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16. Juli 2021

Nakagin Capsule Tower: Wie japanische Aktivisten den merkwürdigsten Wohnturm der Welt retten wollen


Der Nakagin Capsule Tower sieht nicht nur eigenartig aus. Er ist es auch. Denn er besteht aus über 100 Kapseln, die an eine Konstruktion aus Stahl und Beton geschraubt wurden. Einst sollte er ein Modell für das Wohnen und Arbeiten der Zukunft sein. Aber nun steht sein Abriss bevor. Eine Gruppe von Menschen will den Turm retten – oder zumindest die Kapseln und diese mit der Welt teilen.


Von Michael Förtsch


Direkt neben einer stark befahrenen Schnellstraße und nur wenige Gehminuten von der Shimbashi Station entfernt steht ein Gebäude das aus der Masse an Glas-, Stahl- und Betonkonstruktionen in Tokio heraussticht. Der Nakagin Capsule Tower besteht nämlich aus zahlreichen Kapseln, die an zwei hohen Betonpfeiler angedockt sind. Mit ihren runden Fenstern erinnern sie etwas an Waschmaschinen. Es ist ein Gebäude, das es so tatsächlich nirgendwo anders auf der Welt gibt und daher auch immer wieder im Hintergrund von Filmen, Mangas und Anime zu sehen ist. Außerdem inspirierte der 1972 fertiggestellte Bau unzählige Künstler und Architekten. Allerdings ist das Gebäude heute in einem desolaten Zustand und soll daher abgerissen werden. Ein Team aus Bewohnern und Architekturfans bemüht sich nun darum, das Erbe des Nakagin Capsule Tower zu bewahren.


,,Uns wurde aber mitgeteilt, dass es wohl im nächsten Sommer oder Herbst soweit sein könnte.

Tatsuyuki Maeda


„Im März [2021] wurde auf einem Treffen entschieden, dass die Besitzer der einzelnen Kapseln ihren Anteil am Gebäude an den Eigner des Landes verkaufen müssen“, sagt uns Tatsuyuki Maeda vom Nakagin Capsule Tower Preservation and Rehabilitation Project. Jahrelang kämpfte die Gruppe für den Erhalt und eine Renovierung des Hochhauses – jedoch vergeblich. Immerhin: Noch haben nicht alle, die eine Kapsel besitzen und zum Teil selbst darin wohnen oder sie als Touristenunterkunft vermieten, eine Übereinkunft mit dem Besitzer des Grundstücks im Herzen Tokios gefunden. „Daher wird es mit dem Abriss wohl noch einige Zeit dauern“, sagt Maeda. „Uns wurde aber mitgeteilt, dass es wohl im nächsten Sommer oder Herbst soweit sein könnte.“


Der Turmbau ist zu Teilen in sehr schlechtem Zustand. Wasser dringt aus Rohren, einige Kapseln sind aufgeplatzt, undicht und von Schimmel befallen. Aber andere Teile des Turms wurden von den Bewohner über die vergangenen Jahre aufwendig aufgearbeitet. ©Sava Bobov

Dass sich ein Abriss noch verhindern lässt, das scheint mittlerweile unwahrscheinlich. Laut Maeda müsste, um das zu erreichen, schon ein finanzstarkes Unternehmen daherkommen, das das gesamte Gebäude kauft, alle Kapseln erneuert und diese dann erneut vermietet oder verkauft. Natürlich sei nicht ausgeschlossen, dass das in den kommenden Monaten noch passiert. Aber bislang gebe es keinen Hinweis darauf, dass irgendeine Firma oder ein Investor das tun will oder könnte. Vor allem da es nicht reichen würde, nur den Nakagin Capsule Tower alleine zu übernehmen. Einer der Gründe für den Abriss sei nämlich das Land, auf dem der Turm steht. Dessen Wert habe sich seit Ende der 1970er vervielfacht und könne mit einem höheren und schmuckvolleren Neubau deutlich mehr Gewinn bringen.


139 Kapseln


Erdacht worden war der Nakagin Capsule Tower vom Architekten Kishō Kurokawa. Er glaubte, Gebäude müssten sich stets und ständig einer wandelnden Gesellschaft und sich verändernden Bedürfnissen und Strukturen anpassen können. Er taufte diese Architekturvorstellung Metabolismus. Und im Sinne des Metabolismus sollten die Kapseln am Turm je nach Bedarf an Wohn-, Arbeits- oder Freizeitraum ausgetauscht werden. Passiert ist das nie. Dennoch verkörpert der Nakagin Capsule Tower die radikale und visionäre Vorstellung des japanischen Architekten, dessen Entwürfe weithin als revolutionär gelten.



