Darum hat eine Firma aus Sachsen ein Motorrad für den Mond gebaut

Ein kleines E-Motorrad-Unternehmen aus Dresden hat ein Mondmotorrad gebaut. Inspiriert ist es vom Konzept eines russischen Industriedesigners. Dass es irgendwann wirklich über den Erdtrabanten sausen wird, ist jedoch eher unwahrscheinlich.

Von Michael Förtsch

Seit dem Jahr 1972 hat kein Mensch mehr den Mond betreten. Das soll sich in den kommenden Jahren ändern. Möglichst schon 2024 will die NASA mit dem Artemis-Programm wieder Amerikaner auf den Erdtrabanten bringen – wobei sich immer deutlicher abzeichnet, dass der Termin wohl nicht zu halten sein wird. Dennoch verspricht die US-Raumfahrtbehörde, dass eine neue Ära der Erkundung und auch Nutzbarmachung des Mondes und seiner Ressourcen bevorsteht. Und dafür braucht es auch die passende Ausrüstung. Vor allem sollen die Astronauten weiter und länger auf Forschungstour gehen als es mit dem Mondauto Lunar Roving Vehicle vor 50 Jahren der Fall gewesen war. Deswegen arbeiten schon jetzt mehrere große Fahrzeugbauer an Vorschlägen und Konzepten für moderne Mondvehikel. Aber auch ein Unternehmen aus dem sächsischen Dresden hat einen Vorschlag: ein Motorrad!

Das sogenannte Tardigrade verfügt über zwei 17 Zentimeter breite Räder, die mit segmentierten Laufflächen aus Polyurethan versehen sind. Eine klassische Karosserie hat es nicht. Die Struktur wird stattdessen von einem Basisrahmen aus Aluminium, einem Exoskelett aus Stahlrohren und Plastikverbundteilen aus einem 3D-Drucker vorgegeben. Die interne Steuerelektronik, das Antriebssystem und die Batterie werden von einer kälte- und hitzeresistenten Hülle aus metallisierten Kevlar geschützt, die mit einem breiten NASA-Schriftzug versehen ist. In das Konzept floss viel Zeit und Kreativität: Von Januar bis August 2021 arbeitete das mehrköpfige Team von Hookie am Tardigrade. Das Unternehmen ist 2015 als Manufaktur für individuelle Motorradanfertigungen gestartet. Heute, sagt Co-Firmengründer Nico Müller, sei das von seiner Frau Sylvia und ihm geleitete Unternehmen aber eher „ein Think Tank im Bereich Motorrad und urbane Mobilität“.

Die Idee für das Tardigrade stammte allerdings nicht aus Sachsen, sondern aus Russland. Dort hatte der Moskauer Industriedesigner Andrey Fabishevsky inspiriert vom Artemis-Programm, aber auch von den ambitionierten Missionen der 1970er und deren Technologie ein hypothetisches Mondmotorrad entworfen. Das bekam im Internet viel Aufmerksamkeit und wurde vielfach geteilt. „Ich bin über Instagram auf das Konzept von Andrey aufmerksam geworden und tatsächlich war dann dieser Moment: ‚Das muss ich bauen‘“, so Müller im Interview mit 1E9. „Danach ging es relativ schnell.“ Denn sowohl die Hookie-Mitgründerin Sylvia Müller als auch das Team waren von der Idee begeistert. Und auch der russische Designer sei sehr angetan gewesen.

Schwerer als gedacht

Vom ersten Blick auf das von Andrey Fabishevsky als Fingerübung gestaltete Mondmotorrad bis hin zum Beginn der konkreten Planung seien nur wenige Tage vergangen. „Dank Instagram habe ich Andrey relativ schnell kontaktieren können“, sagt Hookie-Gründer Nico Müller. Bei einem Video Call nur ein bis zwei Tage später sei dann die kreative Zusammenarbeit besiegelt worden. Daraufhin musste die digitale Konzeptstudie des Industriedesigners in einen Plan für ein echtes Fahrzeug umgesetzt werden, das sich auch wirklich zusammensetzen und fahren lässt. Über drei Monate habe es alleine gedauert, die nötigen Bauelemente auszutüfteln, Maße festzustellen und dann in einem 3D-CAD-Programm zu gestalten.

