In diesem Rennspiel sitzt eine Künstliche Intelligenz am Steuer


Wer in Videospielen gegen digitale Gegner antritt, der weiß, dass die oft nicht sonderlich intelligent agieren. Und wenn doch, dann ist das meist von den Entwicklern vorherbestimmt. Die Macher der Motorradrennspielserie ‚MotoGP‘ wollen das ändern. Denn die Kontrahenten in ‚MotoGP19‘ sollen durch eine echte Künstliche Intelligenz gelenkt werden.

Von Michael Förtsch

Sie können einen echt in den Wahnsinn treiben, sorgen für Schimpftiraden und Controller, die mit Wucht gegen die Wand fliegen. Die gegnerischen Fahrer in Computerrennspielserien wie Forza , Gran Turismo , F1 und Need For Speed überholen, rammen, bremsen aus und schneiden einem kurz vor dem Ziel den Weg ab. Aber ebenso verhalten sie sich manchmal kurios und einfach dämlich: Sie rasen gegen eine Mauer und geben weiterhin Vollgas, bleiben nach einer Kollision einfach stehen oder ziehen in einer Kurve in die vollkommen falsche Richtung.

Die Computerkontrahenten in Videospielen sind nicht intelligent oder clever, treffen keine Entscheidungen, sondern sind schlichte Regelprogramme. Im Klassiker Test Drive von 1987 waren die Wege der Mitfahrer fest einprogrammiert. Auch heute noch folgen die gegnerischen Fahrer zumeist virtuellen Ideallinien, die von Entwicklern gezeichnet wurden. Das dynamische Verhalten, die vermeintliche Unvorhersehbarkeit und die offenkundigen Fehler bei den Rennen resultieren aus „Wenn, dann“-Regelwerken und Zufallsaktionen, die oft durch die Spieler und die Position ihrer Fahrzeuge ausgelöst werden.

Technik, die seit zwei Jahrzehnten zum Einsatz kommt

Die Regeltechnik funktioniert, sorgt für Emotionen aber ist letztlich nicht soweit von dem entfernt, was schon seit zwei Dekaden gemacht wird – und schon gar nicht, vermittelt sie das Gefühl, gegen wirklich intelligente Kontrahent anzutreten. Der italienische Videospielentwickler Milestone, das Team hinter Rennspielen wie Bleifuß (wer kennt’s noch?), Gravel, der offiziellen WRC-Reihe und natürlich der MotoGP-Serie, will das nun ändern. Denn im kommenden MotoGP19 soll erstmals eine echte Künstliche Intelligenz über die Piste heizen.

„Auch unsere Künstliche Intelligenz war bisher eigentlich nur eine Regel-ausführ-Maschine“, sagt Michele Caletti, Produzent von MotoGP19 , zu 1E9. „Das heißt nicht, dass man mit ihr nichts erreichen könnte. Aber sie ist limitiert und weniger kreativ.“ Daher habe das Studio eine ganze Weile nach Optionen gesucht, die Computerfahrer spannender zu gestalten. „Wir waren an einer Weggabelung: Tun wir das, was wir immer getan haben, und versuchen, das noch besser zu machen. Oder gehen wir diesen neuen und vielversprechenden Weg. Wir haben letzteres gewählt – tja, und da sind wir nun.“

Die Künstliche Intelligenz im Videospiel trägt den Namen ANNA für Artificial Neural Network Agent. Sie ist also ein künstliches neuronales Netz, das mit digitaler Technik in etwa die Struktur menschlicher Hirne und Nervensysteme nachstellt. Entwickelt wurde ANNA von einem Start-up namens Orobix aus Bergamo, das eigentlich KI-Anwedungen für die Fertigungs-, die Gesundheitsindustrie und die Logistik entwickelt. „Sie arbeiten in verschiedenen Feldern des maschinellen Lernens und ihr Büro ist nicht soweit von unserem entfernt“, sagt Michele Caletti. „Daher musste die Zusammenarbeit irgendwann passieren.“

ANNA hat 100.000 Runden auf dem Sachsenring gedreht

Die grundsätzliche Technik von ANNA ist dabei wenig neu oder gar revolutionär. Denn wie auch andere Künstliche Intelligenzen, wurde auch ANNA trainiert. „Es ist eine klassische Bestärktes-Lernen-Architektur“, sagt Caletti. „Die untrainierte Software bekommt Kontrolle über das Motorrad und bestimmte Ziele gesetzt.“ Anders als beim Training von Mustererkennungssystemen, die Anhand von Tausenden Katzenbildern lernen, eine Katze zu erkennen und selbst Bilder einer Katze zu generieren, lernte ANNA aber von selbst, wie sie eine gute Runde fährt. „Wir füttern die KI also nicht mit [Aufzeichnungen] von guten Fahrten“, sagt Caletti. „Wir lassen sie [die KI] von Grund auf lernen und belohnen gute Resultate und bestrafen schlechte Resultate.“

