Von Wolfgang Kerler
Uneingeschränkte Technikfans sind die Menschen in Deutschland nicht, aber auch keine Technikfeinde. „Grundsätzlich nehmen die Menschen Technik ambivalent wahr“, sagt der Sozialwissenschaftler Ortwin Renn im Gespräch mit 1E9. Das heißt, sie wägen ab: Was sind die möglichen Vorteile einer neuen Technologie? Was die Risiken? Welche Auswirkungen hat sie auf mich, auf die Gesellschaft, auf die Umwelt?
Das Fazit dieser Abwägung mag in Deutschland oft weniger euphorisch ausfallen als beispielsweise in asiatischen Staaten. Doch überraschend ist das nicht. „In Ländern mit einer hohen durchschnittlichen Lebensqualität ist die Technikskepsis größer, weil die Menschen mehr verlieren als gewinnen können, wenn sie sich auf neue technische Entwicklungen mit ihren immer vorhandenen Unsicherheiten einlassen“, erklärt Ortwin Renn. „Zu diesen Ländern gehört auch Deutschland.“
Ortwin Renn ist wissenschaftlicher Direktor am Potsdamer Institut für Transformative Nachhaltigkeitsforschung und Präsidiumsmitglied der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften, kurz: acatech. Zusammen mit der Körber-Stiftung brachte acatech nun das TechnikRadar 2020 heraus – eine repräsentative Studie, für die im vergangenen Spätsommer rund 2.000 Personen nach ihren Einstellungen zu Technik befragt wurden.
Fast 49 Prozent von ihnen gehen davon aus, dass die technische Entwicklung kommenden Generationen eine höhere Lebensqualität bescheren wird. Nur gut 12 Prozent bezweifeln das. Der Rest ist unentschlossen. Ähnlich fällt das Ergebnis bei der Frage aus, ob uns Technik dabei helfen wird, die zentralen Probleme der Menschheit zu lösen – Hunger, Armut, Klimawandel. Dreiviertel der Befragten sind der Meinung, dass sich der technische Fortschritt nicht aufhalten lässt. Fast genauso viele finden allerdings, dass der Technik sehr wohl Grenzen gesetzt werden dürfen.
Klimaschutz? Ja, aber.
Ein besonderer Fokus lag in der Befragung auf dem Themenbereich Bioökonomie, also auf Technik, Produkten und Verfahren, die zu einem nachhaltigen und zukunftsfesten Wirtschaftssystem beitragen könnten. Sei es durch den Ersatz von fossilen Ressourcen oder durch den Einsatz von biologischem Wissen. Im Großen und Ganzen betrachten die Menschen diese Art von Technologie wohlwollend, was auch an grundlegenden Überzeugungen liegen dürfte.
Über 70 Prozent sind der Meinung, dass Deutschland beim Klimaschutz mit gutem Beispiel vorangehen sollte. Über 75 Prozent finden, dass es wichtig ist, die Produktion auf nachwachsende Rohstoffe umzusetzen. Gleichzeitig ist eine deutliche Mehrheit der Meinung, dass die Menschen kein Recht haben, die Natur nach ihren Bedürfnissen umzugestalten. Im internationalen Vergleich sticht Deutschland damit heraus. „Einen besonders hohen Stellenwert genießt in Deutschland alles, was mit Wald und Natur zusammenhängt“, sagt Ortwin Renn.
Das bedeutet aber nicht, dass die Befragten alles uneingeschränkt gut finden, was möglicherweise zum Klima- oder Naturschutz beitragen könnte. So teilen zwar 74 Prozent die Auffassung, dass man seinen Konsum der Umwelt zuliebe einschränken müsste. Wenn es aber konkret wird, schrumpft die Zustimmung. Für die Einschränkung des privaten Autoverkehrs beispielsweise sprechen sich nur 33 Prozent aus, rund 30 Prozent lehnen sie ab. Der Rest ist sich nicht sicher.
