprojekte rund um die Welt investiert, die auch den kommenden Stromverbrauch neuer Dependancen mit überspannen sollen.
Mit dem „Decken des Energieverbrauchs“ ist nicht gleich gemeint, dass alle Google-Einrichtungen komplett mit erneuerbaren Energien gespeist werden. Zwar kauft Google durchaus Strom von Solar- und Windkraftanbietern, um damit seine Anlagen zu betreiben – aber eben nur einen Teil. Denn nicht alle Rechenzentren und Einrichtungen lassen sich aufgrund ihrer Lage oder ihres Energiehungers lokal, nachhaltig und vor allem ausfallsicher mit erneuerbaren Energien speisen. Zumindest noch nicht. Stattdessen wird jedes Kilowatt an Strom aus konventionellen Kraftwerken mit einem bezahlten Kilowatt aus Wind- und Solarkraftprojekten ausgeglichen – eine Praxis, die Offsetting genannt wird.
Google und andere Internetunternehmen versuchen schon aktiv grüner zu werden. Dabei setzten sie auch auf eigene Erneuerbare-Energien-Kraftwerke. Hier zum Beispiel ein Solarkraftwerk in Chile, das von Google erbaut wurde. Bild: Google
Dazu versucht Google in einigen Fällen zum Stromerzeuger zu werden. Der Internetgigant lässt Solar- und Windparks bauen, um manche Data Center selbst zu versorgen und gleichzeitig seinen CO2-Fußabdruck – zumindest rechnerisch – sogar in den Minusbereich zu ziehen. Vergleichbare Ausgleichs- und Selbstversorgungsstrategien verfolgen auch Apple, Microsoft, Facebook und Amazon. Beispielsweise versorgen 55.000 Solarpanele ein Apple-Data-Center in Maiden, North Carolina. In Singapur hat der iPhone-Bauer hingegen 800 Hausdächer für Solaranlagen angemietet. Erst im April hat wiederum Amazons Cloud-Computing-Sparte AWS angekündigt, Windfarmen in Irland, Schweden und den USA zu bauen, die zusammen 670.000 Megawattstunden an Strom liefern sollen.
Regeln und Fernwärme durch Serverhitze
Selbst wenn die Anstrengungen noch nicht dafür sorgen, dass Kraftwerke für Strom aus fossilen Energien abgeschaltet wurden, ist es schon ein guter Weg. Denn er macht das Internet zunehmend weniger abhängig von fossilen Energien. Daher sollten andere Data-Center-Betreiber und Internetunternehmen nachziehen. Schließlich wird das Internet nicht nur von großen US-Unternehmen regiert. Einige der größten Rechenzentren entstehen derzeit in China – und liegen in den Händen der chinesischen Regierung aber auch dortigen Größen wie Tencent, Baidu, Alibaba und Telehouse. In anderen Regionen der Welt sieht es ähnlich aus: Rechenzentren werden von Platzhirschen und Kommunikationsunternehmen betrieben – sei es in Indien, Malaysia, Russland, Südafrika oder auch der EU.
Deren Bemühungen und Verpflichtungen bezüglich Nachhaltigkeit und erneuerbaren Energien fallen dabei allerdings ziemlich unterschiedlich aus. Deutlicher Enthusiasmus bei fast allen Betreibern von Internetinfrastruktur ist hingegen dabei zu sehen, den Energiehunger der Einrichtungen einzudampfen – und damit auch Strom und Kosten zu sparen. Das beginnt damit, dass Betreiber großer Anlagen und Anbieter von Cloud-Computing penibel darauf achten, Server mit Komponenten zu verbauen, die möglichst effizient arbeiten, wenig Energie und Kühlung brauchen.
Teilweise wird die Klimatisierung von Data Centern auch schon Künstlichen Intelligenzen überlassen, die aktuelle Wetterdaten analysieren, um flexibel auf Temperaturanstiege zu reagieren, kühle Winde, Wasser aus Seen und sogar Regenwasser nutzen, um Strom für Lüftungen und Kühlaggregate einzusparen. Google hat mit derartigen KI-Entscheidungen bereits 40 Prozent der Energiekosten für Kühlung einsparen können, gibt der Konzern an. Auch können die Künstlichen Intelligenzen selbsttätig Server herunterfahren und Rechenlast flexibel an andere Data Center verweisen, die aufgrund von Wetter oder Tageszeit weniger aufwendige Kühlprozesse nötig haben.
