Ständig unterwegs, am Steuer sicherer als jeder Mensch und ein Parkplatz ist auch nicht nötig. Selbstfahrende Autos, Taxis und Busse könnten in Städten dafür sorgen, dass viel Platz frei wird. Architekten und Planer wollen den nutzen – und zwar, um die urbanen Zentren wieder menschlicher zu machen. Welche Ideen und Anregungen habt ihr?
Von Michael Förtsch
Nahezu alle modernen Städte wurden um ein ganz bestimmtes Verkehrsmittel herum geplant: das Automobil, mit dem täglich Millionen von Menschen in die urbanen Zentren hinein und später wieder herausfahren. Daher sind Städte, obwohl sie verdichtete Lebensräume darstellen, von breiten Straßen durchzogen, die links und rechts auch noch von Parkplätzen und Parkhäusern flankiert sind.
Wie es aussieht, werden die Städte auch in Zukunft von Autos durchflutet sein. Die werden sich allerdings in den kommenden Jahrzehnten grundlegend ändern. Denn sie werden immer seltener einen menschlichen Fahrer brauchen. Autonome Fahrzeuge sollen ihren Weg schließlich ganz alleine finden – selbst, wenn sich das derzeit als komplizierter herausstellt, als ursprünglich gedacht.
Geht es nach Start-ups, Tech-Konzernen, Mobilitätsanbietern und selbst nach einigen Autobauern, werden die selbstfahrenden Wagen eher selten Privatfahrzeuge sein. Stattdessen soll es sich um Sharing-Autos, Robotaxis oder autonome Shuttles handeln, die per App dahin gerufen werden, wo sie gerade gebraucht werden. Die Art und Weise, wie wir uns durch die Städte bewegen, wird sich also nachhaltig ändern. Das wird auch an den Städten nicht spurlos vorübergehen.
Schließlich wird sich mit neuen Mobilitätsformen und Nutzungsgewohnheiten auch der Anspruch an die Infrastruktur transformieren. Und das könnte schneller gehen als gedacht. Selbst wenn die Antwort auf die Frage, wann autonome Autos und Taxis fester Bestandteil des Straßenverkehrs sein werden, ganz unterschiedlich ausfällt – je nachdem, wen man fragt: Bereits 2034 könnten autonome Autos zehn Prozent aller verkauften Fahrzeuge ausmachen, wie eine Umfrage unter Forschern und Experten ergab.
Shuttlebusse wie dieser vom finnischen Start-up Gacha könnten die autonome Mobilität in den Städten einleiten.
Schon deutlich früher könnten selbstfahrende Shuttlebusse unterwegs sein, die mehr oder minder feste Routen abfahren. Die seien „nicht mehr als ein paar Jahre“ davon entfernt, in ersten Städten zum Alltagsverkehrsmittel zu werden. Das meint zumindest Harri Santamala, der Gründer des finnischen Start-ups Sensible4, das mit dem Gacha gerade einen Shuttlebus auf öffentlichen Straßen erprobt. Gleiches tut das französische Start-up Navya, das dafür mit Städten wie Lauenburg in Schleswig-Holstein, der Inselgemeinde Sylt oder dem schweizerischen Sitten zusammenarbeitet. Und auch der zu Volkswagen gehörende Bus-Dienst MOIA soll in nicht allzu ferner Zukunft ohne Fahrer und stattdessen mit Computer am Steuer seine Passagiere befördern.
Da Stadtplanung eine eher langwierige Sache ist, sollten solche Innovationen schon heute mitgedacht werden.
Fahren und nicht parken
Der große Unterschied, den autonome Autos irgendwann machen sollen, ist recht einfach. Idealerweise sind sie ständig unterwegs und halten nur kurz, um Passagiere abzusetzen und abzuholen – werden sie nicht gebraucht oder müssen laden, können sie außerhalb der Städte einen Ort dazu finden. Das soll langfristig nicht nur für Robotertaxis und -shuttles gelten, sondern auch für private PKW, die für ihre Besitzer als Car-Sharing-Fahrzeuge während der Arbeitszeit selbstständig etwas dazu verdienen. Dadurch würden in den Städten viele Parkplätze, Parkhäuser und auch Garagenanlagen überflüssig. Denn Parken wäre nicht nur unnötig, sondern auch unökonomisch. In einigen Städten, in denen testweise autonome Fahrzeuge umherzirkeln, und von verschiedenen Instituten werden schon Umnutzungs- und Umwandlungmöglichkeiten für die dadurch entstehenden Freiräume debattiert.
Denn es geht um eine Menge Platz. In der 3,9-Millionen-Einwohner-Metropole Los Angeles sind derzeit rund 70 Quadratkilometer für das Parken von Autos reserviert – die Parkstreifen entlang der Straßen sind dabei nicht einmal mitgerechnet. Das ist etwas mehr als die Stadtfläche von Bayreuth. Die Parkfläche im 5,7-Millionen-Einwohner-Stadtstaat Singapur bewegt sich Schätzungen zufolge in ähnlichen Dimensionen. In deutschen Städten sind die Zahlen kleiner, aber dennoch bemerkenswert. In München werden 12,15 Prozent der Verkehrsflächen und damit rund 5,3 Quadratkilometer als Parkraum ausgewiesen. Und in Berlin steht fürs Parken zehnmal so viel Platz zur Verfügung wie für Spielplätze.
