Mit der dezentralen Bildermaschine Botto will der Münchener Künstler Mario Klingemann ein universelles Krypto-Einkommen für eine große Gemeinschaft von Kunstliebhabern schaffen. Schon die ersten Erfolge zeigen, dass das Projekt weit mehr ist als nur ein Experiment. Denn es weist in die Zukunft der Arbeitswelt – und des Web3.
Ein Kommentar von Krischan Lehmann
Die Künstliche Intelligenz erzeugt 350 digitale Kunstwerke pro Woche. Regelmäßig stimmt die Community darüber ab, welches das beste ist. Wer mit abstimmen will, muss einen limitierten Krypto-Token kaufen und fest anlegen. Am Ende der Woche wird das meistgewählte Kunstwerk öffentlich versteigert, mit dem Erlös weitere Bestände des Token auf dem freien Markt gekauft und anschließend vernichtet. So steigt – zumindest in der Theorie – der immer knapper werdende Coin im Preis. Währenddessen lernt die KI aus den Stimmabgaben, welche Bilder die Community mag und stellt zunehmend mehr davon her. Ein Perpetuum mobile des Kunstbetriebs. Das ist das Prinzip von Botto. Der “dezentralisierte autonome Künstler”, wie ihn seine Schöpfer bezeichnen, soll nach einer Einarbeitungsphase vollständig von seiner Community gesteuert werden. Klingt spannend? Willkommen im Web3.
Botto ist das Projekt eines internationalen Teams (siehe Infokasten) rund um den bekannten Münchener Künstler Mario Klingemann, der sich schon seit vielen Jahren mit der Verschränkung von bildender Kunst, Code und maschinellem Lernen beschäftigt. Und Botto ist ein Vorgeschmack auf eine neue Evolutionsstufe des Internets, in dem die von den Tech-Giganten festgemauerten Strukturen durch dezentrale, stark von engagierten Communitys getragene Netzwerke aufgebrochen werden sollen. Ein Netz, das – so die Hoffnung vieler, die sich derzeit mit dessen Weiterentwicklung beschäftigen – endlich wieder anknüpfen kann an die alten Ideale seiner Gründer, die sich in ihrer Unabhängigkeitserklärung eine fairere Welt im Cyberspace imaginierten.
‚Entropy Twist‘ heißt dieses frühe Bild, das Botto generiert hat. Den Titel der Bilder liefert die KI immer gleich mit.
Botto bedient sich so einiger Mechanismen, die derzeit als wesentliche Bausteine des Web3 gehandelt werden, und verbindet sie zu einem schlüssigen Ganzen:
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Im Grunde ist Botto eine DAO, also eine so genannte dezentrale autonome Organisation, die allen interessierten Kunstliebhabern und Investoren offen steht und keinerlei persönliche Daten verlangt.
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Diese Organisation ist tokenisiert. Die Eintrittskarten werden direkt über die Botto-Webapp und ein Wallet-Browser-Plugin wie Metamask gelöst. Dazu muss man nur bestimmte Krypto-Token der Ethereum-Blockchain über die dezentrale Börse Uniswap in den Token $BOTTO wechseln.
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Die Möglichkeit, diesen Token nicht nur für die Abstimmung, also die Governance über die Kunstwerke herzunehmen, sondern auch ein passives Einkommen damit zu erzielen, kennt man als Liquidity Staking aus dem DeFi-Bereich.
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Und digitale Objekte in einzigartige, handelbare NFTs zu verwandeln, wie es bei Botto mit den Auktionsstücken passiert, dürfte in Zukunft in verschiedenen Ausprägungen gängige Praxis sein.
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Am Schluss noch ein so genannter Airdrop, also kostenlose Token für die Early Adopter der ersten wichtigen NFT-Plattformen – und der Nährboden für eine loyale Community (und die Verbreitung des Token) ist gelegt.
