Vom Prediction Market zum neuen Geldsystem: Das Kryptoprojekt Gnosis startete eins als Plattform zum Wetten auf das Eintreten möglicher Ereignisse. Doch daran hatten die Nutzer wenig Interesse – deswegen entwickelte sich Gnosis schnell weiter: Heute ist Gnosis einer der wichtigsten Bausteine im Ethereum-Ökosystem und arbeitet daran, Kryptowährungen und dezentralisierte Finanzdienste für die breite Masse zugänglich zu machen. Die ersten Schritte: eine echte Krypto-Kreditkarte und ein bedingungsloses Grundeinkommen.
Von Michael Förtsch
Es war ein Crash. Das konnten selbst die überzeugtesten Enthusiasten nicht leugnen. Zwischen 2022 und 2023 wurden in nur wenigen Monaten viele Milliarden Euro an Wert in Kryptowährungen vernichtet. Der milliardenschwere Kryptofonds Three Arrows Capital ging pleite. Der eigentlich fest an den US-Dollar gekoppelte Stablecoin UST der Blockchain Terra verlor seine Bindung. Wenig später geriet die Kryptobank Celsius in die Krise. Dann brachen die Kryptobörsen FTX und Genesis zusammen. In Deutschland traf es die Krypto-Bank Nuri. Viele empfanden diese Zeit als Katastrophe, die das Vertrauen in Kryptowährungen und die dahinterstehende Industrie tief erschütterte. Sogar das Ende von Krypto und Web3 wurde heraufbeschworen. Doch das war verfrüht. Nach wie vor gibt es viele Kryptounternehmen, die in dezentralen Blockchain-Netzwerken die Zukunft sehen. Darunter das Krypto-Start-up Gnosis, das sich zum Ziel gesetzt hat, Krypto für alle nutzbar zu machen.
„Vieles von dem, was zusammengebrochen ist, war nicht wirklich Krypto“, sagt Martin Köppelmann, einer der Gründer von Gnosis, im Gespräch mit 1E9. „Vor allem FTX hatte in meinen Augen wenig mit Krypto zu tun. Es hat sogar eher gezeigt, wofür es echte Krypto[-Systeme] braucht: dass man sein Geld nicht bei einer intransparenten Organisation hat, sondern selbst verwalten, selbst bestimmen und kontrollieren kann, was damit passiert.“ Vor fast 10 Jahren Jahren startete Köppelmann gemeinsam mit Stefan George das Unternehmen, das heute im kryptofreundlichen Gibraltar beheimatet ist. Zunächst als eine auf der Ethereum-Blockchain basierende Plattform, die sogenannte Prediction Markets ermöglichen sollte: Gnosis startete also als Website, auf der mit Kryptowährungen Vorhersagen und Wetten auf Ereignisse wie den Ausgang von Präsidentschaftswahlen, Einspielergebnisse von Filmen und Ähnliches abgegeben werden können.
Die Idee dahinter sei durchaus idealistisch gewesen, sagt Köppelmann. Wenn nur genügend Leute mit ihrem Wissen, ihrer Forschung und auch ihrer Intuition zusammenkämen, könnten sie ziemlich genaue Vorhersagen treffen. „Wir wollten ein Werkzeug zur Verfügung stellen, mit dem sich die riesige Flut an Informationen und Meinungen auf eine einfache Zahl herunterbrechen lässt“, sagt er. „Eine Zahl, die sozusagen das Destillat der antizipierten Wahrscheinlichkeit darstellt – und zwar für alle Entwicklungen in unserer Welt.“ Ein Erfolg wurde diese Plattform damals allerdings nicht. „Es hat einfach nicht geklappt“, wie Köppelmann sagt. „Aus verschiedenen Gründen.“ Gnosis sei mit dieser Mechanik zu früh angetreten und die kryptoaffine Zielgruppe noch zu klein gewesen.
Daher ist Gnosis heute etwas „ziemlich anderes“, habe ganz andere Ziele, auch wenn Köppelmann überzeugt ist, dass die einstige Idee solcher Prognosemärkte immer noch aussichtsreich ist. Denn tatsächlich haben sich zwischenzeitlich einige solcher Plattformen etabliert. Darunter der erst 2020 gestartete Polymarket, der insbesondere während des aktuell laufenden Wahlkampfs um die Präsidentschaft der USA Millionen US-Dollar an Wetteinsätzen von Tausenden von Mitgliedern verzeichnet.