Doch auch mehr Regeln könnten helfen. Und die werden wohl auch kommen. Im Juli erst hatte Amsterdam einen Vorstoß gewagt und einen vorläufigen Baustopp für neue Data Center erlassen. Der Grund: Allein im letzten Jahr ist der Stromverbrauch der Rechenzentren um 20 Prozent angesprungen. Das sei ein klares Signal, dass diese Einrichtungen „nachhaltiger werden müssen“, sagte Marieke van Doorninck, Stadträtin für Amsterdam Nachhaltigkeit und Raumentwicklung.
Es sollen Regularien für die verpflichtende Nutzung von Strom aus erneuerbaren Quellen gefunden aber auch Überlegungen angestellt werden, wie beispielsweise die gigantische Abwärme der Serverfarmen nutzbringend eingesetzt werden könnte. Denn die wird momentan mehrheitlich einfach in die Luft geblasen. Dabei wäre sie ideal, so einer der Vorschläge, um kostenfrei Wohnungen, Schulen, Kindergärten und andere öffentliche Einrichtungen zu heizen. Daher, so Marieke van Doorninck, müssten die Kommunen „mehr Kontrolle über die Errichtung neuer Rechenzentren haben.“
Klimakiller Autoplay?
Die Politik ist also auf dem Weg, die Infrastruktur und ihre Betreiber stärker in die Pflicht zu nehmen. Aber auch die Dienste, die über die unzähligen Server abgewickelt werden, und ihre Nutzung sollten betrachtet werden. Denn schon kleine Änderungen können hier eine enorme Auswirkung haben – und haben sie wohl auch schon. Würde YouTube seinen Nutzern erlauben, beim Hören von Musik, den zugehörigen Bildstream zu deaktivieren, könnten fünf Prozent der derzeitigen CO2-Emissionen des Videodienstes eingespart werden. Würde das standardmäßig aktivierte Autoplay bei YouTube, das automatisch Video auf Video folgen lässt, ausgeschaltet oder würde das sowieso von vielen so gehasste automatische Abspielen von Videoclips auf Plattformen wie Reddit, Instagram und Co. deaktiviert, könnte das eine ähnliche positive Auswirkungen haben.
Auch wenn vielleicht nicht so gedacht, hilft die beim Binge Watching so nervige „Sind Sie noch da?“-Meldung auf Netflix wohl schon seit Jahren unbemerkt, Abertausende Wattstunden einzusparen, weil manche wohl doch über dem Serienmarathon eingeschlafen sind. Die kürzliche Ankündigung von Facebook, automatisch anspielende Werbeanzeigen in seinem Messenger einzubinden, wird hingegen die gegenteilige Folge haben – und für zusätzlichen Datenverkehr und damit Stromverbrauch sorgen.
Und auch wenn Bitcoin, Ether und andere Kryptowährungen, die Blockchain und das Proof-of-Work-Konzept faszinieren und interessante Möglichkeiten aufmachen: Eventuell sind sie nicht gerade die Lösung, die in unsere Zeit passt – zumindest nicht aus ökologischer Sicht. Denn was beim Schürfen der digitalen Münzen passiert, ist momentan derzeit mehrheitlich das verschwenderische Umwandeln von fossilen Energiestoffen in digitale Währungseinheiten – die mehr für Spekulation als echten Handel genutzt werden. Initiativen und Ideen mit grüner Energie Bitcoin und ähnliche Kryptowährungen zu verdienen, die gibt es zwar, aber gefruchtet haben sie noch nicht.
