Ein Start-up hat eine Rakete mit einer riesigen Zentrifuge in die Luft geschossen

Das US-Unternehmen SpinLaunch hat einen gewagten Plan. Es will Satelliten mit einer riesigen Zentrifuge ins Weltall schießen – und Starts dadurch sauberer und günstiger anbieten als SpaceX und Co. Ein Teststart hat nun gezeigt, dass die Technik funktioniert.

Von Michael Förtsch

Der Zugang zum Weltraum wird immer wichtiger. Sowohl für Regierungen als auch für Privatunternehmen. Der Erdorbit soll in den kommenden Jahren regelrecht mit kleinen Satelliten überschüttet werden. Ein Flug ins All ist aber nach wie vor nicht wirklich einfach – und dadurch teuer und aufwendig. Raketenstarts können leicht schief gehen und verbrauchen immense Mengen an Treibstoff. Daher forschen einige Unternehmen an Alternativen wie Raketenflugzeugen oder der Möglichkeit, Raketen mit Ballons und Drohnen in die Höhe zu befördern, um Treibstoff zu sparen. Das Unternehmen SpinLaunch aus dem amerikanischen Long Beach hat noch eine ganz andere Idee. Es will Raketen sprichwörtlich in den Erdorbit werfen – und hat gezeigt, dass das tatsächlich machbar sein könnte.

Gegründet wurde SpinLaunch bereits 2014 von Jonathan Yaney. Der hatte zuvor gemeinsam mit seinem Bruder Titan Aerospace gegründet und an Google verkauft, ein Start-up, das solar-getriebene Ultraleicht-Drohnen fertigt, die zur Wetterüberwachung und als Kommunikationsrelais dienen können. Mit SpinLaunch, sagte Yaney 2018 gegenüber TechCrunch, wolle er ein Problem klassischer Raketen angehen. Nämlich, dass sie „riesige Mengen an Treibstoff mitführen müssen, wodurch nur ein kleiner Teil der Gesamtmasse für die Fracht übrig bleibt“. Daher müsste sich doch auch eine andere Option finden lassen, eine Rakete auf die Geschwindigkeit zu bringen, die nötig ist, um die Erdanziehungskraft zu überwinden.

Und die sah das Team des Start-ups, das nach seiner Gründung mehr als vier Jahre vollkommen im Geheimen tüftelte, in einem „kinetischen Startsystem“, das die Prinzipien sogenannter Massentreiber aufnimmt, die seit den 1960ern erforscht wurden. Denn die Idee, Nutzlasten in den Orbit zu feuern, ist nicht neu. An der University of Texas und bei der NASA wurde an Kanonen geforscht, die irgendwann Satelliten oder ganze Raumschiffe mit Gasdruck oder Magnetschienen in den Kosmos transportieren sollten. Weitergedacht und mit moderner Technik, davon waren Jonathan Yaney und seine Mitstreiter überzeugt, könnte ein solches Konzept heute umgesetzt werden.

Mit viel Schwung!

Woran SpinLaunch seit seiner Gründung konkret gearbeitet hat, ist eine Zentrifuge. Nicht unähnlich solchen, in denen Kampfpiloten und Astronauten testen, wie gut sie extreme Geschwindigkeiten vertragen. Aber deutlich größer und dank elektromagnetischen Schienen, Leichtgas-, Spulenkanonen, Druckwellen- und Staudruckbeschleunigern um ein Vielfaches leistungsfähiger. Wie leistungsfähig, dass hat das Start-up mit einem Prototypen seines Rotationsbeschleunigers für suborbitale Starts bereits gezeigt, der auf dem Gelände des Spaceport America in New Mexico aufgebaut worden war – von dem aus in Zukunft auch die Touristenflüge von Virigin Galactic starten sollen.

Die Zentrifuge gleicht etwas einer Trillerpfeife. Nur, dass diese über 50 Meter misst. In der kreisrunden Beschleunigungskammer herrscht ein nahezu perfektes Vakuum. An einem Kohlefaserarm darin wird ein Geschoss gedreht und damit auf Geschwindigkeit gebracht. Bis zu 8.000 Kilometer pro Stunde sollen machbar sein. Ist die Startgeschwindigkeit erreicht, wird das Geschoss im Bruchteil einer Millisekunde ausgeklinkt und rauscht durch eine kurze Röhre in die Höhe, wobei es eine Plastikplane durchreißt, die die Kammer luftdicht gehalten hat. „Es ist ein radikal anderer Weg, Projektile und Trägerraketen mit einem bodengestützten System auf Hyperschallgeschwindigkeiten zu beschleunigen“, sagte Jonathan Yaney gegenüber CNBC.