Vom Markt zum Ökosystem
Nach der Gründung erkannte das Gnosis-Team schnell, dass ein Prediction Market bei den Nutzern des Ethereum-Blockchain-Ökosystems seinerzeit nicht wirklich gefragt war, andere Tools und Plattformen hingegen schon. Mit dem Hype um Kryptowährungen wuchs der Druck auf die Ethereum-Blockchain, die Transaktionspreise schossen in die Höhe und sogenannte DAOs – Dezentrale Autonome Organisationen, in denen Gruppen von Personen mittels automatisierten Vertrags zusammenarbeiten – verlangten nach neuen Möglichkeiten, Kryptowährungen gemeinsam zu verwalten. Genau hier sah das Team seine Stärke. Für den Prognosemarkt hatte es bereits begonnen, eigene Infrastrukturen und Dienste aufzubauen. Diese mussten nur noch erweitert, ausgebaut und für andere geöffnet werden.
Gnosis unterhält daher inzwischen eine eigene, mit Ethereum verbundene Blockchain, die zahlreiche Web3-Anwendungen ermöglicht. Gnosis hat die Krypto-Handelsplattform CoW Protocol sowie die Krypto-Vermögensverwaltungsplattform Safe und zahlreiche kleinere Tools entwickelt. Gnosis investiert auch in andere Krypto-Projekte und überlässt den Nutzern über eine eigene DAO viele Entscheidungen zur Zukunft des geschaffenen Ökosystems. Ideen können eingebracht, Abstimmungen abgehalten und umgesetzt werden. Damit unterscheidet sich Gnosis auch von vielen anderen Web3-Startups. Es baue kein singuläres Produkt wie eine Kryptowährung oder eine NFT-Anwendung, sondern unterhalte ein „Kollektiv verschiedenster Projekte, die eng miteinander verzahnt sind“, sagt Köppelmann. Genau das bringe Gnosis nun in die Position, Krypto in den Mainstream zu bringen. Erst im März 2024 kündigten die Entwickler den Start von Gnosis 3.0 an, dem nächsten Entwicklungsschritt.
Mit der Gnosis Card und dem Bezahlsystem Gnosis Pay bietet das Unternehmen nun die erste echte Krypto-Kreditkarte an. Im Gegensatz zu Kreditkarten, wie sie bereits von Coinbase, Crypto.com oder Bitpanda angeboten werden, steht hinter der Gnosis Card kein Konto bei einer Kryptobörse, mit dem die Zahlungen verrechnet werden, sondern eine komplett selbstverwaltete Wallet beim Dienst Safe im Gnosis-Ökosystem. „Es ist bei uns wirklich auf der Chain. Es ist dein Geld, du kontrollierst es“, sagt Köppelmann. „Aber Safe kann, wenn du es zulässt, so programmiert werden, dass zum Beispiel Gnosis Pay bestimmte Token unter bestimmten Bedingungen verwenden kann. Das ist völlig transparent.“ Abgesehen davon würde der Nutzer immer die volle Kontrolle über seine Wallet behalten. Niemand sonst könne ungewollt darauf zugreifen und der Nutzer könne dem Bezahlsystem jederzeit seine Rechte wieder entziehen.
Eine Kreditkarte, die wirklich krypto ist?
In der Anwendung würde die Gnosis Card nicht anders funktionieren als eine herkömmliche Kreditkarte. „Du kannst sie im Supermarkt hernehmen, für deine Online-Zahlungen, ganz normal“, sagt Köppelmann. Zumindest so lange, wie die Kaufbeträge auch über die angeschlossene Safe-Wallet gedeckt sind. „In Echtzeit wird das Konto geprüft, ob der Saldo passt und wir das Recht haben, etwas abzubuchen“, erklärt Köppelmann. „Wenn alles passt, wird das verbucht, die Transaktionen auf der Blockchain festgeschrieben und dann ist alles bezahlt.“ Für diese Zahlungen kann allerdings nur eine bestimmte Kryptowährung verwendet werden. Nämlich der vom Krypto-Startup Monerium herausgegebene Stablecoin EURe, dessen Wert an den Euro gekoppelt ist und der mit den E-Money-Regelungen der EU kompatibel ist.
