Nur Hype oder Zeitenwende? Wie NFTs den Kunstbetrieb umkrempeln und das Leben von Künstlern verändern

NFTs sind binnen kürzester Zeit vom Technologieexperiment zum Milliardenmarkt geworden. Vor allem viele Künstler sehen die Blockchain-Einträge als Werkzeug der Befreiung – und sogar als Zukunft des Kunstmarktes. Aber wie haben NFTs das Leben von Künstlern verändert und könnten sich Non-Fungible Token vielleicht als kurzfristiges Phänomen erweisen?

Von Michael Förtsch

Es war eine Revolution im Schnelldurchlauf, die weiterhin an Fahrt, Einfluss und Gestaltungskraft gewinnt. Binnen nicht einmal zwei Jahren haben sich Non-Fungible Token – oder NFTs – von einem obskuren Begriff aus der Krypto- und Blockchain-Szene und einem Experimentierspielzeug für Tech-Avantgardisten zu einem digitalen Werkzeug entwickelt, das in Vorstandssitzungen debattiert, in Videospielen integriert und von Prominenten propagiert wird. Dabei ist die rechtliche Natur der einzigartigen Einträge auf Blockchain-Systemen bis heute nicht geklärt – und deren technische Konstruktion für viele ein Rätsel. Daher werden NFTs mal mit der Metapher eines Echtheitszertifikats, mal als eine Besitzurkunde oder auch als „Egal, wie viele digitale Kopien es gibt, deines ist das einzig echte“-Handschlagzusage beschrieben.

Sicher ist: Keineswegs nur, aber insbesondere die Kunstwelt haben NFTs gründlich auf den Kopf gestellt, seit sie, wie es für viele erschien, zu Beginn des Jahres 2020 plötzlich auf die globale Kunst- und Kulturbühne explodierten. Das Leben und Schaffen nicht weniger Künstler veränderten sie schon jetzt. Nicht von ungefähr hat das renommierte Kunstmagazin ArtReview ERC-721, den Standard nachdem NFTs auf der Ethereum-Blockchain eingetragen werden, zur einflussreichsten Person der Kunstszene des Jahres 2021 gekürt. Dabei existieren NFTs schon eine ganze Weile, wurden jedoch zunächst mehrheitlich ignoriert oder als nerdiger Unfug abgetan. „Eigentlich hörte ich das erste Mal vor einigen Jahren von NFTs, als ich auf ein Tinder-Date mit einem Hacker ging“, sagt beispielsweise die Künstlerin Harriet Davey im Gespräch mit 1E9, die 3D-Gestaltungssoftware nutzt, um aufwendige Bilder und Animationen von fantastischen Kreaturen zu erstellen, mit denen sie erforschen will, was es „bedeutet, im digitalen Raum fluide, queer und menschlich zu sein“.

Ihr Date habe ihr ein Kätzchen aus dem 2017 gestarteten NFT-Spiel CryptoKitties senden wollen. Bei diesem lassen sich kleine Katzenbilder sammeln und miteinander verpaaren, um weitere Katzen zu bekommen, die verschenkt oder verkauft werden können. Einige dieser CryptoKitties werden heute für mehrere Hunderttausende Euro gehandelt. „Aber ich habe mir damals nie die Mühe gemacht, eine Wallet einzurichten“, sagt Davey. Erst als sie Ende 2020 von Künstlern hörte, die erfolgreich und gewinnträchtig NFTs verkauften, habe sie sich entschlossen, den Markt und die Technologie sorgfältig zu beobachten. „Ich habe viel Zeit damit verbracht, diesen Kosmos von außen zu observieren, bevor ich mich entschied, wirklich einzusteigen.“

Ich habe viel Zeit damit verbracht, diesen Kosmos von außen zu observieren, bevor ich mich entschied, wirklich einzusteigen.

Harriet Davey

Auch andere Künstler haben NFTs früh entdeckt, aber sie erst als Werkzeug für sich ausgemacht, als diese bereits dabei waren, sich zum Massenphänomen zu entwickeln. Darunter beispielsweise der brasilianische Bildhauer und 3D-Künstler Gabriel Massan oder der kuwaitische Datenwissenschaftler Anas Abdin, der Pixelkunst im Stil klassischer Retro-Games und Adventure-Videospiele zeichnet. „Mein Bekanntenkreis besteht vor allem aus vielen Fachleuten, die in den Bereichen Technik und Kunst unterwegs sind“, sagt Massan gegenüber 1E9. „Sobald alles massentauglich war, war ich schon ein wenig in den Kontext eingebunden.“ Er habe irgendwann Einladungen zum NFT-Markt Foundation bekommen, lange gewartet, sich letztlich angemeldet und sei dann „mit viel Liebe“ in die Gemeinschaft aufgenommen worden, die sich rund um diese Plattform gebildet hat.

