Aktuelle Analysen bescheinigen der deutschen Wissenschaftscommunity zu wenig greifbare Ergebnisse ihrer Arbeit – und Besserung scheint nicht in Sicht: Ein Impulspapier für den Zukunftsrat des Bundeskanzlers sieht seit dem Start der Ampel nur in drei von elf Schlüssel- und Zukunftstechnologien überhaupt Fortschritte. Woanders herrscht Stillstand oder die Lage verschlechtert sich. Grund genug für den früheren Topmanager und Spitzenpolitiker Thomas Sattelberger eine ehrliche Diskussion zu fordern, bevor Deutschland in allen Bereichen abschmiert.
Ein Gastbeitrag von Thomas Sattelberger
Die Mauer des Schweigens, die Omerta einer eingeschworenen Gemeinschaft, bröckelt. Während bisher die unangenehmen Wahrheiten zum deutschen Wissenschafts-, Forschungs- und Innovationssystem von unbequemen Außenseitern adressiert wurden, melden sich jetzt auch erste Stimmen aus der Community selbst.
Der von mir sehr geschätzte Georg Schütte, Staatssekretär a.D., heute experimentierfreudiger Chef der VolkswagenStiftung, und der intellektuell scharfe Volker Meyer-Guckel, Generalsekretär des Stifterverbands, schreiben in einem gemeinsamen Impulspapier über den Verlust an Innovationskraft und internationaler Wettbewerbsfähigkeit. Sie sprechen über ineffiziente Strukturen, über geringe Dynamik im Vergleich zu internationalen Wettbewerbern, über den nötigen Wechsel von einer Wettbewerbs- auch zu einer Wirkungslogik, über kostenträchtige Doppelung von Forschungskapazitäten hierzulande und in Summe von einer nationalen Kraftanstrengung für die Weiterentwicklung des deutschen Wissenschaftssystems. Kurzum: Sie bescheinigen der deutschen Wissenschaft, dass sie zu wenige greifbare Ergebnisse liefert. Das kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem der Elefant im Raum unübersehbar geworden ist.
Beschwichtiger und Klartexter
Weder die Hochschulrektorenkonferenz HRK, der Zusammenschluss der staatlichen und staatlich anerkannten Universitäten und Hochschulen in Deutschland, noch die Außeruniversitären Forschungseinrichtungen (AuF) rührten sich zu der für sie problematischen Ansage. Dafür durfte der Chef der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI), Uwe Cantner, die Kritik abmoderieren – „…würde der Diagnose, die Wissenschaft stecke in einem tiefen Tal, nicht ohne weiteres folgen“. Seine eigene Kollegin in der EFI-Kommission, Irene Bertschek vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, konterkarierte diese Aussage kurz danach. In ihrem aktuellen Impulspapier für den Zukunftsrat des Bundeskanzlers, welches sie zusammen mit dem CEO von Volocopter, Dirk Hoke, erarbeitet hat, schreibt sie: „Deutschland fällt in zentralen Innovationsfeldern zunehmend hinter globale, klar fokussierte Mitbewerber zurück.“
Muss Deutschland erst in allen Technologiebereichen abschmieren, bevor die Wissenschaftscommunity endlich aufwacht? Manchmal erinnert es mich an die Allegorie vom Frosch im Wasserglas, welches mehr und mehr erhitzt wird.
Technologische Priorisierung unabdingbar …
Das im Impulspapier beschriebene und im Zukunftsrat vorgetragene „Technologie – Grid“ ist brutal-nüchtern. Es bescheinigt nur in drei von elf Schlüssel- und Zukunftstechnologien Verbesserungen seit dem Start der Ampel. In den acht übrigen Technologiefeldern gab es in der Forschungspolitik seit 2021 nicht nur keine Verbesserung, sondern teils sogar Verschlechterungen. Dem Plädoyer Bertscheks und Hokes für eine „auf der strategischen Ebene, ehrliche und Commitment-orientierte Debatte“ kann ich mich nur anschließen. Die Rosstäuscherei muss ein Ende haben.
Zu einer offenen und ehrlichen Debatte gehört auch, dass man sich die Karten legt und folgende Fragen diskutiert:
- Bei welcher Technologie müssen wir unseren Platz in der Spitzengruppe sichern?
- Wo ist noch eine Aufholjagd in die Spitzengruppe möglich?
