Dr. Google, Dr. Apple und Dr. Amazon wollen den Gesundheitsmarkt erobern

Wer Daten und digitale Angebote beherrscht, beherrscht auch den Gesundheitsmarkt der Zukunft. Darauf setzen die großen Tech-Konzerne. Wir erklären die Gesundheitspläne von Google, Apple, Amazon & Co. – und die der deutschen Regierung. Am Ende müssen wir uns fragen, wem wir unsere Daten geben wollen.

Von Christian Schweinfurth

Bald können Ärzte ihren Patienten Gesundheits-Apps verschreiben, die von der Krankenkasse gezahlt werden. Und noch viel wichtiger: Genauso bald werden die elektronischen Gesundheitsdaten von 73 Millionen gesetzlich Krankenversicherten in Deutschland weitergegeben – zum Wohle der Forschung und ohne, dass dafür das Einverständnis der Betroffenen gebraucht wird. So wollte es Jens Spahn, CDU, der Bundesgesundheitsminister. Der Bundestag stimmte zu.

Am 7. November 2019 verabschiedete das Parlament ein Gesetz mit dem etwas sperrigen Namen Digitale-Versorgung-Gesetz. Das sieht vor, dass die Daten der Patienten in pseudonymisierter Form an eine zentrale Vertrauensstelle beim Bund der Krankenkassen übermittelt werden. Von dort aus wandern sie an ein „Forschungsdatenzentrum“, wo sie aufbereitet und auf Antrag für Forscher freigegeben werden.

An den Plänen gab es schon im Vorfeld viel Kritik – wegen der fehlenden Widerspruchsmöglichkeit, des mangelnden Schutzes der Daten oder der Gefahr einer sozialen Schieflage. Auch aus der Opposition im Bundestag kamen Zweifel an den Plänen des Ministers auf. Auf die reagierte er so:

„Wenn Google in diesen Tagen Fitbit kauft, dann höre ich von Ihnen nichts. Nichts! Amerikanische Großkonzerne kaufen nach und nach die Gesundheitsdaten der Bürgerinnen und Bürger. (…) Wenn es um Großkonzerne geht, die Geld machen, dann höre ich von Ihnen nichts.“

Unabhängig davon, ob die Vorwürfe von Jens Spahn in Richtung der Opposition richtig sind oder nicht: Ein Punkt trifft auf jeden Fall zu. Amerikanische Großkonzerne häufen seit Jahren Gesundheitsdaten an – für neue digitale Angebote, für Finanzprodukte oder zum Trainieren von Künstlicher Intelligenz. Es winkt ein gigantischer Markt. Und wir zeigen, wie Google, Apple, Amazon und andere schon heute in diesen Vordringen.

Google & Alphabet: Von der intelligenten Windel bis zum Fitnessarmband

Wie man mit neuen Technologien die Gesundheitsbranche aufmischen kann, überlegen sich Google und seine Muttergesellschaft Alphabet schon seit einigen Jahren. Im Konzern ersann man bereits eine Kontaktlinse, die den Blutzuckerspiegel messen soll – musste die Idee aber dann wieder verwerfen. Bei der Google-Schwesterfirma Calico sucht ein Forscherkollektiv nach Möglichkeiten, den menschlichen Alterungsprozess aufzuhalten. Und der Futurist Ray Kurzweil, der als Director of Engineering für Google arbeitet, kann sich Nanoroboter vorstellen, die durch die Blutbahn kreisen und Krankheitserreger identifizieren.

Doch damit endet der Streifzug durch die Gesundheitsprojekte von Google – besser gesagt: des Mutterkonzerns Alphabet – noch lange nicht.

Insbesondere der Ende 2015 gegründete Life-Sciences-Ableger Verily baute sein Portfolio sukzessive aus. Verily entwickelt intelligente Sensoren zur Erkennung von Vorhofflimmern und zur nicht-invasiven Messung des Blutzuckerspiegels. Die Firma bastelt an einer intelligenten Windel und forscht in Kooperation mit Pharmaunternehmen an bioelektronischen Implantaten, die Nervenimpulse abgreifen und auswerten sollen. Außerdem werden Machine-Learning-Algorithmen von Verily für die Erkennung spezifischer Krankheiten und Biomarker trainiert, zum Beispiel zur Vorbeugung koronarer Herzkrankheiten oder zur Synthese neuer Nanopartikel.