Ganz ähnlich hat eine Künstliche Intelligenz der Google-Tochter DeepMind gelernt einen virtuellen Körper zu kontrollieren, zu laufen und sogar Hindernisse zu überwinden. Und auch AlphaGo, das einige der besten Go-Spieler schlug, wurde zumindest zum Teil auf diese Weise trainiert.

Um MotoGP19 zu beherrschen habe ANNA mehrere Hunderttausend Stunden an virtuellen Testrunden hinter sich gebracht, sagt der Hersteller – und das sowohl als einzelner Motorradfahrer als auch in einer Gruppe mit anderen KI-Fahrern. Alleine auf dem Sachsenring habe sie 100.000 Runden absolviert und mehrere Millionen Überholmanöver durchgeführt. „Das Resultat nehmen wir und packen es in das Spiel“, so der Italiener. „Angepasst an die Plattform läuft das Neuronale Netz dann auf allen Systemen.“

Die KI ist schnell – aber fair

Trotz des massiven Trainings sei ANNA als Gegner„schnell aber fair“. Denn die Künstliche Intelligenz habe grundsätzlich die gleichen Voraussetzungen wie die Spieler auch. Sie habe keine Fähigkeiten, die über die Kontrolle des virtuellen Motorrads hinausgehen. Sie können nicht durch Wände oder Begrenzungen schauen oder Bewegungen anderer Fahrer vorhersagen. Trotzdem wäre ANNA grundsätzlich besser als normale Computergegner. Denn die Fahrkünste der digitalen Gegner seien einfach „konsistenter und überzeugender“, da sie sich aus einem Evolutionsprozess heraus entwickelt haben.

„Für Rennspiele ist das was komplett Neues – und schon ein ziemlicher Durchbruch“, sagt Caletti. Denn freilich haben es schon Mechaniken wie Pfadfindungsalgorithmen und Entscheidungsbäume in die Welt der Videospiele geschafft – allem voran bei Strategietiteln. Klar, es gibt auch Experimente wie jene von DeepMind, bei denen Künstliche Intelligenzen StarCraft 2 , Atari-Klassiker und Dota 2 spielen. Doch da treffen die Künstlichen Intelligenzen nur „alle paar Sekunden“ eine Entscheidung. „Hier haben wir eine KI, die ein Motorrad fährt“, so Caletti. „Und davon gibt’s mehr als 30 auf einer Strecke.“

Wie Caletti gesteht, war er anfänglich selbst nicht so sicher, ob sich eine Künstliche Intelligenz schon jetzt sinnig und nutzbar in ein kommerzielles Videospiel integrieren lässt. Aber mittlerweile sei er überzeugt, dass in den kommenden Jahren auch viele andere Entwickler dieses Wagnis eingehen. Vor allem „wenn die bisherige Generation von Videospielkonsolen abgelöst wird“. Denn die nächste werde mehr Rechenkraft für solche aufwendigen Prozesse mitbringen.

Dabei gehe es nicht nur um clevere Motorrad- und Autofahrer in Rennspielen. „Wir könnten weniger vorherbestimmtes Verhalten bei Charakteren [in anderen Genres] sehen oder auch subtile Anwendungsfälle: Das können Charakteranimationen sein, Verhaltensmuster, eigentlich alles“, begeistert sich der Italiener. Irgendwann würde sich gar nicht mehr die Frage stellen, was Künstliche Intelligenz zu Videospielen beitragen kann. Einfach weil sie in alle Teile davon integriert sein wird.

Alle Bilder: Milestone

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Ein stärkerer KI Gegner im einem nächsten Level hat dann einfach „mehr trainiert“ als der im Level davor. :slight_smile: Klingt ein bisschen naiv, entspricht aber immer häufiger der Realität.

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Jep. Aber ist schon ein deutlicher Fortschritt gegenüber den bisherigen „KI“-Systemen in Computerspielen. Wie gut’s funktioniert, das muss ich mir dann nochmal in der Tiefe anschauen. Wobei ich in Rennsimulationen ganz grauenhaft bin.