Differenziert fällt das Meinungsbild auch mit Blick auf bestimmte Technologien oder Produkte aus. Über 88 Prozent der Befragten halten es zwar für sinnvoll, normales Plastik durch Biokunststoffe zu ersetzen, die aus Pflanzen hergestellt werden. Doch fürchtet eine Mehrheit massive Auswirkungen auf das Landschaftsbild oder Monokulturen. Treibstoffe aus Gülle, Restholz oder Kompost finden mehr als drei Viertel gut, zwei Drittel plädieren sogar für eine staatliche Förderung. Doch halten über 42 Prozent eine Biosprit-Produktionsanlage in der Nähe eines Wohngebiets für unzumutbar. Nur 23 Prozent sind gegenteiliger Meinung, der Rest unentschlossen.
Gentechnik-Getreide oder Laborfleisch auf dem Teller? Nein, danke.
Kaum eine Technologie ist in Deutschland so unbeliebt wie Gentechnik – zumindest, wenn es um Gentechnik auf den Feldern geht. Eine klare Mehrheit lehnen gentechnisch veränderte Pflanzen ab, selbst wenn diese widerstandsfähiger gegen Schädlinge sind. Ganz anders fällt die Einschätzung von Gentechnik aus, wenn diese Menschenleben retten kann. 70 Prozent der Befragten finden Gentherapien an Erwachsenen gut.
Wie kommt das zustande? Ortwin Renn erklärt die Ergebnisse mit einer individuellen Kosten-Nutzen-Abwägung der Menschen. „Mit gentechnisch veränderten Lebensmitteln verbinden die meisten keine bessere Ernährung. Und da die Lebensmittelpreise in Deutschland auch vergleichsweise niedrig sind, sieht auch kaum jemand einen Preisvorteil“, sagt er. „Wenn ich Krebs habe und die Gentechnik kann mir helfen, dann gehe ich auch über mögliche Bedenken hinweg.“
Fleisch aus dem Labor, für das keine Tiere geschlachtet werden müssen, hat in Deutschland nur wenige Fans. Nur knapp 16 Prozent finden, es sei eine gute Sache. „In Deutschland gibt es einen starken Hang dazu, alles, was natürlich erscheint, als gut und alles, was als unnatürlich erscheint, als problematisch zu bezeichnen“, ordnet Ortwin Renn das Ergebnis ein. „Hier wird weniger der Zusammenhang gesehen, dass man mit dieser Technologie keine Tiere mehr züchten und schlachten müsste, sondern eher der Aspekt der Künstlichkeit und Fremdheit.“
Mehr Mitsprache, bitte!
Nur 15 Prozent sind der Meinung, dass sie von der Politik ausreichend über Technikfolgen informiert werden. Aber 70 Prozent der Befragten finden, dass Bürgerinnen und Bürger über Technik stärker mitbestimmen dürfen sollten. Das könnte mit schlechten Erfahrungen zusammenhängen. „Bei der Digitalisierung hatten die Menschen das Gefühl, dass ihr Leben stark von den Technologien mitbestimmt, wenn nicht sogar fremdbestimmt wird“, sagt Ortwin Renn. „Viele hatten den Eindruck, der Fortschritt fällt einfach über sie her, ohne, dass sie darauf Einfluss nehmen können.“
Die Politik ist also gefragt – und noch sieht Ortwin Renn bei den Menschen vorsichtigen Optimismus, dass sie bei Technologien aus dem Bereich der Bioökonomie tatsächlich mitreden dürfen. „Die Beteiligung der Bürger hat den Vorteil, dass die Menschen sich später viel stärker mit dem Thema identifizieren“, sagt er. „Dann sind sie auch dazu bereit, sich das nötige Wissen anzueignen, um unterschiedliche Handlungsoptionen ausgewogen beurteilen zu können.“
Wollen Politik und Wirtschaft um Zustimmung für technischen Fortschritt werben, sollten sie allerdings nicht mehr auf plumpe Wachstumsversprechen setzen. „Wichtiger als Produktivitätsfortschritte ist den Menschen, dass eine Technologie auf positive Werte und Ziele ausgerichtet ist, zum Beispiel den Schutz der Umwelt, der Natur oder der Gesundheit“, erklärt Ortwin Renn. „Das sollten Politik und Wirtschaft bei ihrer Kommunikation stärker berücksichtigen.“
Titelbild: Getty Images