Mit der Plattform Project Baseline will Verily eine Art private Version von Jens Spahns Forschungsdatenzentrum etablieren – für Patienten, die bereit sind ihre Daten zu spenden, für Forscher, Kliniken. Auch die kalifornischen Medizin-Startups Freenome und Ciitizen arbeiten mit dem Geld von Verily. Freenome entwickelt ein Verfahren, um herkömmliche Blutproben mittels KI zu untersuchen, um eine mögliche Krebserkrankung zu erkennen. Ciitizen arbeitet an einer persönlichen Gesundheitsakte.

Schon 2016 kam heraus, dass die Alphabet-KI-Tochter DeepMind, die ebenfalls an der Früherkennung von Krebs und anderen Erkrankungen arbeitet, eine Vereinbarung mit dem britischen National Health Service getroffen hatte – für den Zugriff auf 1,6 Millionen Patientendaten. Einen ähnlichen Deal fädelte Google 2017 mit dem University of Chicago Medical Center ein. Und vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass Google im Rahmen der Initiative Project Nightingale Gesundheitsinformationen des größten amerikanischen Non-Profit-Gesundheitsdienstleisters Ascension auswerten kann. Es geht um die Daten von Millionen von US-Bürgern. Unter anderem sollen Laborergebnisse, Diagnosen und individuelle Krankheitsverläufe in die Google Cloud wandern.

2,1 Milliarden US-Dollar ließ sich Google nun die von Jens Spahn erwähnte Übernahme von Fitbit kosten, einem der profiliertesten Hersteller von Fitness-Armbändern, der auch Smartwachtes im Angebot hat. Und das obwohl Fitbit eigentlich in der Krise steckt. Die Vermutung liegt daher nahe, dass es Google nicht um schnellen Profit geht, sondern auch um wertvolle Nutzerdaten, die die Voraussetzung für neue Health-Angebote sind. Schließlich sammeln Fitness-Tracker und Smartwatches die Gesundheitsdaten direkt am Handgelenk. Mit Google Fit verfügt Google zudem bereits über eine Consumer-Gesundheitsplattform, auch der Google Assistant hat Gesundheitsfunktionen im Programm.

Apple: Das EKG in der Apple Watch

Google verfolgt spätestens mit der Fitbit-Übernahme einen ähnlichen Ansatz wie Apple. Für den Tech-Konzern bildet die Apple Watch einen zentralen Baustein der eigenen Consumer-Health-Strategie ist.

Seit Version 4 der Apple Watch, die im September 2018 erschienen ist, liest die Uhr ein 1-Kanal-EKG vom Handgelenk ab. Die Aufzeichnung ist zwar nicht gleichzusetzen mit einem „klassischen“ 12-Kanal-EKG im Rahmen einer ärztlichen Untersuchung. Mit ihr lassen sich aber trotzdem Herzfrequenz und Herzrhythmus bestimmen. Das wiederum lässt Rückschlüsse auf ein mögliches Vorhofflimmern zu. Im Rahmen einer groß angelegten Studie mit 400.000 Teilnehmern konnte die Uhr dann tatsächlich Fälle identifizieren, die später von Medizinern bestätigt wurden. Mit dem in diesem Jahr erschienenen Betriebssystem watchOS 6 führte Apple eine Reihe neuer Gesundheitsfunktionen ein, auch neue Studien sind geplant.

Als zentraler Hub für die Zusammenführung aller Gesundheitsdaten auf dem iPhone dient die Health-App. Schon jetzt zählt die App automatisch die Schritte des Users, zeichnet automatisch die Aktivitätsdaten der Apple Watch auf und ist auch für die Integration mit anderen Gesundheits-Apps ausgelegt. Auch für Apples Gesundheitsstrategie gilt also: Ohne Daten der Nutzer geht kaum etwas.

Seit dem Frühjahr 2018 betreibt Apple außerdem eigene Kliniken für seineMitarbeiter. Und ähnlich wie die Google-Schwesterfirma Verily mit dem Project Baseline, will auch Apple Forschern und Entwicklern dabei helfen, im Rahmen von Studien die Gesundheitsdaten von Teilnehmern zu sammeln. Dafür stellt der iPhone-Hersteller ein Research Kit zur Verfügung.

Amazon könnte Alexa ins Krankenhaus schicken

Schließlich ist auch Amazon bereits in den Gesundheitsmarkt eingestiegen. Wie bei Apple wird auch hier die eigene Belegschaft aktiviert, um Erfahrungen zu sammeln. Mit Amazon Care profitieren die Mitarbeiter des Tech-Giganten in den USA von außerstaatlichen Gesundheitsdienstleistungen in Form einer persönlichen medizinische Betreuung per App. Ärzte können per Video konsultiert und Pflegefachkräfte per Chat zu Gesundheitsthemen befragt werden. Mobile Experten kommen auch persönlich im Büro oder zuhause vorbei, um einzelne Untersuchungen oder Maßnahmen durchzuführen. Näher dran am Kerngeschäft: Medikamente lassen sich per App an die eigene Haustür liefern. Kein Wunder: Vor gut einem Jahr erwarb Amazon die Online-Apotheke PillPack.