Auch Abdin meint, dass er „wie viele andere auch“ vom Durchbruch der NFTs aus der Presse erfahren hat. Er habe in Artikeln der Tech-Presse und dann auch Tageszeitungen gelesen, dass die Blockchain-Einträge zum Verkauf von Kunst genutzt werden – und das, obwohl er aufgrund seiner Arbeit als Datenwissenschaftler schon seit einer Weile mit Blockchain-Systemen arbeitet. Das habe er als Chance gesehen, mit seiner Leidenschaft für Animations- und Pixelkunst mehr und andere Menschen zu erreichen als bisher – und natürlich auch damit Geld zu verdienen. Aber der Einstieg in die NFT-Kunst sei nicht ohne Herausforderungen gewesen.

Viele Fachbegriffe

Non-Fungible Token, ERC-721, Minting, Gas, Smart Contract, Metamask und zahlreiche weitere Begriffe werden umhergeworfen, wenn es darum geht, ein Kunstwerk in die Blockchain zu schreiben. „Es stimmt, die Blockchain ist nicht einfach“, sagt daher Anas Abdin. „Die Menge an Informationen ist riesig, die dir vorgesetzt werden. Der Einstieg in NFTs und Krypto-Kunst bedeutet echt eine Menge Studium und Mühe.“ Gabriel Massan gesteht ebenfalls, dass er einige Mühe hatte, zu lernen, wie er seine digitale Wallet verwaltet. Daher habe er hierbei und bei anderen Problemen „viel mit Freunden geredet, bis ich mich sicher genug fühlte, um meine ersten eigenen Schritte zu gehen“.

Tatsächlich ist Einstieg in die Welt der NFTs für Künstler nicht ohne Stolpersteine und Stürze, wie sich in verschiedenen Discord-Kanälen, auf Twitter, Facebook und anderen sozialen Medien nachlesen lässt. Nicht wenige geben aufgrund der teils obskuren Mechaniken schnell wieder auf oder machen Fehler, die demotivieren. Schnell werden Kryptowährungen aus Versehen an eine falsche Adresse geschickt, wodurch sie verloren gehen. Dazu kommen Erfahrungen wie, dass, wenn ein NFT erst einmal in die Blockchain geschrieben ist, es sich auch nicht mehr daraus entfernen lässt. Oder auch, dass im populären Ethereum-Ökosystem aufgrund der Nutzungslast zum Teil absurde Summe an Gebühren an das Blockchain-Netzwerk bezahlt werden müssen, um ein NFT zu generieren und auf einen Markt zu inserieren.

Hope

„Diese finanziellen Hürden beim Einstieg in Krypto, die jetzt nochmal größer geworden sind“ waren es auch, die die 3D-Künstlerin Harriet Davey haben zögern lassen. Außerdem sei sie unsicher gewesen, welchen NFT-Markt sie nutzen sollte. Entschlossen, ihr erstes NFT auf der Plattform Zora zu erstellen, habe sie sich daher erst nach einer Unterhaltung mit dem DJ und Festivalveranstalter Michail Stangl, der sie auf Instagram angeschrieben habe, um mit ihr „über unseren Herrn und Erlöser NFTs“ zu reden. Er habe ihr auch geholfen, für ihr erstes NFT zu zahlen, wie Davey sagt. „Der Rest ist mehr oder weniger Geschichte.“

Neue Hoffnung dank NFTs?

Die noch sehr kurze Geschichte der NFTs ist eine Geschichte der Rekorde – vor allem der Rekordverkäufe. Der Digitalkünstler Beeple verkauft das NFT seiner Everydays: The First 5000 Days getauften Bildcollage für 42.329 Ether – zu diesem Zeitpunkt rund 61 Millionen Euro – bei einer Versteigerung des Auktionshauses Christie’s im März 2021. Der Comic-Künstler José Delbo, der im Dezember 2021 seinen 88. Geburtstag feierte, verkaufte Dutzende NFTs seiner Comic-Illustrationen für einige Tausend bis mehrere Hundertausend Euro. Der schottische Maler Trevor Jones, der 2019 begann, Kryptowährungen in seine Malereien zu thematisieren und als NFTs anzubieten, gilt mittlerweile als einer der erfolgreichsten NFT-Künstler von Großbritannien. 2020 verkaufte er 4.158 NFTs zu einer Malerei namens Bitcoin Angel für insgesamt über 2,6 Millionen Euro.

