Das Start-up O(1) Labs arbeitet daran, ein Blockchain-Ökosystem und eine Kryptowährung namens Mina aufzubauen. Dabei will es eines der großen Probleme beseitigen, die Bitcoin und Ethereum plagen: die Hunderte von Gigabyte großen Blockchains und die zunehmende Zentralisierung der Macht. Bei Mina soll sie nur wenige Kilobyte wiegen. Wir haben Evan Shapiro von O(1) Labs gefragt, wie das funktioniert.
Von Michael Förtsch
Rund 340 Gigabyte. So groß ist die Blockchain von Bitcoin derzeit. Selbst in Anbetracht der Tatsache, dass in dieser riesigen Datenbank die Transaktionen von nunmehr fast zwölf Jahren verzeichnet sind, ist das eine ganze Menge. Und das ist nicht ohne Probleme. Denn Bitcoin, aber auch Ethereum, Litecoin, Dash, Cardano und andere Kryptowährungen sind dezentral. Das heißt: Sie sind darauf angewiesen, dass ein Netzwerk von verteilten Computern bereitsteht, das Transaktionen und andere Einträge für eine Blockchain verifiziert und die Korrektheit der Blockchain ständig bestätigt. Unerlässlich ist das Netzwerk auch, damit auf diese Blockchains überhaupt zugegriffen und sie genutzt werden kann. Dafür muss jeder einzelne dieser Computer – genannt Nodes – stets die vollständige Blockchain vorhalten. Die immer größer werdende Blockchain sorgt nun dafür, dass Nodes kaum noch von normalen Nutzern betrieben werden, sondern zunehmend von kommerziellen Unternehmen.
Dadurch sind Bitcoin, Ethereum und andere Kryptowährungen zwar weiterhin dezentral, aber nicht so dezentral, wie sie sein könnten. Genau das soll bei Mina anders werden, einem Blockchain-Ökosystem und einer Kryptowährung, die von Ex-Mozilla-Entwickler Evan Shapiro und seinem Start-up namens O(1) Labs entwickelt wird. Shapiro sagt uns im Gespräch, dass er schon recht früh in die Welt von Blockchains und Kryptowährungen hineingestolpert sei. „Es war 2011 und Leute fingen langsam an, über Bitcoin und das Blockchain-Ding zu reden“, erklärt er. „Ich habe erst viel später über Mining und Investments nachgedacht, aber ich war total begeistert von der Technologie.“ Er habe begonnen, die Paper zu Bitcoin, Ethereum und anderen Entwicklungen zu lesen. Und für ihn breitete sich da die Vision eines „ebenen und fairen Spielfelds aus, in dem ich und jeder andere gleichermaßen am Aufbau einer neuen und digitalen Form des Vertrauens teilnehmen kann“.
Heute sagt Shapiro, er sei in dieser Zeit ein naiver Optimist gewesen. Die Blockchain-Technik stoße mittlerweile an Grenzen hinsichtlich der Skalierbarkeit, Geschwindigkeit, aber auch was die idealistische Vision betrifft, die einst damit verbunden war. Vieles davon hänge auch mit der Größe zusammen, zu denen die Blockchains anschwellen können. Die Aufgabe, Blockchains mit Nodes am Leben zu erhalten, werde zunehmend von „den Coinbases, Binances der Welt und anderen Big Playern übernommen“, sagt Shapiro. Das verleihe ihnen viel Macht und erfordere von den Nutzern einen Vertrauensvorschuss, der nicht unbedingt gerechtfertigt ist. Denn was etwa, wenn solche Unternehmen irgendwann Pleite gehen oder, wie in China, aufgrund von Regulierungen ihr Geschäft einstellen müssen? „Du befindest dich dadurch entweder in der Welt des zentralisierten Vertrauens oder in einer Welt, in der jeder seinen eigenen Knoten betreibt“, sagt der Entwickler. „Das, denke ich, ist eine erhebliche Bedrohung für das Potenzial und den Ethos der Kryptowelt.“ Denn zumindest laut Shapiro gehe es in der Kryptowelt um Freiheit, Individualität und Resilienz.
Ein Beweisfoto
Die Lösung für das Problem, das nicht nur Evan Shapiro sieht, sondern mittlerweile auch andere: Bestimmte Aspekte der Technik sollen radikal neu und anders gedacht werden. Ganz konkret: Es soll verhindert werden, dass eine Blockchain überhaupt zu groß werden kann. Im Falle von Mina soll die Blockchain eine feste Obergrenze haben – eine, die im Vergleich mit den mehreren Hundert Gigabyte anderer Kryptowährungen fast schon absurd klein ist. Sie soll sogar die „weltkleinste Blockchain“ werden. Wiegen soll sie gerade einmal 22 Kilobyte, soviel wie eine einfache Textdatei mit 22.000 Zeichen oder „einige Tweets“, wie Shapiro sagt. Aber dafür muss ein Kompromiss gemacht werden. Ein ziemlich großer.