Am 22. Oktober hat das Team von SpinLaunch mit der Prototypenanlage erstmals ein echtes Geschoss von drei Metern Länge in „mehrere Zehntausend Metern Höhe“ geworfen, wie Yaney sagt. Dabei sei der Beschleuniger für diesen Test bei nur 20 Prozent der möglichen Leistung gelaufen. Dieser Test, der ursprünglich für Ende 2020 angekündigt gewesen war, habe zeigen sollen, dass die grundlegende Technologie und Physik funktioniert – und dass die Geschosse später auch wieder verwendbar sind. Das für den Testlauf genutzte Projektil sei etwa nach der Bergung weiterhin „absolut flugfähig“ gewesen, hat Yaney versichert.

Es gibt Zweifel

Über die kommenden Monate will SpinLaunch bis zu 30 weitere Probestarts durchführen – und dabei Daten sammeln, um Feinabstimmungen vorzunehmen und mögliche Probleme festzustellen. Das Ziel ist es dann, einen dreimal so großen Beschleuniger für orbitale Starts zu konstruieren, dessen Geschosse bis zu 200 Kilogramm an Nutzlast in den Erdorbit hieven sollen. Wobei es da nicht ganz ohne Raketentriebwerke geht. Um das Schwerefeld der Erde zu überwinden und das Ziel im Erdorbit zu erreichen, müsste zumindest eine kleine Raketenstufe in die Geschosse eingebaut werden.

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Gebaut werden soll der erste orbitale Beschleuniger in einer dünn besiedelten Küstenregion. „Es muss ein Standort sein, an dem mehrere Dutzend Starts pro Tag machbar sind“, so Yaney gegenüber CNBC. Im Jahr 2018 war bekannt geworden, dass Hawaii ein möglicher Kandidat für die riesige Zentrifuge ist – trotz Kritik der Bevölkerung. Potentielle Kunden und zahlreiche Interessenten hat das Unternehmen übrigens auch schon – darunter das US-Militär. Denn SpinLaunch verspricht deutlich niedrigere Preise als andere sogenannte Launch Service Provider. Unter 500.000 US-Dollar soll ein Start mit 200 Kilogramm an Nutzlast kosten.

So erfolgreich der erste Test aber auch war: Ohne Zweifler ist das Herangehen von SpinLaunch nicht. Einige Raumfahrtexperten und Physiker sind überzeugt, dass sensible Hardware wie in Kommunikations- und Erdbeobachtungssatelliten die immensen Beschleunigungskräfte und den Druckschock, der auftritt, wenn das Geschoss die Vakuumkammer verlässt, nicht ohne Schaden überstehen können. Darunter John Carmack, Mitbegründer von id Software und Gründer von Armadillo Aerospace, das 2015 in Exos Aerospace aufgegangen ist. Weniger Treibstoff zu nutzen sei „ein kleiner Gewinn“, da gleichzeitig die maximal mögliche Nutzlast reduziert und der Energieaufwand für den Starvorgang steigt. Ob das so ist, das sollen weitere Tests des Unternehmens demonstrieren. Und zumindest laut Yaney sei es besser, an einem solch gewagten Projekt zu arbeiten und zu testen, ob es funktioniert, „anstatt darüber zu reden.“

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Der militärische Anwendungsfall scheint hier klarer zu sein. Denke auch, dass bei diesen Beschleunigungen typische Instrumente den Geist aufgeben, noch bevor sie im All sind.

Mich erinnert dieses Ding an das Project Thor der Amerikaner: https://www.businessinsider.de/tech/die-us-air-force-hat-eine-waffe-die-so-maechtig-ist-wie-eine-atombombe-2018-7/

Dabei sollen schwere Projektile aus dem All auf die Erde stürzen und allein über die kinetische Energie eine brutale Wirkung entfalten können. Vielleicht reich Spin-launch für so etwas aus?

Nach all den super high-tech Waffen von denen man jüngst liest endlich mal etwas so archaisches wie eine „Steinschleuder“.

