Die Suche nach einem Impfstoff gegen das Coronavirus geht voran. Eine Kampagne will nun Tests und damit eine mögliche Zulassung beschleunigen. Dafür haben sich schon 15.000 Freiwillige gemeldet, die sich zu Forschungszwecken mit dem Virus anstecken lassen würden.
Von Michael Förtsch
Weltweit arbeiten mittlerweile mehr als 100 Forscherteams an einem möglichen Impfstoff gegen das neuartige Coronavirus. Erste klinische Studien haben bereits begonnen. Mit im Rennen ist auch ein Wirkstoff des deutsche Forschungsunternehmens Biontech, das mit dem US-Pharmakonzern Pfizer zusammenarbeitet. Dennoch kann es noch mehrere Monate dauern, bis ein erster Impfstoff ausführlich erprobt und für den breiten Einsatz freigegeben werden kann. Eine Kampagne, die vom US-amerikanischen Doktoranden Chris Bakerlee von der Harvard University gestartet wurde, will den nun Prozess beschleunigen. Er sucht Menschen, die ihre Gesundheit oder gar ihr Leben riskieren würden, um potenziell andere zu retten.
Die Kampagne 1Day Sooner hat das Ziel, umfangreiche Testläufe von verschiedensten Impfstoffkandidaten an Freiwilligen zu ermöglichen – sogenannte Human Challenge Trials. Bei diesen werden den Kandidaten zunächst noch unerprobte Impfstoffe verabreicht, um sie anschließend dem Virus auszusetzen. Um das Risiko möglichst niedrig zu halten, sollen die Freiwilligen zwischen 20 und 45 Jahren alt sein und keine Vorerkrankungen aufweisen. In klassischen klinischen Studien an Impfstoffen werden die Kandidaten einem Virus nicht offensiv ausgesetzt. Stattdessen müssen die Probanden dem Virus in ihrem Alltag auf natürlichem Wege „begegnen“, etwas das den Beweis der stichhaltigen Wirksamkeit verzögert.
Chris Bakerlee argumentiert, dass Tests mit Freiwilligen das Risiko wert wären. Denn derzeit könnte bereits eine frühere Zulassung eines Impfstoffes um nur einen Tag über 7.000 Leben retten. Bislang haben sich mehr als 15.000 Menschen aus über 100 Ländern auf der Website von 1Day Sooner registriert. Bei diesen handelt es sich nicht um sichere Kandidaten für Impfstofftests, sondern um Interessenten, die sich für Forscherteams zur Verfügung stellen würden. Jedenfalls für den Fall, dass solche Tests tatsächlich stattfinden sollten. Denn Human Challenge Trials sind unter Wissenschaftlern aus gutem Grund umstritten.
Auch einige Wissenschaftler halten Menschenversuche für sinnvoll
Offensive Tests von Impfstoffen und Medikamenten an Menschen, die anschließend einer Infektion ausgesetzt wurden, hat es in der Geschichte häufig gegeben. Oftmals waren die Probanden nicht einmal darüber informiert, dass sie Teil einer Studie sind. Stellenweise wurden solche Versuche wie die Syphilis-Menschenversuche in Guatemala erst nach Jahrzehnten aufgedeckt und aufgearbeitet. Auch in der Bundesrepublik gab es um 1975 Versuche, bei denen nicht zugelassene Medikamente ohne Zustimmung oder Wissen der Eltern an Kindern oder auch Heimkindern getestet wurden. Wie weitreichend die Folgen für die Betroffenen und ihren Familien waren, das ist bis heute in vielen Fällen nicht ganz geklärt.
Chris Bakerlee erklärt auf der Seite der Kampagne, dass man sich derartiger Fälle bewusst sei. Aber ebenso verweisen die Anhänger auf vergangene Menschenversuche wie mit dem Denguefieber oder Cholera, bei denen das Prinzip freiwilliger Probanden äußerst hilfreich, wenn nicht sogar essenziell gewesen sei. Tatsächlich halten auch einige Forscher Testreihen mit freiwilligen Teilnehmern für ein probates Mittel, um die Pandemie zu bekämpfen. Dadurch könnten „viele Monate der Zeit für das Zulassungsverfahren eingespart werden“, heißt es in einer Studie, die bereits im März im The Journal of Infectious Diseases veröffentlicht wurde. „Wir argumentieren, dass solche Studien durch eine beschleunigte Impfstoffauswertung die globale Belastung durch Coronavirus-bedingte Mortalität verringern könnten.“
Die Weltgesundheitsorganisation sieht Human Challenge Trials sehr kritisch. Denn obschon solche Versuche zu „lebenswichtigen wissenschaftlichen Erkenntnissen beigetragen haben, die zu Fortschritten bei der Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen geführt haben“, würden sie leicht mit dem „Leitprinzip in der Medizin in Konflikt geraten, keinen Schaden anzurichten“. Wenn sie also stattfinden sollten, müssten sie in einem sehr klar abgesteckten ethischen Rahmen angegangen werden. Der zu erwartende Nutzen müsse eindeutig den zu befürchtenden Schaden für die Teilnehmenden überstiegen.
Teaser-Bild: Getty Images / Radoslav Zilinsky