„Was wir bei Mina gemacht haben, ist die gesamte Transaktionshistorie (die die Blockchain so groß macht) zu ersetzen“, sagt Shapiro. Jener Ersatz ist eine Art kryptographischer Beweis, dass die Blockchain bis zum letzten Block über viele Knoten hinweg abgeglichen und für korrekt befunden wurde. „Wenn der nächste Block [mit Transaktion] erstellt wird, wird quasi ein Schnappschuss vom neuen Block mit dem alten Beweisblock im Hintergrund gemacht“, sagt Shapiro. „Dieser neue Schnappschuss wird wiederum als Hintergrund für den nächsten Block verwendet, und so weiter und so fort.“
Laut dem Entwickler sei das in etwa so, als würde jemand einen Elefanten fotografieren, um jemand anderen zu beweisen, dass es einen Elefanten gibt – statt ihm den kompletten Elefanten vor die Tür zu liefern. Soll derjenige, der das Foto bekommen hat, nun einer weiteren Person beweisen, dass er ein Beweisfoto von einem Elefanten hat, knipst er ein Foto von sich selbst mit dem Foto in der Hand, und schickt es weiter. Hinter diesem Prozess steht ein ziemlich komplexes mathematisches Verfahren namens Zero-Knowledge Proof, das bereits in den 1980ern entwickelt wurde. „Erstaunlich ist, dass ein solcher Schnappschuss immer die gleiche Größe hat, obwohl er den Nachweis einer unendlichen Menge von Informationen enthalten kann“, sagt Shapiro. Und genau das erlaube es Mina, dezentraler zu sein als jede andere Kryptowährung, die es derzeit gibt.
Theoretisch könnte so ziemlich jeder halbwegs moderne Computer im Mina-Netzwerk als Node funktionieren, wenn er über ein paar Kilobyte an freiem Speicher verfügt - sei es ein Desktop-Computer oder ein Mini-Rechner wie ein Raspberry Pi. Selbst ein Smartphone in der Hosentasche könnte als Knoten des Netzwerks dienen. Jedenfalls in Zukunft – wenn die Programme für entsprechende Systeme angepasst sind. Das soll auch passieren. Dadurch wäre Mina auch gut gegen eine der großen Gefahren gewappnet, denen Blockchains und Kryptowährungen ausgesetzt sind: gegen sogenannte 51-Prozent-Attacken. Bei diesen könnte jemand, der 51 Prozent der Knoten kontrolliert, gezielt Schaden verursachen oder Manipulationen anstellen – etwa Transaktionen blockieren oder verfälschen. Das sei bei Mina nicht unmöglich, aber ungleich schwieriger. Ganz einfach, wie Shapiro sagt, „weil sehr viele weitere Knoten im Netzwerk arbeiten“ würden.
Privat soll es bleiben
Noch ist Mina in einem frühen Entwicklungsstadium. Aber langfristig soll mit diesem Blockchain-System auch abseits der Blockchain-eigenen Kryptowährung viel machbar werden – ähnlich wie bei Ethereum –, meint Evan Shapiro. Was genau alles, da ist der Start-up-Gründer derzeit noch zurückhaltend. Dezentrale Finanzdienstleistungen sowie Datenschutz-intensive und Daten-sparsame Dienste sollen dazu gehören, erklärt Shapiro. Vor allem letztere sollten zum Kern von Mina werden. „Datenschutz ist etwas, das viele Menschen fordern“, sagt er. „Sie geben im jetzigen Internet so viele ihrer Daten preis; Mina kann von Entwicklern genutzt werden, um Anwendungen zu entwickeln, die es den Menschen ermöglichen, ihre Daten besser zu kontrollieren; sie bewusst zu teilen, oder für sich zu behalten.“
Laut Shapiro soll das Zero-Knowledge Proof nicht nur bei der Blockchain selbst Einsatz finden, sondern auch bei Anwendungen, die damit laufen. Muss jemand beispielsweise bei einem Start-up, das Darlehen vergibt, ein gutes Kreditscoring nachweisen, würde über eine App bei einer Auskunftei „der Beweis [für einen guten Punktestand] erstellt und auf dem Gerät des Nutzers gespeichert“ und mit dem Start-up geteilt. Nicht aber die genaue Zahl oder andere persönliche Daten, die nicht unbedingt nötig oder gefordert sind. Auch weitestgehend anonym nutzbare Messenger und Social Networks wären damit umsetzbar, was natürlich sowohl Vorteile als auch Nachteile mit sich bringen kann. Denn: „Kein zentraler Diensteanbieter kann [wenn er auf Mina setzt] jemanden sperren“, sagt Evan Shapiro.
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Jetzt Mitglied werden!Mit Mina, da ist der Ex-Mozilla-Entwickler überzeugt, würde im Bereich der Blockchain und Kryptowährungen etwas wirklich Besonderes entstehen. Vor allem weil Mina das erste Projekt sei, das eine radikal andere Herangehensweise an die Blockchain wage. Eine, die auch nicht so schnell kopiert werden könne. „Es wäre echt schwer, [unser Konzept] in ein existierendes Blockchain-Protokoll einzubauen“, resümiert Shapiro. Bitcoin oder auch Ethereum auf eine Mini-Blockchain wie bei Mina umzubauen sei nicht per se unmöglich. Doch jemand, der es versuche, „würde echt keine gute Zeit haben“. Aber das müsse auch nicht sein.
Evan Shapiro meint, bei seinem Start-up sähe man andere Blockchain-Ökosysteme und Kryptowährungen wie Ethereum, Cardano, Ripple und alle weiteren nicht als Konkurrenz. Denn alle hätten eben ihre Vor- und Nachteile, wären besser oder schlechter für die ein oder andere Anwendung geeignet. „Wir schauen, was da bei anderen Chains passiert“, sagt der Entwickler. Und man hoffe, über Bridges – digitale Brücken, die verschiedene Blockchains miteinander kommunizieren lassen – „einiges von dem, an dem wir gerade im Geheimen arbeiten, zu ihnen zu bringen. Wir wollen mit ihnen zusammenarbeiten“, sagt Shapiro. Denn letztlich ginge es vor allem darum, „die [Blockchain-]Technik für jeden zugänglich und nutzbar machen.“
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