Derartige Erfolgsgeschichten sind freilich die Ausnahme. Schätzungen zufolge finden über 90 Prozent aller erstellten NFTs keinen Käufer und die meisten verkauften NFTs erzielen Preise von unter 200 US-Dollar, so dass tatsächlich nur ein Bruchteil der Künstler an der neuen Technologie verdient. Aber die von uns befragten Künstler gehören dazu. Sie haben, wie sich ganz transparent auf der Ethereum-Blockchain nachverfolgen lässt, Käufer gefunden, die zum Teil bereit waren, Kryptowährung im Wert von teils einigen Tausend Euro in ihre Kunstwerke zu investieren.

„Ich kann nicht sagen, was die Leute dazu bringt, sich für meine Arbeit zu interessieren“, meint Gabriel Massan. Aber was seinen Erfolg ausmache, sei auch sein soziales Engagement – und nicht nur seine Kunst. Er habe sich in die Gemeinschaft, die rund um NFTs entstanden ist, eingebracht und habe deren Werte und Interessen gelernt. „Ich beobachte, merke mir Dinge und plane ständig“, sagt er. „Die Pflege der Community und der Aufbau von Beziehungen zu Künstlern und Sammlern hilft, ein echtes Unterstützungsnetzwerk aufzubauen, das einen Absturz verhindert.“ Was ihm NFTs gebracht haben, sei weniger Geld oder Freiheit, sondern „die Möglichkeit, zu wählen“. Er könne darauf setzen, dass die NFT-Community die Kunst schätzt und fördert, an die er auch selbst wirklich glaubt.

Nochmal deutlich massiver wirkten sich NFTs auf das Leben von Anas Abdin aus. Er habe zwar schon seit Jahren Pixelkunst und Animationen verkauft, aber die Art und Weise – und auch die gezahlten Summen – könnten unterschiedlicher nicht sein. „Befreiung wäre ein zu kleines Wort für das, was NFTs mir gegeben haben“, sagt Abdin, der mit seinen Pixelwerken auf der Plattform Foundation bereits über 35 Ether verdient hat – über 140.000 Euro –, die teils mehrere Stunden, aber manche auch mehrere Wochen an Arbeit bedeuten. Er könne mittlerweile komplett von seiner Kunst leben, Familie und Freunde unterstützen und sich die Zeit nehmen, neue Techniken zu lernen – und dafür sei er dankbar.

Befreiung wäre ein zu kleines Wort für das, was NFTs mir gegeben haben.

Anas Abdin

Auch Abdin habe, ebenso wie Massan, in der Gemeinschaft, die sich um die Krypto-Kunst bildet, echten Anschluss gefunden „Die Verbindung zwischen mir als Künstler und den Sammlern ist unbeschreiblich und mit nichts vergleichbar, was ich bisher erlebt habe“, sagt er. Er habe mit vielen Sammlern persönlichen Kontakt und zähle einige sogar zu seinen besten Freunden. „Die meisten meiner NFT-Sammler suchen in meiner Kunst eine Geschichte, ein Gefühl oder eine Erinnerung“, sagt der Pixel-Art-Künstler. „Sie hängen meine NFTs mit Stolz in ihren Metaverse-Räumen [wie in Decentraland] auf, und sie erzählen mir auch immer wieder, was sie fühlen, wenn sie meine Kunst betrachten.“

Dass auch immer mehr bekannte Namen aus Film, Sport und der Musik sich NFTs annähern – oder sogar in diese investieren –, das sehen die Künstler als ein gutes Zeichen. Die Rap-Ikone Snoop Dogg veröffentlichte selbst mehrere Kollektionen von NFTs, die Etappen seines Lebens illustrieren. Und erst im September 2021 outete sich Snoop Dogg als der Krypto-Sammler Cozomo de’ Medici, der NFTs für mehrere Millionen Euro gekauft hatte. Die Berufserbin und Influencerin Paris Hilton verkaufte in Kooperation mit Künstlern gestaltete NFT-Animationskunststücke, die sie selbst als Crypto Queen oder ihren verstorben Hund Tinkerbell zeigen. „Ich halte das für wichtig, um mehr Sammler und Künstler für die Plattformen zu gewinnen“, sagt Gabriel Massan. Und Anas Abdin erklärt, dass diese Promis damit „eine gute Wahl“ träfen und so wohl auch dem Einfluss von Sponsoren und Vermarktungsfirmen entkommen wollen.

