In Observation seid ihr eine Künstliche Intelligenz, die eine Astronautin retten muss


Das Videospiel ‚Observation‘ stellt Konventionen auf den Kopf. In dem Science-Fiction-Abenteuer übernimmt der Spieler nicht die Kontrolle über die überlebende Heldin Emma Fisher. Stattdessen wird er zur Künstlichen Intelligenz SAM. Das ist eine ebenso faszinierende wie frustrierende Spielerfahrung.

Irgendetwas ist passiert. Es muss einen Unfall gegeben haben. Einen Zusammenstoß. Wahrscheinlich. Das Licht ist aus und ein verzerrter Brei von Funkfetzen dringt aus einem Lautsprecher. Verzweifelt versucht Dr. Emma Fisher mit jemandem Kontakt aufzunehmen und Hilfe zu rufen. Aber keiner antwortet. Die Low Orbit Space Station namens Observation liegt in totaler Finsternis und trudelt umher wie ein steuerloses Schiff auf dem Meer. Einzelne Funken erhellen kurz die Schwärze. Es knarzt und knistert irgendwo. Dann zieht sich ein weißer Balken über den Schirm. Dateipfade blinken auf. Ein Programm wird geladen. Emma Fisher versucht nun den einzigen zu erreichen, der ihr in dieser Lage noch helfen kann. Es ist die Künstliche Intelligenz der Raumstation: System Administration Maintenance – kurz: SAM.

„SAM, bist du da?“, fragt sie. Ja, SAM ist da. Denn in Observation übernimmt der Spieler nicht die Rolle der menschlichen Überlebenden, sondern die der Künstlichen Intelligenz, die von der Astronautin gerade reaktiviert wurde. SAM ist irgendwo zwischen Siri, HAL 9000 aus 2001: Odyssee im Weltraum und Jarvis aus den Iron-Man -Filmen angesiedelt. Er hat eine angenehme Stimme, Zugriff auf wichtige Systeme und die Kameras, die in allen Bereichen dieser internationalen Raumstation verteilt sind. Und das ergibt sowohl spielerisch wie auch narrativ ein faszinierendes Experiment. Denn natürlich ist es ziemlich unmöglich, einem Menschen, das Gefühl zu vermitteln, ein Computerprogramm zu sein. Aber Observation schafft es durchaus, den Menschen in eine ungewöhnliche Rolle zu drängen.

Myst trifft 2001

Die Raumstation Observation ist kein technisches Wunderwerk, sondern eher eine leicht weitergedachte ISS. Im Jahre 2026 umkreist sie in Form eines Rings die Erde. Einzelne Arme der verschiedenen Fördernationen wie Russland, China, den USA und der EU ragen aus ihr heraus – aber liegen nun zum Teil in Fetzten. Emma Fisher weißt SAM (und damit den Spieler) an, nachzuschauen, was es für Schäden gibt. Der hangelt sich dann über eine Karte von Stationsmodul zu Stationsmodul. In diesen kann er wiederum zwischen mehreren Kameras hin und herschalten, die sich bedächtig drehen lassen und zoomen können. So findet sich früh im Spiel ein Feuer, das gelöscht werden muss. Aber Sprinkler oder ein Löschsystem gibt es nicht.

Also muss der Spieler der Astronautin Emma über Tastendruck Bescheid geben und den Weg bereiten. Über die Kameras kann er nämlich die von den verschiedenen Nationen unterschiedlich gestalteten Steuerelemente und Computer ausmachen, auswählen und auslösen. Gut getimed und auf ein „3, 2, 1“-Kommando hin, muss er ein Schott öffnen, so dass die Astronautin das Feuer löschen kann, ohne sich zu verbrennen. Später müssen Lüftungsanlagen in Gang gesetzt, ein Plasmareaktor kalibriert, Daten von Laptops gesammelt und ganze Stationsteile wieder reaktiviert werden. Die Anweisungen und Aufgabenstellungen von Emma sind dabei stets einfach. Aber der Weg dahin nicht unbedingt.

Nach und nach entwickelt sich aus den anfänglich so trivialen Spielschritten und singulären Aktionen ein vielschichtiger und sehr komplexer Point-and-Click-Rätsel-Mix, der logisches Denken, das Kurzzeitgedächtnis, das Erkennen von Mustern und auch Geschicklichkeit erfordert. Zahlreiche Handgriffe müssen aneinandergereiht werden, um ein vergleichsweise einfaches Ereignis auszulösen. Damit kommt man dem Gefühl, eine Maschine und ein digitales Werkzeug zu sein, ein künstliches Neuronales Netz, das arbeitet und filtert, dann doch irgendwie nahe.