Doch das sind Kritikpunkte, zu denen sich die verantwortlichen Unternehmen und Entwickler nur zögerlich, wenn überhaupt äußern. Wären also auch hier Übereinkünfte oder sogar feste Regeln sinnvoll – vielleicht Vorschriften, die Betreiber zur energieeffizienten Optimierung ihrer Dienste und Anwendungen zwingen? Vorschriften, die für ein sparsameres und effizienteres Web sorgen? Gut möglich. Zumindest eine Debatte darüber scheint angebracht. Kleine Änderungen könnten das moderne Internet nicht nur grüner, sondern vielleicht auch übersichtlicher und wieder benutzerfreundlicher machen.
Ändert sich nichts, könnte sich das Internet sein eigenes Grab schaufeln.
Naturkatastrophen bedrohen Data Center und Überlandkabel
Der Klimawandel, den das Internet zusammen mit anderen Industrien und Branchen befeuert, gefährdet das Internet selbst. Denn seine physische Infrastruktur wurde – zumindest in weiten Teilen – nicht mit einem sich wandelnden Klima und dadurch potentiell gefährlichen Bedingungen im Hinterkopf konstruiert. Das beginnt schon damit, dass die über die kommenden Jahre zunehmend steigenden Temperaturen die Kühlung von Data Centern verteuern werden. Der Juli dieses Jahres war der heißeste Monat seit Beginn der Wetteraufzeichnung. Diese Hitze könnte bald Normalzustand sein. Langfristig könnten die bisherigen Kühlaggregate und Lüftungsanlagen überfordert werden. Es bräuchte neue und stärkere Kühltechniken.
Das heißere Wetter sorgt auch für eine größere Waldbrandgefahr. In Deutschland standen in diesem Jahr zahlreiche Regionen auf dem Gefahrenindex in der höchsten Warnstufe. In anderen Ländern der Welt sah es genauso aus. Denn trotz Niederschlägen: Einige wenige heiße Tage genügen schon, um Wälder und Wiesen auszutrocknen und anfällig zu machen. In einigen Regionen wie Kalifornien und Teilen Spaniens ist daher mittlerweile ganzjährig Waldbrandsaison.
Gigantische Brände wie sie 2018 in den Medien zu sehen waren, gefährden dabei nicht nur Tausende Wohnhäuser und Menschenleben, sondern auch Data Center. Die waren aus Kosten- und Subventionsgründen in den vergangenen Jahren oft in Vororten oder kleinen Gemeinden gebaut worden – damit liegen sie nun direkt in den potenziellen Schneisen kommender Waldbrände. Daher gibt es Vorschläge, Anlagen teuer mit hohen Feuerschutzwänden und Außenlöschanlagen nachzurüsten.
Aber auch Überlandkabeln, die zu Teilen oberirdisch oder durch die freie Natur verlegt wurden, drohen Hitze- und Brandschaden. Dadurch könnten Ausfälle von Diensten häufiger oder einige Regionen sogar langfristig vom Internet getrennt werden.
Als der Sturm Sandy im Oktober 2012 auf New Jersey traf, brach das Internet in der Region nach und nach zusammen. Denn Rechenzentren und Verteilerstellen wurden überflutet, Kabel beschädigt und Stromausfälle verursacht. Die University of Michigan kann derartige Vorfälle mit einem Tool namens Zmap protokollieren und nachzeichnen.
Nicht sonderlich besser sieht es laut dem Center for Climate and Energy Solutions in den USA bei den windigen und feuchten Umweltkatastrophen aus. Die Wahrscheinlichkeit von Hurrikans in den atlantischen Küstenregionen werde dessen Untersuchungen zufolge durch wärmere Wasseroberflächentemperaturen und tropische Winde zwischen 45 und 87 Prozent ansteigen. Der Sturm Sandy hatte 2012 weite Teile von New Jersey durch Stromausfälle aber auch durch überflutete Rechenzentren und Verteilerknoten vom Internet getrennt. Ebenso nimmt die Zahl der Tornados zu – und das nicht nur in den USA, das dieses Jahr schon ein Tornado-Rekordjahr erlebte. Auch in Deutschland und anderen EU-Ländern nimmt die Zahl der bisher hierzulande exotischen Windhosen zu.