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Wieder typisch, dass alle eine 1:1 Übertragung der bestehenden Technologie fordern. Natürlich kann man damit keine empfindlichen Satelliten ins all „werfen“. Aber die Beförderung von unempfindlichen Rohmaterialien, die dann im Orbit weiterverarbeitet werden, sollte möglich sein. Z.B. modulare Bauelemente (Röhren für Raumstationen, Rahmen von Satelliten) oder Rohmaterial für additive Fertigung. Sensible Sensoren kommen dann per Rakete, im Orbit baut ein Roboter das Ding (unter Reinraumbedingungen, abgesehen von der Strahlung) zusammen.

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Das ist ein guter Punkt! Ein sehr guter sogar. Aber soweit ich bisher gesehen habe, will SpinLaunch als Launch Provider für Satelliten auftreten. Daher ist die Kritik nicht gerade gegenstandslos.

Aber es ist vollkommen richtig, dass das „Hochschießen“ von Bauelementen eine ziemlich logische Anwendung wäre. Die Röhren für Raumstationen mit SpinLaunch und dann die Elektronik mit Rakete hinterher.

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Wenn starship fliegt werden die Kosten pro kg unglaublich sinken. Und richtig Maße ins All gelangen. Gibt es Schätzungen dazu was Spin Launch verlangen wird? Angeblich braucht es für relevante Höhen noch eine Oberstufe. Oder die Beschleunigung muss noch höher werden.

Klingt toll, gell? Endlich mal was Neues!

Nur: Die Gesetze der Physik machen dieser Idee aus mehreren(!) Gründen ganz schnell den Garaus. Es ist auch nicht so, dass bisher noch keiner sowas vorgeschlagen hatte, mir fällt auf Anhieb Slingatron aus den 1990ern bzw. um 2006 und dann nochmal als Kickstarter 2013 ein. Die sind nicht mal bis zum Demonstrator gekommen, wurden aber auch hochgelobt und mit Geld beworfen, wenn auch nicht im jetzigen Maßstab. Und ich wette, dass sowas schon in den 1950er und 1960er Jahren ausgearbeitet wurde, und dann nochmal 20 Jahre später.

Aber zu den Problemen. Um nur einige zu nennen:

  1. Soll etwas in der Erdumlaufbahn verbleiben, dann braucht dieses Etwas einen weiteren Geschwindigkeitsimpuls in Umlaufhöhe, also ein Triebwerk. Damit das weiß, wann es feuert, braucht es eine Steuerungselektronik, und natürlich eine Zündvorrichtung. All das braucht Energie, also noch eine Energieversorgung. Dann muss das Ding natürlich auch in die richtige Richtung beschleunigen, sich also korrekt ausrichten. Dazu braucht es Sensoren um zu wissen in welcher Lage es sich überhaupt befindet, sowie irgendwas zum korrekten Ausrichten, also entweder Lageregelungstriebwerke oder eine Lenkung am Einschusstriebwerk. Dazu noch eine Steuerung die das alles berechnet, abgleicht und steuert. Und natürlich den Treibstoff. Voila, schon hat man alles, was eine Oberstufe auch hat, inklusive Elektronik und mechanisch empfindlicher Bauteile. Lässt man das bleiben, dann fällt das Objekt wieder zur Erde runter (egal wie hoch es fliegt), oder es fliegt auf ewig von der Erde weg - falls es noch mehr als 11,2 km/s oder 33.000 km/h Endgeschwindigkeit jenseits der Lufthülle hat. Das sind einfache Grundlagen der Bahnmechanik, die kann auch ein gut finanziertes Start-Up nicht ändern. Also nix mit nur Rohstoffe raufschießen. (Rohstoffladungen „aufzufangen“ geht auch nicht so einfach wegen der deutlich unterschiedlichen Relativgeschwindigkeiten des Objekts und des Fängers in der Erdumlaufbahn, aber das lassen wir hier mal weg.)

