Zahlreiche Menschen erinnern sich an Filme und Ereignisse, die es so nie gab. Oder sie sind überzeugt, das Logos bekannter Firmen oder Zeichentrickfiguren eigentlich anders aussehen müssten, als sie es tun. Das Phänomen ist als Mandela Effect bekannt. In einer Studie haben Forscher diesen nun untersucht. Eine eindeutige Erklärung haben sie aber nicht gefunden.
Von Michael Förtsch
Nicht wenige Menschen erinnern sich lebhaft an TV-Berichte darüber, dass Nelson Mandela in den 1980ern als politischer Gefangener in Südafrika verstorben ist. Sie glauben, Bilder Nachtrichtsendungen, Trauermärsche und Ansprachen von Politikern zum Tod von Mandela gesehen zu haben. Doch das ist nie passiert. Stattdessen wurde Mandela im Jahr 1990 aus der Haft entlassen und 1994 zum Präsidenten des Landes gewählt. Er verstarb 2013 in Johannesburg. Solche kontrafaktischen Erinnerungen, die kollektiv von vielen Personen geteilt werden, sind als Mandela Effect bekannt. Und von ihnen gibt es zahlreiche mehr. Viele sind felsenfest überzeugt, dass im Logo der Modemarke Fruit of the Loom ein Füllhorn zu sehen ist, der Monopoly-Mann ein Monokel trägt oder Darth Vader „Luke, ich bin dein Vater!“ sagt. Aber all das ist falsch.
Das Phänomen wird von manchen teils scherzhaft, teils sehr ernst als Hinweis auf Paralleluniversen oder Fehler in der Matrix interpretiert, also als Indiz für die Möglichkeit, dass die gesamte Menschheit in einer Computersimulation existiert. Wie eine Studie von Wissenschaftlern der University of Chicago nun attestiert, ist der Mandela Effect im Kern durchaus real. Sie ließen dafür 100 Probanden 40 verschiedene Bilder mit einem Gesellschafts- und Popkultur-Bezug betrachten, die in jeweils drei verschiedenen Fassungen abgebildet waren. Unter den Bildern waren unter anderem der Monopoly-Mann, das VW-Logo oder auch Pikachu aus den Pokémon -Videospielen und der dazugehörigen Serie. Für den Versuch wurden sowohl Farben, Formen als auch Positionen von Bildelementen geändert. Ebenso wurden Varianten eingestreut, wie sie bereits in Mandela-Effekt-Berichten vorkommen.
Die Forscher baten die Freiwilligen, die „echten Bilder“ auszuwählen und anzugeben, wie sicher sie sich bei ihrer Wahl sind – und wie gut bekannt ihnen das jeweilige Motiv ist. Bei sieben Bildern stellten die Forscher fest, dass die Probanden in großer Anzahl ein manipuliertes Motiv als „korrekt“ identifizierten – und zwar jenes, wie es bereits in bekannten Mandela-Effekt-Berichten vorkommt. Die Forscher nannten diese Bilder VMEs – visuelle Mandela Effekte. Darunter sind der Monopoly-Mann, das Fruit-of-the-Loom-Logo und der Star-Wars-Roboter C3PO, der laut den Studienteilnehmern zwei goldene statt einem goldenen und einem silbernen Bein haben müsste. Gemäß den Forschern waren diese geteilten falschen Erinnerungen „überraschend spezifisch“.
Keine eindeutige Erklärung
In weiteren Experimenten baten die Wissenschaftler mehrere Studienteilnehmer, ausgewählte Motive zu studieren und sich einzuprägen. Etwa, um das Motiv anschließend zu zeichnen oder dann aus einem Set von zwei Bildern „das richtige Bild“ auszuwählen. Auch hier waren viele der Studienteilnehmer überzeugt, dass die Mandela-Effekt-Version eigentlich die richtige sei – obwohl sie das richtige Bild gerade erst gesehen hatten. „Diese Ergebnisse zeigen, dass es bestimmte Bilder gibt, bei denen Menschen immer wieder den gleichen Erinnerungsfehler machen“, so die Studienautoren.
Ein Hinweis auf Fehler in der Matrix oder parallele Welten sei das aber eher nicht. Die Forscher gehen eher davon aus, dass zumindest im Falle von falsch erinnerten Logos und anderen Motiven, die „spezifischen Fehler spontan erzeugt“ werden. Es sei wohl „kein Wahrnehmungsphänomen“ der Grund dafür, dass Personen sich fehlerhaft an Motive wie das Fruit-of-the-Loom- oder VW-Logo erinnern. Denn diese These „scheitert daran, die Konsistenz und Spezifik der VMEs“ zu erklären, auch wenn falsche Erinnerungen – etwa unterbewusste Assoziation mit einem vergleichbaren Logo oder ähnlichen Motiven in einem andern Kontext – eine Teilrolle spielen könnten.
Die Forscher legen eher nahe, dass visuelle Mandela-Effekte möglicherweise durch einen Prozess erzeugt werden, bei dem das Gehirn versucht, „Wahrnehmungslücken“ mit schematischem Wissen zu füllen. Bei einer solchen visuellen Konfabulation werden etwa Flächen erkannt, die „leer“ wirken, und dann automatisch mit einem Element gefüllt – etwa der Schwanz von Pikachu, der in der Überzeugung vieler eine schwarze Spitze hat. Jedoch ist unklar, wie es nun dazu kommt. Die Forscher schreiben, dass bei einigen Motiven dedizierte Merkmale zu oft auftraten, zu spezifisch oder auch zu untypisch im Rahmen einer Bildkomposition seien, um es auf einen Erinnerungsfehler zurückzuführen.
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Jetzt Mitglied werden!Ein anderer Erklärungsansatz ist, dass sich Personen tatsächlich an das falsche Motiv erinnern, weil sie es gesehen und sich eingeprägt haben. Beispiele seien Fan-Zeichnungen von Pikachu. Hierbei könnte der Mandela-Effekt selbst auch ein Treiber sein, da die falschen Motive im Rahmen der Diskussion geteilt und verbreitet werden. Die Ursache des Mandela Effekts ist im Gros also ungeklärt, aber lässt sich wohl mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht auf einen einzigen Faktor zurückführen, sondern auf mehrere verschiedene Mechanismen im menschliche Denk- und Wahrnehmungsapparat. Daher plädieren die Forscher für weitere Studien. Denn: „Die Untersuchung des Mandela-Effekts als psychologisches Phänomen könnte Aufschluss über das Wesen von Gedächtnisrepräsentationen und die Entstehung falscher Erinnerungen geben.“
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