Dazu musste das Team des sächsischen Motorradbauers bei jedem Bauteil auch die grundlegende Idee des Vehikels im Hinterkopf behalten. Nämlich, dass dieses Fahrzeug möglichst auf dem Mond funktionieren soll und auch dorthin transportiert werden könnte. „Das gesamte Tardigrade ist [daher] auf Leichtbau getrimmt“, sagt Müller. „Gerade bei den Rädern haben wir enorm gespart und eine luftlose Reifenkette entwickelt.“ Die sei auch die größte Herausforderung gewesen. Denn eigentlich hatte das Hookie-Team gehofft, auf vorhandene Teile zurückgreifen zu können – aber hatte selbst nach langem Suchen einfach nichts Passendes oder Brauchbares gefunden. Auch die Räder, auf denen sich die Reifenkette befindet, wurden eigens angefertigt.

„Ich hatte vorher noch nie Räder gebaut und musste erst einmal überlegen, wie wir das gewünschte Ergebnis erzielen und Stabilität erhalten“, meint Müller. Während der eigentlichen Konstruktion ab März 2021 habe das Team quasi nebenbei gelernt, wie Räder gestaltet werden, und von Grund auf 60 Zentimeter durchmessende Leichtbau-Aluminium-Räder mit einem stabilisierenden Gittermuster ausgetüftelt. Das sei auch der Moment gewesen, in dem sich die Truppe bewusst wurde, dass das gesamte Projekt wohl etwas größer und aufwendiger werden wird als ursprünglich gedacht. Denn auch weitere Elemente wie Radialdämpfer und den Hinterradantrieb mussten, wie sich zeigte, für das Mondmotorrad neu konzipiert und in Handarbeit hergestellt werden.

Kein Motorrad für Elon Musk

Nicht alles am Lunar Bike ist handgefertigt. Für einige der essentiellen Einzelteile konnte Hookie auf bewährte Zulieferer aus der Industrie zurückgreifen. Insbesondere, was den E-Motor und die Steuerung angeht. Der elektrische Antriebsstrang kommt vom schwedischen E-Bike-Bauer Cake, der für seine spartanischen Motorräder bekannt ist. Konkret, meint Müller, handle es sich um einen Cake-Ösa-Motor. Der kommt eigentlich in kleineren Rollern zum Einsatz und wurde für die Ansprüche und den selbst entwickelten Riemenantrieb des Tardigrade angepasst. Unter anderem wurde die eigentlich bei 45 Kilometern pro Stunde liegende Höchstgeschwindigkeit auf 15 Kilometer pro Stunde gedrosselt. Dadurch wurde die mit der 50-Amperestunden-Batterie mögliche maximale Reichweite von 90 Kilometern auf 110 Kilometer gesteigert. Damit wäre das Mondmotorrad für weitere Forschungsausflüge gut geeignet.

Auch sonst scheint das Tardigrade für eine Mondmission ziemlich ideal. Mit 2,6 Metern Länge und einem Gewicht von 134 Kilogramm ist es etwa deutlich platzsparender und leichter als ein komplettes Mondauto – und damit im Transport zum Erdtrabanten um ein vielfaches günstiger. Dass das sächsische Mondmotorrad aber wirklich irgendwann durch den grauen Staub unseres felsigen Nachbarn rauschen wird, daran glaubt Müller nicht. Und das sei auch nicht das Ziel des Projektes gewesen. Es sei vielmehr darum gegangen, eine Idee in die Realität zu hieven, die viele Menschen begeistert. Das Projekt solle zum Träumen und Spekulieren anregen, wie die Zukunft der Menschheit im All ausschauen könnte.

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Dennoch bestärkt Müller, dass das Tardigrade „so authentisch wie möglich gebaut und auch bei der Materialwahl großer Wert darauf gelegt [wurde], dass es in Extremumgebungen wie dem Mond funktionieren sollte.“ Ebenso sei das Team bei der Konstruktion einige Male mit dem Jet Propulsion Laboratory und der NASA in Kontakt gewesen – da das Motorrad schließlich den Namen der Weltraumbehörde auf der Seite trägt. Und eigentlich wollte Hookie das Motorrad auch Elon Musk vorstellen. „Aber wir haben gesagt bekommen, dass Elon keine Motorräder mag“, meint Müller. Dass sich aus dem futuristischen Motorrad vielleicht dennoch mehr entwickeln könnte, das will der Dresdner nicht ganz verneinen. Er hat durchaus Hoffnung. Ein echter Auftrag für ein Mondmotorrad, sagt er, wäre „natürlich ein Traum für mich“.

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Teaser-Bild: J.Konrad Schmidt

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