In den letzten Wochen ist die Twitter-Alternative BlueSky rasant gewachsen. Mehr als 20 Millionen Nutzer sind inzwischen von X – ehemals Twitter – zum Kurznachrichtendienst gewechselt. Vor allem wegen Elon Musk. Aber auch durch zahlreiche Neuerungen und technische Verbesserungen hat sich BlueSky im vergangenen Jahr zu einem sehr komfortablen und stark individualisierbaren Social Network entwickelt, das ernst genommen werden sollte.
Von Michael Förtsch
Im April 2023 wollte ich mich beim neuen sozialen Netzwerk BlueSky anmelden. Doch damals war das nicht ohne Weiteres für jeden möglich. Wer mitmachen wollte, brauchte eine Einladung von einem Nutzer, der schon dabei war. Als ich eine bekam und meinen Account anlegte, gehörte ich, wie ich heute weiß, zu den ersten 26.000 Nutzern der Plattform. Damals steckte BlueSky noch in einem recht frühen Entwicklungsstadium. Ursprünglich war es ein Forschungsprojekt, das der damalige Twitter-Chef Jack Dorsey intern bei Twitter selbst initiiert hatte. Das Team sollte einen Weg finden, Twitter zu dezentralisieren und den Nutzern mehr Freiheiten bei der Personalisierung ihrer Erfahrungen zu geben – ganz ähnlich wie etwa Mastodon, aber ohne die abschreckende Sperrigkeit. Erst 2022, wenige Monate nachdem Jack Dorsey Twitter verlassen hatte, wurde BlueSky als Unternehmen ausgegründet, um das Experiment zu einem eigenständigen sozialen Netzwerk weiterzuentwickeln.
Inzwischen ist die Zahl der BlueSky-Nutzer auf über 20 Millionen gestiegen. Zeitweise registrierten sich täglich zwischen 300.000 und einer Million Menschen bei dem noch vor einem Jahr eher obskuren Dienst. Der Grund dafür? Vor allem Elon Musk. Seit er Twitter im Oktober 2022 übernahm, in X umbenannte und zahlreiche Änderungen durchsetzte, hat der Kurznachrichtendienst viele Nutzer verloren. Wegen des US-Präsidentschaftswahlkampfs, Elon Musks Unterstützung für Donald Trump und seiner Beteiligung an dessen künftiger Regierung fliehen nun erneut viele Nutzer, die teils seit Jahre dabei waren: Es ist ein Xodus oder eXit, wie manche scherzen. Zu giftig und geladen sei die Atmosphäre bei X geworden – wohl auch durch Änderungen am Algorithmus, der offenbar gezielt konservative und radikale Stimmen stärkten. Manche wollen Musks Plattform aber auch einfach aus Prinzip nicht mehr mit ihrer Präsenz und ihren Inhalten unterstützen.
Unter den scheidenden Nutzern sind einige bekannte Namen. Zum Beispiel der Schriftsteller Stephen King oder der Schauspieler Ben Stiller. Auch Medien wie die britische Tageszeitung The Guardian und sogar Fußballmannschaften wie der FC St. Pauli haben angekündigt, Twitter zu verlassen. Weitere dürften in den nächsten Wochen folgen. Denn inzwischen macht sich bei BlueSky der Netzwerkeffekt bemerkbar, der bis vor wenigen Monaten noch fehlte: Je mehr Nutzer BlueSky hat, desto attraktiver und einfacher wird der Wechsel, da dort bereits Personen, Gruppen und Medien vertreten sind, denen man bereits auf X folgt oder mit denen man auf X aktiv kommuniziert hat. Hinzu kommt, dass sich BlueSky im letzten Jahr stark weiterentwickelt hat.
Offen für alle
War BlueSky zuvor nur mit Einladung nutzbar, steht es seit Februar dieses Jahres für jeden offen. Die Anmeldung funktioniert wie bei jedem anderen Social-Media-Dienst auch. Wobei… das stimmt nicht ganz. Denn die Nutzernamen bei BlueSky bestehen aus dem eigentlichen Namen und einer Domain, die beispielsweise den Betreiber der BlueSky-Instanz identifiziert: also bislang bsky.social. Denn obwohl BlueSky derzeit nur auf den Servern des Start-ups läuft, soll es als Open-Source-Projekt irgendwann praktisch jedem möglich sein, eigene Server als Teil eines verbundenen Netzwerks zu betreiben oder auf dieser Basis ein ganz eigenes, geschlossenes Social Network zu entwickeln.
Der Dienst ermöglicht es den Benutzern auch, ihre eigene Domain, sofern sie eine besitzen, als Benutzernamen zu verwenden – etwa 1e9.community – oder an den eigentlichen Benutzernamen anzubinden – etwa wolfgang.1e9.community. Dazu muss lediglich ein kurzer Code-Schnipsel in der Konfiguration des Domain-Hosters hinterlegt werden. So können beispielsweise Mitarbeiter eines Unternehmens oder Journalisten einer Zeitung die Domain ihres Arbeitgebers hinter ihrem Benutzernamen führen, was als Zugehörigkeitsverifikation dienen kann. Wechselt der Arbeitgeber, kann die Domain geändert werden.