- Wo können wir, wie bei den optischen High-NA-EUV-Technologien der Firma Zeiss, also bei modernen Verfahren zur Herstellung winziger Strukturen auf Mikrochips, zumindest eine erfolgskritische Position in der technologischen Wertschöpfungskette besetzen?
- Wo müssen wir uns angesichts knapper Ressourcen mit technologischer Co-Spezialisierung mit „friendly nations“ begnügen, wie es meines Erachtens bei maritimen Technologien und Milliarden kostenden Forschungsflotten unumgänglich ist?
- Wo reicht es gerade noch, verlängerte Werkbank für andere Nationen zu sein, wie etwa beim TSMC-Chipproduktionswerk in Dresden?
- Wo müssen wir uns in der staatlichen Förderung von Technologien verabschieden, weil wir schlicht und einfach viel zu abgeschlagen sind? Bei Reaktor- und Verbrenner-Technologien haben wir dies schon ohne Not und zum Possen der internationalen Forschungswelt demonstriert.
Was auch unausweichlich ist: Die schmerzhafte Arbeit danach
Doch nach der intellektuellen Denksportaufgabe der strategischen Priorisierung kommt der operative Schmerz des Abbaus von Mehrfachkapazitäten. Und zuallererst die ehrenpusselige Festlegung, welche Forschungsstätte den Lead erhält – da kann es nur um wissenschaftliche Exzellenz gehen. Past Merit! Dieser zeigt sich meist bei den Forschungspersönlichkeiten, um die sich die besten jungen Forscherinnen und Forscher scharen. Denn diese sehen nicht nur Past Merit, sondern auch ihre Zukunft. Ich gehe jede Wette ein, dass der Zukunftsrat darüber nicht gesprochen hat.
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Teile der aktuellen Analysen sind nicht neu: Seit Jahrzehnten werden der deutschen Wissenschaft Schwächen beim Transfer bescheinigt, also beim Übertrag ihrer Forschungsergebnisse in Gesellschaft und Wirtschaft, zum Beispiel durch Kooperationen mit Unternehmen, durch Patente oder Start-up-Ausgründungen.
Wenn Bertschek und Hoke in ihrem Impulspapier nun davon schreiben, dass der Transfer-Output auf ein Niveau gehoben werden müsse, das dem hohen Input entspreche, dann bezweifle ich, dass die Entscheider im Zukunftsrat in der Konsequenz diskutiert haben, was das heißt. In der Betriebswirtschaft würde man diesen Zielpunkt das „break even“ nennen – man erzielt genau so viel Umsatz, wie man benötigt, um die Kosten zu decken. Man holt also gerade einmal die Milliarden wieder herein, die man hineingesteckt hat.
Kein ernstzunehmendes Unternehmen würde sich trauen, mit so bescheidenen Zielen ins Rennen zu starten! Deutschland braucht ein Mehrfaches an Umsatz aus innovativen Produkten und Services, um den Abstieg in einen Aufstieg zu drehen.
Wichtig ist nichtsdestotrotz, dass die beiden Autoren den Output strapazieren. Angesichts der verheerenden 2023er-Ausgründungszahlen der “fetten Katzen“ – gemeint sind Fraunhofer & Co (Ausnahme in 2023 Max Planck) – und der desaströsen Evaluierung (wenn man die politische Sprache dekodieren kann) der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz für die ersten drei Jahre des fortgeschriebenen Pakts für Forschung und Innovation (PFI IV) für diese Einrichtungen, ist das überfällig gewesen. Zur Erinnerung, meine frühere Kolumne: „Alle schwätzen vom Transfer, aber nichts passiert!“
Deswegen habe ich auch in diesem Text bewusst den Begriff „Omerta“ gewählt: Die immer wieder gleichen Spieler aus Politik, Wissenschaft und Forschung sowie aus der Stiftungswelt sitzen immer wieder in den gleichen Runden zusammen, wie alte Ehepaare – die Wissenschaft nennt das homosoziale Reproduktion. Sie erzählen sich immer wieder die gleichen Geschichten – so oft, dass jeder jedem glaubt. Gleichzeitig wird eine fragwürdige Geheimhaltung um Treffen wie das des Zukunftsrats und seiner Papiere gemacht.
Vielleicht ist Ihnen beim Lesen aufgefallen, dass ich das Impulspapier von Bertschek und Hoke nicht verlinkt habe. Das liegt daran, dass es (noch) nicht öffentlich gemacht wurde! Und das obwohl Deutschland den Sense of Urgency zum Thema Zukunft dringend bräuchte. Das setzt Transparenz und Offenheit voraus.
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