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NFTs als neue Normalität?

Die Debatten rund um NFTs in der Kunstwelt sind laut und vielstimmig. Insbesondere aufgrund der aufgeheizten Hype-Stimmung, die seit dem Beginn des Jahres 2020 und der Corona-Krise für immer höhere und in den Augen von Kunstkennern und Kunstkritikern ungerechtfertigte Rekordpreise sorgt. Die werden von gewieften Sammlern, neureichen Krypto-Millionären aber auch DAOs – auf Blockchain-Ökosystemen organisierten und über Abstimmungsverfahren organisierten Digitalfirmen – wie Flamingo DAO oder PleasrDAO befeuert. Nicht wenige Wirtschafts- und Kunstexperten, aber auch Krypto-Enthusiasten sehen im NFT-Phänomen eine Blase, die platzen wird.

Dass NFTs wieder verschwinden und sich als Modeerscheinung entblößen, daran glauben sowohl Beobachter aus der Kunst-, Auktionsbranche und Kryptobranche jedoch nicht. Viel eher würden sie sich als ein weiteres Werkzeug etablieren, das Künstler und Sammler ganz selbstverständlich nutzen werden – und für die auch ganz neue Repräsentations- und Verkaufsräume entstehen werden. Eines davon soll beispielsweise Pixlr Genesis werden, ein digitales Museum, an dem die Entwickler der Bildbearbeitungs- und Animationssoftware Pixlr und der Fotoplattform 123RF.com arbeiten. Es soll, geht es nach dem Gründer Warren Leow, irgendwann gleichauf mit dem MoMa oder dem Louvre stehen.

Warren Leow sieht es als nötig, NFT-Museen zu gründen. „Täglich kommen viele NFTs auf den Markt“, sagt er. „Es ist leicht, in dem Lärm unterzugehen.“ Stetig sollen daher 10.000 einmalige NFTs von unabhängigen Künstlern aus aller Welt bei Pixlr Genesis präsentiert werden, die sich ihren Ausstellungsplatz mit einem von Pixlr Genesis für 0,15 ETH von einer Künstlichen Intelligenz generierten NFT, das gleichzeitig als Kunstwerk dient, reservieren – oder anders gesagt: einkaufen. Ein Konzept, das durchaus Kritik erntet. Zunächst soll das Museum eine Website-Galerie im Internet sein. „Im Moment konzentrieren wir uns darauf, Künstlern dabei zu helfen, ihre Werke in der Kunstgalerie auszustellen“, sagt Leow. Aber irgendwann könne aus dieser Web-Galerie ein Museum in einem echten Metaversum werden, das mit VR-Brille erkundet werden kann.

Mit der Celestial Hermitage, das hat im Dezember 2021 der Leiter der zeitgenössischen Ausstellung der Eremitage in Sankt Petersburg angekündigt, soll eine auf NFTs ausgerichtete „digitale Version“ des legendären russischen Museums entstehen. „Wir bewegen uns alle in das digitale Zeitalter und unser digitaler Zwilling wird uns überallhin folgen“, sagte Dmitry Ozerkov in einem Interview mit Cointelegraph. Mit MoDaL – dem Museum of Digital Life – arbeitet das XR-Studio Delta Reality zudem derzeit an einem digitalen NFT-Museum, das Besucher mit VR-Brille auf dem Kopf erkunden können sollen. Es soll besonders spektakuläre NFTs als Klang- und 3D-Erlebnisse erfahrbar machen. Das Besondere: Das Museum selbst soll als NFT verkauft werden.

Täglich kommen viele NFTs auf den Markt. Es ist leicht, in dem Lärm unterzugehen.

Warren Leow

Der Pixel-Art-Künstler Anas Abdin geht davon aus, dass NFTs wohl eigentlich keine besonderen Museen brauchen. Stattdessen würden sich NFTs irgendwann „in jeder Kunstgalerie finden und in jedem Zuhause“. Dass NFTs wie die CryptoPunks und der Bored Ape Yacht Club im Zuge der NFT-Konferenz nft.nyc conference im November 2021 auf den riesigen LED-Tafeln des Time Square präsentiert wurden, sieht er als „surrealen Moment“, der jedoch daraufhin zeige, dass NFTs schon die ersten Schritte hin zur Alltäglichkeit tun. NFTs, sagt Abdin, würden das Leben jener Menschen, die Kunst lieben, digitaler machen. Und: „NFTs werden – wenn sie das nicht schon haben – die Art und Weise, wie wir Kunst erleben, verändern.“

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