Geht es nach Tatsuyuki Maeda ist alleine diese historische Prägnanz Grund genug, um den Turm zu bewahren. Aber nach Berechnungen des Nakagin Capsule Tower Preservation and Rehabilitation Project würde ein Kauf des Grundstücks, eine Instandsetzung der zentralen Haltekonstruktion und der einzelnen Kapseln rund 10 Milliarden Yen kosten. Das wären rund 76 Millionen Euro. Laut Tatsuyuki Maeda wäre es für das Projekt, das 30 derzeitige Bewohner des Turms und mehrere Architekten, Künstler und Aktivisten umfasst, unmöglich eine solche Summe aufzutreiben.


Jedoch hofft die Gruppe, zumindest einen Teil des Gebäudes und damit dessen besonderes Erbe zu erhalten. Bevor der Abriss stattfinden kann, wollen Tatsuyuki Maeda und seine Mitstreiter zahlreiche der Kapseln abmontieren und aufarbeiten lassen. Viele davon sollen in ihren Originalzustand zurückversetzt werden. Andere Kapseln wurden bereits in den vergangenen Jahren aufwendig renoviert und mit moderner Innenausstattung versehen. Manche wurden beispielsweise in kleine Büroabteile, Freizeiträume oder eine Bücherei umgewandelt. Bei diesen soll lediglich die Außenhülle erneuert werden, die sich über die Jahre stark verfärbt hat und bei manchen Kapseln aufgeplatzt und dadurch undicht ist.


,,Unsere Gruppe würde sich freuen, eine Kapseln in einem deutschen Museum oder einer Kunstgalerie zu sehen.

Tatsuyuki Maeda


Es geht um mehr als ein Gebäude


Für die Rettung der Kapseln konnte das Team das Architekturbüro von Kishō Kurokawa als Partner gewinnen. Kishō Kurokawa selbst starb zwar bereits 2007. Jedoch wird sein Architekturbüro weitergeführt. Derzeit hofft die Gruppe, mit Hilfe der Architekten die Hälfte, vielleicht sogar alle der derzeit 139 montierten Kapseln zu bewahren. Um dieses aufwendige Projekt zu finanzieren, setzt das Nakagin Capsule Tower Preservation and Rehabilitation Project auch auf Crowdfunding. Es sammelt über die japanische Seite Motion Gallery eine Anschubfinanzierung ein, mit der auch ein Bildband zum Turm ermöglicht werden soll. Wer 30.000 Yen – rund 230 Euro spendet – dessen Name wird auf einer Plakette auf einer geretteten Kapsel verewigt.


Vor dem Abriss gerettet werden kann der Turm wohl nicht mehr. Im Sommer oder Herbst 2021 könnte er verschwinden, wurde den Einwohnern mitgeteilt. ©Susann Schuster

Die Kapseln sollen jedoch nicht einfach aus purem Selbstzweck bewahrt werden, sondern möglichst weiterhin genutzt werden. Beispielsweise sollen sie für Wohnprojekte von Universitäten oder als Touristenunterkünfte in Japan, aber auch andernorts eingesetzt werden – denn es sei ein Anliegen, die Idee des Metabolismus und die Vision von Kishō Kurokawa mit der ganzen Welt zu teilen. Einige der Wohneinheiten sollen auch Museen für Dauerausstellungen zur Verfügung gestellt werden.


,,Es geht auch darum, die Gemeinschaft und Faszination zu bewahren, die dieses Gebäude ausmacht.

Tatsuyuki Maeda


„Ich kann die Namen jetzt noch nicht verraten, weil noch nichts offiziell ist“, sagt Tatsuyuki Maeda. „Aber wir haben Anfragen von Museen aus Frankreich, den USA und Hongkong.“ Aus Deutschland gebe es bisher noch keinen Interessenten, aber das Team, meint der Japaner, „würde sich freuen, eine Kapseln in einem deutschen Museum oder einer Kunstgalerie“ zu sehen. Denn bei den auch jetzt noch stattfindenden Führungen durch den Nakagin Capsule Tower seien immer auch einige deutsche Architekturfans dabei und besonders interessiert. „Ich denke, es geht nicht nur darum, Teile dieses Gebäudes zu bewahren“, sagt Maeda daher. „Es geht auch darum, die Gemeinschaft und Faszination zu bewahren, die dieses Gebäude ausmacht.“


Update: Wie im Januar 2022 festgelegt wurde, soll der Abriss des Nakagin Capsule Tower im Sommer 2022 beginnen.


Teaser-Bild: Photo by Alex Rerh on Unsplash


Michael Förtsch

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