Tatsächlich ist das unheimlich clever aber nach einigen Stunden auch unglaublich frustrierend. Denn viele Elemente und Handlungen wiederholen sich ständig. Und oft scheitert eine Lösung der nächsten Aufgabe nicht am mangelnden Können oder Unklarheiten. Nein, vielmehr stolpert der Spieler über einen in der Kulisse schlecht sichtbaren Schalter oder ein anderes steuerbares Gerät, das nicht als solches auszumachen ist.

Im Laufe der Handlung ist SAM, also der Spieler, aber nicht immer auf die Perspektiven der Kamerainstallationen der sich nach und nach öffnenden Raumstation angewiesen. Zeitweise wird er auch in sogenannte Verbindungskugeln gesteckt, die ein freies Umherfliegen in den Modulen aber auch dem All ermöglichen – das sind fliegende Roboterbälle, wie sie mit CIMON auch schon in der Realität existieren. Bei alldem lernt der Spieler auch viel über die Station, die Besatzungsmitglieder und die fiktive Zukunftswelt; er entwickelt eine Beziehung zu den Astronauten und zuvorderst zu Emma Fisher, die SAM über die sieben bis acht Spielstunden zunehmend vermenschlicht. Denn auch wenn sie, wie sich herausstellt, nicht die einzige Überlebende ist, so ist sie dennoch mit SAM irgendwie alleine.

Vertrauensseelig

Es ist eine bizarr-packende Konstellation, die Observation auffächert und dem Spieler erst schrittweise bewusst macht . Nicht er oder sein Alter-Ego SAM sind es, die heldenhaft überleben müssen. Nein, sondern eben Emma Fisher. SAM ist lediglich derjenige, der ihr den Weg bereitet und der Spieler wortwörtlich der Geist in dieser Maschine. Beide sind das Werkzeug eines digitalen Befehlsgebers, der, dank der fantastischen Synchronsprecherin Kezia Burrows, wirklich Emotionen erwecken kann und in dramatischen Situationen mitfiebern lässt; Situationen in denen der Spieler manchmal zum passiven Zuschauer degradiert ist oder mit den nötigen Handgriffen, um SAM anzuleiten, gezielt überfordert wird.

Nicht zuletzt quält Observation mit Ungewissheiten. Freilich war der Unfall kein einfacher Unfall. Und, wie sich schnell herausstellt, schwebt die Raumstation auch nicht mehr im Orbit der Erde, sondern kreist um den Saturn. Sonderbare Geräusche sind zu hören, bizarre Symbole springen dann und wann über die grafische Oberfläche von SAM – ebenso wie die Anweisung „BRING SIE HER“. Tatsächlich, ohne zu viel verraten, schlägt Observation in seiner Story einige sehr abenteuerliche und unerwartete Haken – und gelangt zu einem der spektakulärsten Enden, das es derzeit in einem Videospiel zu sehen gibt.

Bis dahin lässt Observation fast schon beiläufig zahlreiche faszinierende Fragen fallen. Kann eine lernende Künstliche Intelligenz durch seine Interaktion mit einem Menschen wachsen und menschlicher werden? Könnte ein Mensch eine echte emotionale Beziehung zu einer digitalen Wesenheit aufbauen? Braucht eine Intelligenz einen empfindungsfähigen Körper um ein Bewusstsein entwickeln und Erfahrungen wie Schmerz und Wärme erfassen zu können? Es sind Reminiszenzen an Meisterwerke wie Ex Machina, Blade Runner und andere Science-Fiction-Meilensteine, die die Fantasie anfachen. Und das ist es, was Observation am besten gelingt und nach den fantastischen aber auch grausigen Spielstunden mitnehmen lässt.

FAZIT

Observation ist eine spannende Erfahrung, die aber leider auch über weite Strecken frustriert. Unter einem Science-Fiction-Dach vermischt es Elemente von Myst, The Witness mit Einschlägen der Telltale-Abenteuer. Es erzählt eine fantastische und mitreißende Geschichte, aber quält auch mit unnötig schweren und oft allzu gleichförmigen Rätseln. Hier wäre kürzer weitaus besser gewesen – drei bis vier Stunden statt der acht, die viele Spieler brauchen werden. Denn die Handlung, die aufgefahrenen Themen und Mysterien sind erlebenswert. Das eigentliche Spielgeschehen aber nur zum Teil.

Observation ist für PC und PlayStation 4 erhältlich.

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