Mit Haven Healthcare, einem Joint Venture mit JPMorgan Chase und Berkshire Hathaway, tritt das Unternehmen inzwischen praktisch als Krankenversicherung der Zukunft auf – die sich zunächst nur an die eigenen Mitarbeiter richtet. Kritiker sehen darin einen Überwachungs-Alptraum. Auch das Klinik-Umfeld ist für Amazon interessant. Mit dem Machine-Learning-Tool Amazon Comprehend Medical will Amazon in Zukunft unstrukturierte Patientendaten aus Patientenakten auslesen und daraus medizinische relevante Informationen gewinnen.

Und natürlich spielt auch Alexa eine Rolle. Der Sprachassistent wurde in den USA bereits für die rechtskonforme Übertragung von Gesundheitsdaten wie der Abfrage von Untersuchungswerten fit gemacht und könnte theoretisch schon bald neben jedem Krankenbett stehen, um das Gesundheitspersonal zu entlasten.

Auch Facebook, Microsoft und viele Start-ups mischen mit

Facebook und Microsoft haben ebenfalls bereits mehrere Gesundheitsanwendungen entwickelt. Neue Facebook-Tools sollen zur Blutspende motivieren oder an rechtzeitige Vorsorgeuntersuchungen erinnern. Microsoft geht mit KI- und Cloud-Software-Tools ins Rennen.

Konkurrenz könnten Google, Apple, Amazon & Co. außerdem von hochspezialisierten Gesundheits-Start-ups bekommen, die weltweit entstehen. Ihre Lösungen greifen oft dort an, wo das klassische Gesundheitswesen bisher versagt. Hier sollen stellvertretend nur drei Beispiele genannt werden.

In den USA hat sich Livongo auf die Therapiebegleitung chronischer Krankheiten spezialisiert. Patienten sollen mithilfe personalisierter KI-Modelle, die medizinische Krankheitsindikatoren im Alltag überwachen, so unterschiedliche chronische Leiden wie Diabetes, Bluthochdruck oder auch Übergewicht besser in den Griff bekommen.

In Deutschland will das Unternehmen Telepark Patienten mit fortgeschrittener Parkinson-Erkrankung über einen Tele-Dienst enger, aber ortsunabhängig mit Ärzten vernetzen, um ihnen ein selbstbestimmteres Leben zu ermöglichen. Dazu werden, zum Beispiel, über einen Strumpf kontinuierlich Daten zur Ganganalyse erhoben. Alzheimer-Datenstudien will das Gesundheits-Startup neotiv aus Magdeburg auf den Weg bringen. So soll auf der Basis von neu entwickelten kognitiven Tests, die spezielle Hirnregionen zum Speichern von Erinnerungen abfragen, die Krankheit langfristig früher erkannt und besser überwacht werden können.

Der Erfolg für die Tech-Konzerne ist nicht vorprogrammiert

Am Ende wird sich der Erfolg von vielen dieser Innovationen nur einstellen, wenn viele Menschen auf Dauer bereit sind, privaten Unternehmen Ihre Gesundheitsdaten zu geben. Selbstverständlich ist das nicht, das mussten selbst zwei der größten Tech-Konzerne bereits feststellen.

Google Health, die seit 2006 entwickelte elektronische Gesundheitsakte von Google, die nur im englischsprachigen Raum verfügbar war, wurde zum im Januar 2012 eingestellt. Auf ihr konnten medizinische Untersuchungsdaten erfasst und ausgewertet werden, zum Beispiel, um vor Wechselwirkungen von Medikamenten oder Allergien zu warnen. Auch Microsoft versuchte sich seit 2007 an einer digitalen Gesundheitsakte, in der Nutzer ihre medizinischen Daten sammeln konnten. Vor wenigen Wochen, am 20. November 2019, wurde HealthVault dann offiziell eingestellt.

Der Misserfolg dieser Projekte könnte darin begründet sein, dass sie nicht allzu viel Mehrwert lieferten. Doch wie werden sich die Nutzer verhalten, wenn sich das bei zukünftigen Apps und Diensten ändert? Vielleicht geben die Nutzer in Deutschland ja nur einer Stelle ihre Daten: dem Forschungsdatenzentrum von Jens Spahn. Weil sie gar nicht anders können.

