Es klingt nach einer fast schon klischeehaften Science-Fiction-Dystopie. Ein Verbrecher wird gesucht. Aber es gibt kein Foto des Verdächtigen. Daher generiert die Polizei ein Bild des Gesuchten aus einer DNA-Probe. Genau das ist nun in Kanada geschehen – und sorgte für massive Kritik.
Von Michael Förtsch
Unser genetischer Code verschlüsselt unzählige Informationen über unsere Person. Unsere Haar- und Hautfarbe, das biologische Geschlecht, die Veranlagung für bestimmte Erkrankungen und vieles mehr. Bereits seit einigen Jahren untersuchen Wissenschaftler daher, ob und wie sich aus genetischen Informationen ein vollständiges Bild eines Menschen generieren lässt. Beispielsweise um herauszufinden, wie Personen womöglich aussahen, die vor Jahrhunderten oder sogar Jahrtausenden verstorben sind. Auch Geheimdienste und Strafverfolgungsbehörden sind an dieser Möglichkeit interessiert. Und die Polizei aus dem kanadischen Edmonton hat sie nun getestet.
Auf Twitter hatte die Edmonton Police Section ein – mittlerweile gelöschtes – Foto eines Verdächtigen geteilt, der aufgrund eines sexuellen Übergriffs gesucht wird. Dies sei, wie die Behörde ausführte, nicht basierend auf Beschreibungen des Mannes entstanden oder mit einer Kamera festgehalten worden. Denn das Opfer konnte nur bedingt Angaben zur Person machen und Aufzeichnungen von Überwachungskameras gab es nicht. Stattdessen sei das Fahndungsfoto mittels DNA-Phänotypisierung erzeugt worden. Basierend auf genetischen Faktoren seien also die Augen-, Haar- und Hautfarbe und Gesichtsform abgeleitet worden. Dafür wurde eine sichergestellte DNA-Probe vom US-Unternehmen Parabon Nano Labs analysiert und mit der Software Snapshot DNA Phenotyping Service in ein Bild umgewandelt. Dieses zeigt einen dunkelhäutigen Mann ohne sonstige auffällige Merkmale.
Das sogenannte „Schnappschuss-Kompositum“, wie die Polizeibehörde sagt, „veranschaulicht, wie die gesuchte Person mit 25 Jahren und einem durchschnittlichen Body-Mass-Index von 22 ausgesehen haben könnte“. Genau daran wurden allerdings schnell Zweifel laut. Vor allem Wissenschaftler wie der Genetiker Adam Rutherford kritisierten das Vorgehen. Denn zumindest bislang gäbe es kein gesichertes Verfahren, um akkurat die Form des Gesichtes und den Grad der Hautpigmentierung festzustellen.
Es gebe zwar genetische Marker, die einen starken oder sogar bestimmenden Einfluss auf körperliche Merkmale haben, sagten die Kritiker, aber viele Faktoren wie das Zusammenspiel verschiedener genetischer Veranlagungen seien noch Unbekannte. In mehreren Studien attestierten Wissenschaftler, dass nahezu alle Merkmale abseits des biologischen Geschlechtes heute mit bis zu 70-prozentiger Sicherheit festgestellt werden könnten. DNA-Phänotypisierung könnte eines Tages ein taugliches Werkzeug werden, aber aktuell bestehe noch ein riesiger Fehlerspielraum.
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Außerdem schließt eine DNA-Phänotypisierung zahlreiche andere Faktoren aus, die das Aussehen einer Person prägen können. Darunter Ernährung, Fitness, Krankheiten, Gesichtsbehaarung oder auch einfach Sonneneinstrahlung und Luftverschmutzung, die etwa die Haut schneller altern lassen. Dass der Gesuchte dem mittels DNA-Phänotypisierung erzeugten Bild grundsätzlich ähnlich sieht, ist also möglich, aber für eine Fahndung sei es Wissenschaftlern zufolge absolut ungeeignet. Zu einfach könnten mit der allzu generisch ausschauenden Person auf dem Foto auch vollkommen Unschuldige in Verdacht geraten.
Tatsächlich reagiert die Edmonton Police Section auf die Kritik und entfernte das Bild aus ihrem Fahndungsaufruf. „Wir waren uns der berechtigten Fragen, die sich hinsichtlich der Eignung dieser Art von Technologie stellen, nicht bewusst“, so Enyinnah Okere von der Polizeibehörde in einem Statement. Die Ermittler hätten den möglichen Wert der Technologie für die Untersuchung über die möglichen Kollateralschäden gestellt. „Wir haben berechtigte Kritik von außen gehört, und wir haben intern geprüft, ob wir die richtige Balance gefunden haben“, so Okere. „Und als Führungskraft glaube ich nicht, dass wir das getan haben.“
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Titelbild: Sangharsh Lohakare on Unsplash
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