Mit seinem KI-Chip will Nigel Toon CPUs und GPUs überholen

Die Entwicklung Künstlicher Intelligenz macht rasche Fortschritte. Ein Hemmschuh ist jedoch die Hardware, auf der die Berechnungen laufen. Die Firma Graphcore will KI nun einen massiven Schub geben: mit einem Chip, der so ähnlich arbeitet wie unser Gehirn.

Von Achim Fehrenbach

Wie funktioniert unser Gehirn? Diese Frage beschäftigt Forscher seit Tausenden von Jahren. Im 21. Jahrhundert macht die Neurowissenschaft dabei aber erhebliche Fortschritte, etwa bei der Kartierung verschiedener Hirnregionen. Hochspannend sind die Forschungsergebnisse auch für die Entwicklung Künstlicher Intelligenz: Je genauer wir die Arbeitsweise des Gehirns kennen, desto besser lassen sich seine Strukturen per Soft- und Hardware simulieren. Die Firma Graphcore aus Bristol will mit ihrem Hochleistungs-Chip genau das bieten: eine Prozessorarchitektur, welche die Informationsverarbeitung unserer grauen Zellen simuliert – und damit ganz neue KI-Anwendungen ermöglicht.

Im Mittelpunkt steht dabei die Intelligence Processor Unit (IPU) , die Graphcore entwickelt. Die IPU unterscheidet sich deutlich von klassischen CPUs (Hauptprozessoren) und GPUs (Grafikprozessoren), die bisher beim Machine Learning zum Einsatz kommen. „Wir haben viel mehr parallele Prozessorkerne“, sagt Graphcore-CEO Nigel Toon zu 1E9. Genau das mache sie besonders und wichtig. Denn es erlaubt den IPUs viel mehr Informationen zu verarbeiten, da Daten gleichzeitig von verschiedenen Standorten abgefragt, adressiert und weitergeleitet werden können, ohne auf Wenn-Dann-Befehle warten zu müssen.

Jeder Prozessorkern hat dafür Zugang zu seinem eigenen internen Speicher und kann dabei mit voller Geschwindigkeit arbeiten. Dadurch bleibt das gesamte Wissensmodell für Machine Learning, das durch Training aufgebaut wird, nah am Kern des Prozessors. „Das bedeutet, dass das Training sehr viel schneller abläuft – und dass die Inferenz [Schlussfolgerung] ihre Antworten viel schneller hervorbringt“, erläutert Toon. „Darüber hinaus haben wir einen Austauschmechanismus, der den Datentransfer zwischen den Prozessorkernen bei voller Geschwindigkeit erlaubt.“

Diese Struktur des Informationsaustauschs ist die zentrale Neuerung der Graphcore-IPU. „Das ähnelt viel stärker der Arbeitsweise und Entscheidungsfindung eines Gehirns“, sagt Toon. „Es geht mehr darum, mit Wahrscheinlichkeiten zu arbeiten als mit exakten Antworten. Man versucht zwar eine präzise Antwort zu erhalten. Aber diese präzise Antwort resultiert aus vielen unpräzisen Inputs.“ Gesteuert wird die IPU von einer Software namens Poplar. Sie liefert auch die faszinierenden Hirn-Querschnitte eines Deep Neural Network, die Nigel Toon bei der 1E9-Konferenz in München zeigte.

Deutlich mehr Leistung als konventionelle Chips

Laut Graphcore bietet die IPU teils deutliche Geschwindigkeitsvorteile beim Machine Learning. Viele herkömmliche Machine-Learning-Konzepte seien auf Basis herkömmlicher GPUs entwickelt worden, sagt Toon. In diesen Fällen sei die IPU zwischen zwei- und fünfmal schneller. Anders sehe es dort aus, wo KI-Entwickler die IPU-Architektur gezielt berücksichtigen. Dort seien noch viel größere Leistungsvorteile möglich. „Vielleicht das Zehn- oder Zwanzigfache der Leistung, die bei gleichem Energieverbrauch von anderen Prozessoren erbracht wird“, verspricht Toon.