Wird das Internet ertrinken?
Noch gefährlicher für das Internet könnte jedoch der steigende Meeresspiegel sein. Laut einer Studie der University of Oregon und der University of Wisconsin-Madison, die sich allerdings nur auf die USA bezieht, werden in 15 Jahren über 1.100 Nodes – also Verzweigungsstellen und Exchanges, an denen Kabel- und Internetanbieterverbindungen verknüpft und Untergrundkabel an die Oberfläche geleitet werden – und Data Center dauerhaft von Wasser umgeben sein. In Küstenstädten könnten darüber hinaus Tausende Kilometer an Glasfaser- und Kupferkabeln bald unter Wasser liegen. In New York, Los Angeles und Seattle würde das bis zu 20 Prozent der für das Internet nötigen Kabellage ausmachen, die dadurch Schaden nehmen und schwieriger zu Warten sein wird.
Auch die Stellen, an denen das Internet durch dicke Seekabelstränge wie Apollo, AAE-1 oder ATLANTIS-2 an Land geht, kommen dem Wasser zunehmend näher. Vor allem bei älteren Bauten, von denen es einige gibt, wurde der steigende Meeresspiegel einfach nicht mitgedacht. Sie könnten bei Fluten, Stürmen und in einigen Dekaden sogar schon bei den natürlichen Gezeiten und starkem Wellengang unter Wasser geraten. Durch angegriffene oder gealterte Abdichtung und Versiegelungen kann aber schon jetzt Feuchtigkeit eindringen und zu Korrosion und Kurzschlüssen führen. Die Forscher der University of Oregon und der University of Wisconsin-Madison warnen daher davor, dass transkontinentale Verbindungen unterbrochen werden könnten.
Teile der Anlagen sollten daher verlegt oder gänzlich auf flutsicherem Gelände neugebaut werden. Wobei diesmal die Gefahr und die Folgen des Klimawandels dringend einberechnet werden müssten – eine teure Angelegenheit. Es bräuchte zukünftig Schutzanlagen wie Flutwände und zusätzliche Abdichtungen für Server- und Verteilerräume – und nicht zuletzt Protokolle, die sagen, was passiert, wenn eine der transkontinentalen Verbindungsstellen in Folge einer Flut oder anderen Naturkatastrophe ausfällt. Denn da wären die Betreiber bisher bei weitem nicht ausreichend vorbereitet.
Rettet das Internet
Das Internet ist eine fanatische Sache, ein großartiges Ding auch wenn wir es aufgrund seiner Unsichtbarkeit und Beiläufigkeit nicht immer so wahrnehmen. Aber wie sich zeigt, muss auch diese Technologie – wie auch Autos, Flugzeuge und Kraftwerke – jetzt im Kontext des Klimawandels betrachtet werden. Es muss in Teilen wohl um-, weiter- und neugedacht werden. Und das sollte passieren, bevor die ersten Rechenzentren ertrinken und 404-Schriftzüge auf unseren Lieblingsseiten auftauchen. Denn der Klimawandel ist auch für die digitale Welt eine gänzlich reale Bedrohung.
Die Wege und Ansätze zu einem nachhaltigen und grüneren Internet sind sicht- und greifbar: Solar-, und Windkraft sowie andere erneuerbare Energien sind effizient und nachhaltig. Ebenso wie Stromspeicher, die Engpässe kompensieren können. Künstliche Intelligenzen ermöglichen ein effizienteres Wirtschaften und vieles mehr. Aber auch Optionen, das WWW und seine Inhalte sparsamer zu gestalten, sind ersichtlich, eigentlich vollkommen logisch – und scheinen zu funktionieren. Sicher, es wird eine Herausforderung sein, das Internet für und gegen den Klimawandel zu wappnen. Es wird Debatten, Regeln und Übereinkünfte brauchen. Aber wenn das Internet seit seinem Bestehen etwas bewiesen hat, dann dass es wandlungs- und überlebensfähig und wert ist, gerettet zu werden.
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Teaser-Bild: Hoxton/Tom Merton/Getty Images