Titelbild: Getty Images

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Gute Beobachtung!

In Theorie ist das Abgeben von Gesundheitsdaten sehr sinnvoll (unter der Annahme, dass damit kein Missbrauch geschieht). Die KI-unterstützten Diagnose und perspektivisch auch individualisierten Echtzeit-Behandlungsmöglichkeiten sind gigantisch. Aus dieser Sicht ist es fast unverantwortlich die Daten nicht irgendwo verfügbar zu sammeln in steuerbarer Qualität!

Es gibt wohl auch kaum ein größeres Potential als die Volkskrankheiten im Herz-Kreislauf Bereich zu behandeln. Und dafür taugen Medikamente kaum - allerdings eine geführte und bessere Art zu Leben. Also digitale Coaches wie sie im Apple Universum entstehen.

Dennoch spannend, dass die ersten Anläufe wo es rein um Datenabgabe geht mit einer Langfristperspektive und Vorteilen wie oben geschildert einfach gescheitert sind. Jedoch eine Apple Watch einschlägt! #ShortTermThinking und #TrojanHorse

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Eine sehr gute Ergänzung zum Text – danke dafür @ChrisS – ist gerade bei den RiffReportern erschienen. Ein Interview mit Peter Dabrock, dem Vorsitzenden des Deutschen Ethikrats. Darin lehnt er die Sammlung von Gesundheitsdaten und auch die Verknüpfung dieser Informationen mit anderen persönlichen Daten, zum Beispiel der Suchhistorie, überhaupt nicht grundlegend ab. Betont sogar, dass sich dadurch Vorteile ergeben können. Er stellt aber auch klar, dass nichts davon ohne Zustimmung der betroffenen Personen passieren darf – und äußert sich entsprechend kritisch darüber, welche Datensätze Google inzwischen nutzen darf.

Wollen wir endlich damit ernst machen, dass Personen als Datensubjekte auch Co-​Manager ihrer Daten bleiben? Oder müssen wir damit leben, dass einmal gegebene Daten, frei von der Kontrolle der betroffenen Personen, zweit-​, dritt-​ und viertverwertet werden? Letzteres hielte ich in bei hochsensiblen Gesundheitsdaten für äußerst beunruhigend.

Hier gibt’s das ganze Interview.

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Top Thema! Wenn Ihr Euch für die Perspektive der deutschen Experten-Community zum Thema #KI in der #Gesundheit interessiert, empfehle ich Euch unbedingt den neuen Bericht der Plattform Lernende Systeme dazu, die wir bei acatech koordinieren. Dort sind Grundlagen, Anwendungsszenarien und Gestaltungsoptionen skizziert: https://www.plattform-lernende-systeme.de/files/Downloads/Publikationen/AG6_Bericht_23062019.pdf

Welche besonderen Anforderungen sich an die Dateninfrastruktur ergeben, haben wir beispielhaft anhand dreier Use Cases auch im Kontext von #GaiaX dargestellt (S. 28-33): https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Digitale-Welt/das-projekt-gaia-x.pdf?__blob=publicationFile&v=22

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Ich glaube es wäre wichtig, dass man solche System schnell umsetzt und auf neu-deutsch für „Traction“ sorgt. Was muss man tun, um Ideen von Papier in eine solche Realität zu bringen?

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Was ich auch spannend finde, dass alle PKK zusammen einen dreistelligen Millionenbetrag in den nächsten 5 Jahren in Startups in Deutschland investieren wollen bzw damit konkret loslegen. Im Kern steht vor allem der Patient und Digitalisierung aller Leistungen rund um KK-relevanten Themen. Hier werden Daten eine Hauptrolle spielen, bin gespannt, wie weit man hier gehen wird!

@justherb hier werden auch vor allem Startups unterstützt, die schnell eine Traktion zeigen können.

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Meinst du das Digitale Versorgungsgesetz von Jens Spahn? Schon ganz cool, dass Krankenkassen 12 Monate erstmal eine App als Leistung bezahlen. Dann müssen die Apps aber auch beweisen, dass der Service hilft. Sonst ists aus mit den Zahlungen.

Wäre noch cool wenn man eine Datenplattform auf die Beine stellt, in der vieles von Privacy bis Zugriff und Datenqualität richtig gemacht wird, sodass Digital Health wirklich vorankommt!

Ob Apps hierbei helfen, indem die Daten, die sie sammeln werden zB zugänglich sind, weiss ich nicht.

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Nope, ich meine den neuen VC Fonds, der komplett von den PKKs gemeinsam getragen wird und diese Modelle pushen soll!

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