Da der richtige Eurovision Song Contest in diesem Mai ausfallen musste, startete das niederländische Fernsehen einen Ersatz. Dabei traten aber keine Sänger und Bands an, sondern Entwickler mit ihren Künstliche Intelligenzen. Gewonnen hat eine Studierendentruppe aus Australien. Auf dem zweiten Platz landete ein deutsches Team.
Von Michael Förtsch
Eigentlich hätte in diesen Tagen der Eurovision Song Contest, kurz: ESC, stattfinden sollen. Bei dem Gesangswettbewerb der Europäische Rundfunkunion treten alljährlich Liedermacher und Sänger aus den meisten europäischen Staaten, aus Israel und seit 2015 auch aus Australien in einen Wettstreit. Doch wegen der Corona-Pandemie musste der ESC dieses Jahr ausfallen – zumindest in seiner klassischen Form. An seine Stelle traten verschiedene andere Formate, die von TV-Sendern in mehreren Ländern gestartet wurden. Das wohl ungewöhnlichste dabei: der AI Song Contest, bei dem nicht Menschen, sondern Maschinen gegeneinander ansingen durften – und das komplett online. Initiierte wurde die Veranstaltung von der Redakteurin Karen van Dijk vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk VPRO aus den Niederlanden.
Der Einfall soll Karen van Dijk schon vor der Corona-Krise gekommen sein. Denn sie fragte sich nach dem letzten Eurovision Song Contest, ob es wohl eine Formel gäbe, um das perfekte ESC-Lied zu berechnen. Auf diese Idee sind vorher auch schon andere gekommen. Bereits im letzten Jahr wurde mit Blue Jeans And Bloody Tears ein Song auf YouTube veröffentlicht, der von einer Gruppe namens Sweaty Machines komponiert worden sein soll. Die Band gibt es so nicht. Stattdessen versteckt sich dahinter eine Gruppe Musiker und Entwickler aus Israel, die ihn von einer KI aus zahlreichen Songtexten und Melodien, die beim ESC gespielt wurden, neu generieren ließen – und dann einspielten.
In diesem Jahr wurde aus dieser Idee nun also ein gut halbstündiger Wettbewerb, der am gestrigen 12. Mai gestreamt wurde. 13 Teams aus Australien, Schweden, Belgien, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden stellten sich der Herausforderung, Künstliche Intelligenzen singen und musizieren zu lassen. Ausgerichtet wurde der Mini-KI-ESC vom Sender VPRO, dem Radiosender NPO 3FM und dem Innovationslabor des niederländischen öffentlich-rechtlichen Rundfunkbetriebs NPO – und zwar als eine ironisch gebrochene Satire auf das große Vorbild. Gesendet wurde daher aus einer mit Lametta verzierten Ecke des VPRO-Büros. Moderiert wurde das ganze überschwänglich enthusiastisch vom belgischen Comedian Lieven Scheire. Die Teilnehmer waren per Videokonferenz zugeschaltet.
Australia, 12 Points!
Zu den Teilnehmern gehörten von deutscher Seite der mit Flowcast arbeitende Datenwissenschaftler André Röhrig und die Mathematikerin Ullika Scholz. Als Team Ligatur traten sie mit dem Song Offshore In Deep Water an, dessen musikalische Einzelteile von einer Künstlichen Intelligenz generiert wurden. Eingesungen hat den ebenso generierten Text André Röhrig selbst. Auch Richhiey Thomas aus Magdeburg war beim Wettbewerb dabei– als Team OVGneUrovision. Er studiert an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und nutzte unter anderem das Google Creative Lab und Magenta MusicVAE, um seinen Song Traveller in Time zu erzeugen. Als Team Dadabots x Portrait XO traten zudem noch die Technik-Künstlerin Portrait XO, der KI-Experte Zack Zukowski und CJ Carr an, die unter dem Namen Dadabots schon einen YouTube-Channel betreiben, der KI-generierten Death Metal streamt. Sie ließen für ihren Song I’ll Marry You, Punk Come einen SampleRNN-Audio-Generator die Metal-Musik generieren. Für den Text nutzten sie einen Text-Generator, mit dem sich sinnfreie Fake-News erzeugen lassen.
Bewertet wurden die Beiträge von einer Jury aus KI- und Musik-Experten. Darunter Vincent Koops, Datenwissenschaftler und Komponist, die KI-Forscherin und Komponistin Anna Huan und Ed Newton-Rex, Komponist und Leiter des KI-Labors beim TikTok-Erfinder ByteDance. Sie urteilten vor allem darüber, wie kreativ und technisch versiert die intelligenten Werkzeuge eingesetzt wurden. Daneben hatte das Publikum bis zum 10. Mai ebenfalls die Chance, online über die Songs in Kategorien wie Text, Originalität und ESC-Tauglichkeit abzustimmen.
Die Experten waren, wie sie in der Livestream-Sendung sagten, „ziemlich beeindruckt“ von der Vielfalt der Beiträge und der Bandbreite an verwendeten Werkzeugen und Techniken. „Jeder Song war sehr eigen und persönlich“, sagte Anna Huan. Zum Sieger wurde schließlich das australische Team Uncanny Valley gekürt. Die aus Mathematik- und Informatikstudierenden zusammengesetzte Gruppe lieferte einen harmonischen Pop-Song ab, der von der Erholung der Natur nach den Buschfeuern in Australien inspiriert war. Entsprechend sei eine Künstliche Intelligenz nicht nur mit Texten über die Natur, sondern auch Audioschnipseln von Koalas, Tasmanischen Teufeln und Vogelarten wie Jägerliesten trainiert worden. Das deutsche Team Dadabots x Portrait XO landete auf dem zweiten Platz.
Teaser-Bild: VPRO / Uncanny Valley