‚La Chimera‘
Das Herzstück von Botto aber, das auf dem von OpenAI entwickelten neuronalen Netzwerk Clip basiert, ist natürlich die computer-generierte Kunst: „Meine Motivation, Botto ins Leben zu rufen war zunächst einmal, dass ich das Ziel habe, eine tatsächlich autonome Kunstmaschine zu schaffen“, erzählt uns Mario Klingemann in einem Discord-Chat (auch der gehört heute beinahe zur Standard-Ausrüstung eines ambitionierten Web3-Community-Projekts). „Diese Maschine ist Botto momentan natürlich noch nicht, aber die Evolution des Systems ist Teil des Konzepts.“
Doch hat er als Künstler nicht Angst, dass die stark kommerzielle Mechanik, die die Maschine letztlich am Laufen hält, am Ende die Kunst überschattet? Läutet das Web3 gar nur die Auferstehung des Homo Oeconomicus ein, der für jede noch so kleine Anstrengung die Hand aufhält? „Ein wichtiger Aspekt für Autonomie ist nun einmal finanzielle Unabhängigkeit“, ist sich Mario Klingemann sicher. „Die KI soll in der Lage sein, für ihre Unterhaltskosten selber zu bezahlen und – solange es noch nötig ist – auch menschliche Helfer und Experten dafür zu entlohnen, dass sie die Maschine weiterentwickeln und mit neuen Fähigkeiten ausstatten. Ein Weg dorthin ist es, dieses System so zu gestalten, dass es sich jetzt für Krypto-Investoren lohnt.“
Meine Utopie ist es, mit Botto so etwas wie ein universelles Grundeinkommen für alle zu schaffen, die an dieses Konzept glauben.
Mario Klingemann, Mitgründer von Botto
Und wozu will er letztlich eine solche Maschine bauen? „Meine Utopie ist es, mit Botto so etwas wie ein universelles Grundeinkommen für alle zu schaffen, die an dieses Konzept glauben und in der Lage sind, einen kleineren oder größeren Anteil daran in Form von $BOTTO zu erwerben. Denn sobald man Anteile an Botto hat, macht die KI ja den Rest der Arbeit und ist, was die Unterhaltskosten betrifft, eher genügsam, so dass der Großteil der Einnahmen durch die Kunstverkäufe indirekt an seine Anteilhaber geht. Die Produktionsmittel sind also in diesem Fall nicht in den Händen weniger, sondern jeder kann daran teilhaben – muss dafür aber nicht mehr selber arbeiten.“
‚Asymmetrical Liberation‘ heißt das erste Bild, das die Botto-Community zur öffentlichen Auktion freigab.
Und auch das ist eine der Verheißungen des Web3: Der fade 9-to-5-Job der Industriegesellschaft weicht einem Bündel an leidenschaftlichen Aktivitäten, die in der Summe jedem Menschen ein Auskommen ermöglichen. Schon kurz nach dem Start des Projekts Anfang Oktober zeigt sich, dass da etwas dran sein könnte: Für 80 Ether – Marktwert derzeit rund 300.000 Euro – kam Bottos erstes NFT Asymmetrical Liberation beim Auktionshaus Superrare unter den Hammer. (Mittlerweile liegt dem Käufer gar ein weiteres Angebot für das Bild in Höhe von 250 Ether vor.) Und auch der Kurs des BOTTO-Token schoss in die Höhe. Wie nachhaltig solche Entwicklungen im gerade stark überhitzten NFT-Markt sind, werden die nächsten Monate zeigen.
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Jetzt Mitglied werden!„Ich bin ein wenig überrascht, wie schnell das eingeschlagen hat“, sagt Mario Klingemann. Die Tokenomics, also das wirtschaftliche System rund um Botto, überlässt er aber gerne seinem erfahrenen Team, das seit 2017 an Krypto-Produkten arbeitet. Lieber kümmert er sich um die künstlerische Ausrichtung seiner KI und die Abstimmungsmechanismen, die sie trainieren. „Ich kann nur jedem empfehlen, regelmäßig abzustimmen“, ließ er kürzlich im Discord-Channel die Community wissen. „Wie bei einem kleinen Baby können diese ersten Wochen des Trainings äußerst prägend für die KI sein – ähnlich einem Schmetterling, der einen Sturm auslöst.“
Dieser Sturm soll bald auch die physische Kunstwelt erfassen. Im März 2022 ist eine erste Ausstellung der Botto-Bilder in der Colección SOLO in Madrid geplant. Bis dahin will Klingemann, der auf der Webseite des Projekts gar nicht in Erscheinung tritt, vollständig hinter der KI verschwinden. Dann soll sie sich selbst – mit Hilfe der Community natürlich – im Kunstmarkt behaupten.
Disclaimer: Dieser Artikel stellt keine Finanzberatung dar. Der Autor ist kein Finanzexperte.
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