Nach dem Anmelden und Einloggen funktioniert BlueSky heute im Prinzip wie das alte Twitter. Gepostet werden vor allem Texte mit bis zu 256 Zeichen. Ebenso können Bilder, Gifs und kurze Videos geteilt werden – letztere Möglichkeiten wurden nach der Invite-Only-Eröffnung im vergangenen Jahr nachgereicht. Das alles geht über eine Web-Oberfläche oder verschiedenen Apps. Denn neben der offiziellen BlueSky-App gibt es mehrere Alternativen wie GraySky oder auch SoraSNS und Openvibe, die zusätzlich zu BlueSky beispielsweise auch Mastodon unterstützen.
Personalisierung? Kein Problem.
Ein großer Unterschied zwischen BlueSky und X oder auch Threads von Meta: Was die Nutzer angezeigt bekommen, können sie anpassen und individualisieren. Eine künstliche Verstärkung bestimmter Stimmen auf der Plattform oder eine Unterdrückung von Nachrichten- und Politikinhalten für alle findet nicht statt. Stattdessen können die Nutzer ihre Feeds – und damit ihren Algorithmus – selbst auswählen. Darunter: eine streng chronologische Abfolge der Posts der Nutzer, denen sie folgen; ein Discover-Feed, der aktuell viel beachtete Posts aus dem gesamten Netzwerk zeigt, oder einen Feed, der nur Inhalte anzeigt, mit denen Personen interagieren, denen man selbst folgt.
You’ll always have the freedom to choose (and to exit) instead of being held to the whims of private companies or black box algorithms. And wherever you go, your friends and relationships will be there too.
Außerdem können zahlreiche benutzerdefinierte Feeds hinzugefügt werden, zwischen denen durch einfaches Umschalten gewechselt werden kann. Darunter sind Feeds zu Themen wie Künstliche Intelligenz, Kunst, Katzenbildern oder Astronomie. Oder Feeds, die nur Posts der eigenen Follower aus den letzten 24 Stunden oder welche in japanischer Sprache anzeigen. Einen solchen Feed kann jeder mit ein wenig Programmierkenntnissen erstellen – mit SkyFeed und BlueSkyFeedCreator gibt es auch entsprechende Dienste, die das vereinfachen.
Auch sonst wird den Nutzern in BlueSky viel Kontrolle überlassen. So kann eingestellt werden, ob Antworten und Reposts anderer Nutzer im Feed erscheinen sollen. Ob Antworten unter den Posts nach Beliebtheit oder Alter sortiert werden. Wörter und Tags können nach Belieben stummgeschaltet werden. Nutzer können unsichtbar gemacht und für den Zugriff auf den eigenen Feed gesperrt werden. Auch ganze Moderationslisten können erstellt, geteilt und gemeinsam mit anderen Nutzern bearbeitet werden, um etwa Accounts von Bots, Spammern und nervigen Nutzern zu sammeln, die aus dem eigenen Feed ferngehalten werden sollen.
Ein sehr flexibles Feature sind Labeler, die zusätzlich abonniert werden können. Dabei handelt es sich um dynamisch kuratierte Listen von Nutzern, aber auch von Posts, die bestimmte Inhalte verbreiten oder enthalten. Dies können beispielsweise Phobien, Inhalte zu World of Warcraft, bestimmte Sportmannschaften, politische Inhalte und Parteien sein. Einmal abonniert, können die Nutzer dann kleinteilig auswählen, ob die Inhalte markiert oder ausgeblendet werden sollen. In den kommenden Monaten soll auch ein Tool ähnlich den Community Notes von X zur Verfügung stehen, um Falschinformationen zu markieren und korrigieren.
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Für neue Nutzer kann es schwierig sein, auf einem neuen Social Network wieder Anschluss und Nutzer zu finden, denen man folgen will. Für solche Neulinge bietet BlueSky seit Juni so genannte Start Packs an. Diese können von bestehenden Nutzern erstellt werden, um anderen den Einstieg zu erleichtern. Bei den Start Packs handelt es sich um einfache kuratierte Listen von anderen Nutzern, die man zum Folgen empfiehlt. Einige Medienunternehmen präsentieren beispielsweise Listen der eigenen Autoren und Fotografen andere Fotografen. Aber es existieren auch Starter Packs, die Künstler, Let’s Player, Bastler, Podcaster oder Pornostars kuratieren. Eine riesige Liste findet sich hier.
In Zukunft soll zudem ein Dinest namens Sky Follower Bridge den Wechsel von X zu BlueSky erleichtern. Ziel ist es, die Personen aus dem eigenen Netzwerk auf X direkt auf dem Herausforderer auffindbar zu machen, um allen mit einem Klick wieder folgen zu können. Noch werden das wohl nicht allzu viele sein. Denn trotz des aktuellen Ansturms ist die Nutzerschaft von BlueSky im Vergleich mit den 335 Millionen X-Nutzern eher eine Dorfgemeinschaft. Allerdings eine ziemlich bunte. Aber genau damit kommt BlueSky dem ziemlich nahe, was X einmal war: nämlich Twitter.
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