Bis zu 70 Prozent dieser riesigen Parkplatzflächen könnten bei einer „weiten Verbreitung selbstfahrender Autos“ frei werden, das ergab eine Simulation des Senseable City Lab des Massachusetts Institute of Technology.
Je nach Stadt wäre das genug Platz, um Wohnraum für Hunderte, Tausende oder sogar Zehntausende Menschen zu schaffen. Erste Architekten schlagen vor, ungenutzte Parkhäuser zukünftig in günstige Appartement-, Büro- und Sozialwohnungsanlagen umzuwandeln. Die Städte würden dadurch noch dichter und belebter werden. Aber auch als innerstädtische Gewächshäuser, vertikale Gärten und Farmen würden die Parkhäuser taugen. Aus klassischen Parkplätzen wiederum könnten kleine Parks werden, die nicht nur der Erholung, sondern auch als CO2-Filter und biologische Kühlaggregat dienen. Vor allem im Zuge des Klimawandels könnten diese dafür sorgen, dass sich große Städte im Sommer weniger drastisch erhitzen. Und schicker und lebenswerter aussehen würden die Städte damit auch.
Roboterautos brauchen auch weniger Fahrbahn
Aber nicht nur die Parkfläche könnten zum Teil verschwinden und umgewandelt werden. Denn autonome Fahrzeuge sollen sich schließlich auch sicherer und akkurater fortbewegen als Wagen mit menschlichen Fahrern am Steuer. Klappt das, würde noch mehr Fläche frei werden – auf den Straßen selbst. Roboterautos bräuchten weniger Sicherheitsabstand, könnten also enger nebeneinander fahren. Die Fläche zwischen den Spuren und die Spuren selbst könnten verschmälert werden.
In manchen Großstädten würden dadurch über eineinhalb Meter breite Spuren entlang bestehender Autoverkehrswege frei – in den großen US-Metropolen mit ihren Riesenfahrbahnen sogar noch mehr. Und damit würde fast automatisch Platz für Rad- oder E-Rollerfahrbahnen geschaffen. Für Verkehrsmittel also, die sich immer stärker in Metropolen etablieren und allmählich von Lokalregierungen befördert werden. Zusätzlich würden sich die autonomen Fahrzeuge damit selbst, den Platz freigeben, den sie brauchen. Nämlich für Kurzzeithalteflächen – oder sogenannte Drop-off-Zones, die an besonders frequentierten Orten nötig würden, um Fahrgäste schnell ein- und aussteigen zu lassen.
Nach einer Studie von Roman Zakharenko von der Higher School of Economics in Moskau werden die autonomen Fahrzeuge durch die schmaleren Fahrbahnen und breiteren Geh- und Radwege den Fuß- und Radverkehr immens befeuern – und dadurch auch die potentielle Laufkundschaft in den Innenstädten vergrößern. „Wir werden eine Verstärkung in der ökonomischen Dichte erleben, einhergehend mit einer Produktivitätssteigern“, schreibt Zakharenko. Behält er Recht, könnte sich das Aussterben der Innenstädte, das vielerorts beklagt wird, ins Gegenteil verkehren. Das gälte auch für Nachtclubs, Kneipen und Lokale.
Werden aus Auto-zentrierten Städten wieder Menschen-zentrierte Städte?
Geht es nach Stadtplanern wie David De La Torre aus Phoenix, Arizona, wo Waymo seine autonomen Taxis erprobt, bedeuten diese eine große Chance. Es eröffne sich „die Möglichkeit, unsere Städte schöner zu machen, in dem wir diese ganzen Parkflächen loswerden und etwas ästhetisch besseres schaffen“, meint De La Torre. Die selbstfahrenden Wagen könnten dabei helfen, selbst wenn es paradox klinge, Auto-zentrierte in Fußgänger-, Fahrrad- und Roller-zentrierte Städte zu verwandeln.
Natürlich wird das nicht von jetzt auf gleich geschehen. Selbst wenn sich die ersten autonomen Fahrdienste tatsächlich schnell etablieren sollten, wird es dauern, bis sie in voller Breite sicht-, spür- und nutzbar werden. Die Prognosen reichen hier von 20 über 30 bis hin zu 50 und mehr Jahren. Mitgedacht werden muss diese Technologie aber schon jetzt. Denn es geht nicht nur darum, die Städte auf eine neue Technologie vorzubereiten. Sondern auch darum, die Städte für jene wohn- und lebenswerter zu machen, die dort ihr zu Hause haben.
Die hier vorgestellten Ideen und Studien sind nur ein schmaler und scheuer Blick in die mögliche Zukunft – und viele Fragen sind noch offen. Was sind also eure Ideen? Wie könnte und sollte man den neuen Freiraum nutzen? Oder glaubt ihr, dass es vielleicht doch alles anders kommen könnte?
Dieser Artikel ist Teil des 1E9-Themenspecials: Fahren 2035. Wir und die Roboterautos. Alle Texte und Diskussionen und Mobilitäts-Expertinnen und -Experten aus unserer Community findest du hier!Teaser-Bild: Waymo
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