Dass Graphcore seine Versprechen einlöst, glauben auch zahlreiche Investoren: Bis jetzt hat die Firma rund 300 Millionen US-Dollar eingesammelt, zuletzt wurde sie mit 1,7 Milliarden US-Dollar bewertet. In der Liste der Geldgeber tauchen große Finanzinvestoren wie Sequoia Capital auf, aber auch strategische Investoren wie Bosch, BMW, Dell, Microsoft und Samsung. Mit dem frischen Kapital baut Graphcore derzeit seine globale Präsenz aus. Das Hauptquartier befindet sich nach wie vor in Bristol. Darüber hinaus hat Graphcore Büros in London, Oslo, Palo Alto, Peking und Hsinchu/Taiwan eröffnet. Und will Hunderte neuer Mitarbeiter einstellen.

Der Graphcore-Chip könnte besonders dort für Furore sorgen, wo Maschinen in Echtzeit dazulernen. Beispiele sind Spracherkennung, selbstfahrende Autos oder auch Software, die sich unmittelbar an die Nutzung anpasst. „Wenn man es mit einer Abfolge von Ereignissen zu tun hat – zum Beispiel bei der Spracherkennung - dann sind dabei nicht nur einzelne Wörter von Bedeutung“, erläutert Toon. „Man muss sie zwar erkennen, aber letzendlich ist es ihre Abfolge, die den Sinn transportiert.“

Außerdem benutzen wir Wörter wie ‚das‘ oder ‚jenes‘, die sich auf den Gegenstand der Unterhaltung beziehen, auf ihren Kontext. „Dieser Kontext muss erkannt und gespeichert werden“, sagt Toon. „Es geht also um Modelle, die Abfolgen beherrschen, die Kontexte verstehen und auch die Fähigkeit besitzen, Informationen zu speichern und rückzukoppeln. Diese komplexeren Machine-Learning-Modelle funktionieren auf einer IPU besser.“

Graphcore setzt auf die Cloud

Natürlich hat Graphcore einiges an Konkurrenz. Zahlreiche Großfirmen werkeln an Technologie, die Künstliche Intelligenz voranbringen soll, darunter Intel (Nervana), Nvidia (Volta), Google (Tension) und Microsoft (Brainwave). Dazu kommen Start-ups wie Brainchip, Eyeriss, Kalray, Kneron, Wave Computing, Cerebras Systems und Esperanto.

Die starke Konkurrenz bringt Nigel Toon allerdings nicht aus der Ruhe. „Wir konzentrieren uns auf unser brillantes Team und haben bei der Architektur einen grundlegenden Vorteil“, sagt er. „Ein weiterer Vorteil ist, wie wir unseren Kunden bei der Schaffung von Systemprodukten helfen.“ Mit seinem Produkt möchte Graphcore vor allem den Markt für Server-KI aufmischen.

„Ich denke, dass sich das Smartphone in der Hosentasche nicht mehr besonders stark verändern wird“, sagt Toon. „Im Hinblick auf Energieverbrauch und Technologie hat es einen Punkt erreicht, von dem aus es nur in kleinen Schritten weiter vorwärts gehen wird.“ Intelligenter werde das Smartphone künftig vor allem durch eine 5G-Anbindung an die Cloud. „Für gutes Machine Learning braucht man eine Menge Rechenkraft. Deshalb ist die Cloud für unsere Technologie der zentrale Ansatzpunkt.“

Für die kommenden fünf Jahre erwartet Toon bei KI enorme Fortschritte. Ein Beispiel sei die simulierte Proteinfaltung – mit dem Ziel, unterschiedliche Formen zu erzeugen, die eine Bindung mit den sehr verschiedenartigen Krebszellen eingehen können. „Man gibt einem Protein ein Medikament bei – und es wird dieses Medikament direkt an die Krebszelle weitergeben, ohne im Körper Nebenwirkungen zu verursachen“, so Toon. „Es wird großartig sein, Wissenschaftlern bei der Lösung dieser Probleme zu helfen. Wir werden bahnbrechende Neuerungen erleben.“

Zum jetzigen Zeitpunkt befindet sich IPU noch in einer geschlossenen Preview-Phase: Die Technologie wird von einer begrenzten Zahl von Erstkunden genutzt, Ende des Jahres soll sie weiter ausgerollt werden. „Für uns ist entscheidend, die Ruhe zu bewahren und Hervorragendes zu leisten“, sagt Nigel Toon.

Teaser-Bild: Nigel Toon von Graphcore bei der 1E9-Konferenz, Foto: Dan Taylor für 1E9

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