Das ist zumindest der aktuelle Stand. Denn Gnosis Pay und die Gnosis Card stehen erst am Anfang. Langfristig will Gnosis die Nutzung des Bezahldienstes und der Karte so flexibel wie möglich gestalten. „Zum Beispiel, indem man auch andere Assets für Zahlungen definieren kann“, sagt Köppelmann. Diese Kryptowährungen könnten dann on-the-fly für eine Abbuchung in EURe umgewandelt werden. Aber auch die Nutzer selbst hätten bereits begonnen, die bisherigen Grenzen mit eigenen Mechanismen zu umgehen. Etwa indem sie Automatismen programmierten, die andere Kryptowährungen automatisch umwandeln, wenn der EURe-Betrag in ihrer Wallet unter ein bestimmtes Limit fällt. „Das zeigt, wie kreativ die Leute sein können“, sagt der Blockchain-Unternehmer. „Wenn sie es möchten.“
Köppelmann sieht trotz aller Fortschritte immer noch die Notwendigkeit, Kryptowährungen, Web3 und DeFi – also Decentralized Finance – benutzerfreundlicher zu gestalten. Web3-Dienste wie Safe, die in ihrer Optik nachvollziehbar gestaltet sind und sichere Drittdienste ausweisen, oder auch Gnosis Pay seien ein erster Schritt in Richtung einer Normalisierung von Krypto – und damit auch eine Möglichkeit für eine wachsende Gruppe von Menschen, die Vorteile zu nutzen, die digitale Währungen und das weite Feld von DeFi aus seiner Sicht bieten. Zum Beispiel die Möglichkeit, Geld in verschiedene Kryptowährungen umzuwandeln und zu staken, es für Tausch- und Leihgeschäfte bereitzuhalten und vieles mehr. Nicht alles, aber vieles davon sei relativ risikoarm, könne aber mehr Zinsen abwerfen als alles, wofür ein normales Bankkonto oder gar ein Konto bei einer traditionellen Kryptobörse genutzt werden kann. Das sei der Vorteil eines Kontos, das in das Krypto-Ökosystem eingewoben ist.
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Um Kryptowährungen und Krypto-Ökosystemen aber wirklich zum Durchbruch zu verhelfen, braucht es laut Köppelmann noch mehr konditionelle Teilhabe. Dafür wollen er und seine Mitstreiter bei Gnosis auch „besseres, faireres Geld schaffen“. Das sei ein radikales Projekt, so Köppelmann, aber nicht unmöglich. Bitcoin und andere Kryptowährungen hätten bereits gezeigt, dass es möglich sei, neue Werte in die Welt zu bringen, die dezentral und nicht von einer einzigen Instanz kontrolliert würden. Nur seien sie nicht unbedingt gute Zahlungsmittel. Er selbst etwa sei im Gegensatz zu anderen Krypto-Befürwortern sehr skeptisch, „dass die Welt besser wird, wenn die Menschheit kollektiv beschließt, jetzt zum Beispiel Bitcoin als das neue Geld zu akzeptieren“. Dafür seien „Bitcoin und auch andere Kryptowährungen schon zu ungleich verteilt“.
Das bedeute aber nicht, dass die grundlegende Technologie kein neues, gerechteres Geld ermöglichen könne. Tatsächlich gibt es schon Versuche in diese Richtung, bei denen sich jeder anmelden kann. Das auf der Gnosis-Blockchain basierende Projekt Circles soll eine faire Kryptowährung für alle schaffen. Jeder, der sich anmeldet, kann automatisch pro Stunde die gleiche Menge an Krypto-Token erhalten: einen Circle. Es wäre also eine Art Grundeinkommen – nicht unähnlich anderen Initiativen wie Worldcoin oder GoodDollar. Wer aber seine Circles ausgeben will, muss als Mitglied dieses Zahlungsnetzwerks von anderen Nutzern als vertrauenswürdig bestätigt werden. Dadurch sollen große und kleine Gruppen entstehen, die gegenseitige Zahlungen in Circles akzeptieren. Das soll die Kryptowährung vor allem für kleine, gut vernetzte lokale, regionale und digitale Gemeinschaften als Werkzeug attraktiv machen – wie etwa Dorfgemeinschaften, Kunstkollektive oder auch Szenen von Krypto-Enthusiasten.
Geht es nach Köppelmann, sollen „all diese Dinge“ am Ende in einer Banking-App namens Metri zusammenlaufen. Sie soll die zahlreichen Technologien und Gnosis-Einzelprojekte wie Safe, Gnosis Pay und Circles bündeln und auf eine einheitliche und insbesondere einfach zu bedienende Oberfläche übertragen. So sollen die Vorteile von Kryptowährungen und -diensten auch für jene greifbar und nutzbar gemacht werden, die sonst wenig bis gar keine Berührungspunkte mit Kryptowährungen, aber auch anderen alternativen Bezahlsystemen haben. Das Hantieren mit Schlüsselphrasen und Passwörtern soll praktisch überflüssig, das Versenden von Geld so einfach wie mit PayPal und das Bezahlen so einfach wie mit jeder Kreditkarte werden. „Jeder soll das nutzen können“, sagt Köppelmann. „Das ist unser Ziel. Das ist Gnosis 3.0. Da wollen wir hin."
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