  2. Raumfahrt ist keine Frage der Höhe, sondern eine Frage der Geschwindigkeit - schön erläutert hier: https://what-if.xkcd.com/58/ . Wenn man also ein Objekt so hochschießt, dass es vielleicht 30 km Gipfelhöhe erreicht, dann hat es dort keine hohe Geschwindigkeit mehr (außer man hat es in einem flachen Winkel verschossen, womit es aber eine besonders lange Zeit durch die Lufthülle abgebremst wird - siehe nächster Punkt 3). Wenn es dort aber nicht besonders schnell ist, dann muss es nach wie vor auf mind. 28.000 km/h beschleunigen, genau so als ob es auf der Startrampe sitzen würde. Reingewinn: im Beispiel 10 % der potentiellen Energie, die es für einen niedrigen Erdorbit in 300 km Höhe aufwenden muss, sowie etwas weniger Luftwiderstand, der bei größeren Raketen eh keine Rolle spielt. Nachteil: Das Raumtransportsystem muss so gebaut sein, dass es per Spin Launch auf 30 km geschossen werden kann. Das Ding auf einen Raketenbooster setzen wäre da sanfter, aber dann hat man ja keine spektakuläre neue Transportlösung mehr.

  3. Wie gesagt muss das Objekt für Verbleib im Weltraum eine Geschwindigkeit von mindestens 28.000 km/h haben, wenn es mal oben ist. Nehmen wir mal an, wir brauchen KEINE zusätzliche Oberstufe, dann muss das Teil eine Restgeschwindigkeit von 28.000 km/h haben, NACHDEM es Geschwindigkeit durch Energieumwandlung in potentielle Energie verloren hat (es gewinnt ja an Höhe - und ja, das war schlampig formuliert), und NACHDEM die Lufthülle es durch Reibung, also Luftwiderstand, abgebremst hat (ja, auch schlampig formuliert). Nachdem auch Laien seit Space Shuttle Columbia 2003 wissen, was passiert, wenn man mit 28.000 km/h auf dünne Luft auftrifft, sollte man eine erste Ahnung davon haben, was passiert, wenn man mit dieser Geschwindigkeit urplötzlich auf bodennahe Luftdichte auftrifft. Wenn man das alles mal ernsthaft durchrechnet (habe ich noch nicht!), dann kommt man selbst bei strömungsgünstigsten Hyperschallflugkörperformen auf notwendigen Austrittsgeschwindigkeiten von vielleicht 50.000 km/h oder deutlich mehr, wobei sich dann aber G-Kräfte im Bereich vieler 100 g durch die Abbremsung der unteren Lufthülle ergeben (muss das Ding übrigens in 90° anderem Winkel aufnehmen als die Spin Launch-Beschleunigung - fragt mal nen Ingenieur, was das für die Auslegung bedeutet). Gar nicht zu reden von dem Schlag, den das Objekt erfährt, wenn es vom Vakuum durch die „Plastikhülle“ geht und auf die dicke Luft trifft - ist wahrscheinlich wie eine massive Stahlbetonmauer. Außerdem dürften sich da durch Reibungs- und Stagnationseffekte Temperaturen von mehreren 10.000 °C entwickeln, damit dürfte sich auch eine Space-Shuttle-Hitzeschildkachel ratzfatz in eine Plasmawolke umwandeln. Und nehmen wir an, dass die (nicht vorhandene!) Oberstufe einen nennenswerten Beitrag zur Geschwindigkeit macht, dann braucht man immer noch Austrittsgeschwindigkeiten aus dem Spin Launch, die bei weit mehr als 10.000 km/h liegen dürften - in Bodennähe derzeit unbeherrschbar, siehe „neuartige“ Hyperschallwaffen, die in großer Höhe(!) gerade mal knapp über Mach 5 bewältigen können wollen (also zwischen 5.000 und 6.000 km/h).

Bohrt man weiter, dann finden sich noch einige weitere Probleme mit Showstoppercharakter.

Mir ist ein absolutes Rätsel, wie sich ernsthaft erscheinende Investoren wie Google oder Airbus Ventures mit diesem Projekt abgeben können. Vielleicht sitzen dort Dilettanten, vielleicht will man Gelder irgendwie loswerden, vielleicht sind einem die laufenden weltweiten Schlagzeilen das Investment wert. Vielleicht ist es aber tatsächlich das, was es mir erscheint: Ein Spaßprojekt für die beteiligten Bastler. Und vielleicht sind ja paar Google-Leute in ihrer Freizeit da dabei.

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Danke für die Aufklärung, jetzt bin ich wieder ein bisschen schlauer!

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