Hat ein Start-up im Rennen um einsatzfähige Quantencomputer eine Chance gegen Google oder IBM? Durchaus. Denn noch ist nicht klar, welche Technologieplattform dabei zum Erfolg führen wird. Und planqc aus München verfolgt einen anderen Weg als die Tech-Riesen. Es setzt auf neutrale Atome, Laser, Mikroskope und jahrzehntelange Forschung am Max-Planck-Institut für Quantenoptik.
Von Wolfgang Kerler
Wer Sebastian Blatt durch die verwinkelten Gänge des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik in Garching bei München folgt, verliert nicht nur die Orientierung. Er kann auch erkennen, welche Fortschritte die Wissenschaft in den vergangenen paar Jahren gemacht hat. Selbst als Laie. Denn die Quantenexperimente, die hier mit Lasern, Mikroskopen und vielen Glasfaserkabeln konstruiert werden, schrumpfen von Generation zu Generation.
Die Anlage, die der Quantenphysiker Blatt selbst 2015 aufbaute, verteilt sich noch über drei große Labortische. Die Versuchsanordnung von diesem Jahr braucht gerade Mal einen Tisch – und kommt damit dem Quantencomputer, den Blatt und seine drei Mitgründer jetzt mit ihrem Start-up planqc entwickeln wollen, schon recht nahe.
„Über die letzten Jahrzehnte hat man in der Wissenschaft festgestellt, dass der Bau eines Quantencomputers ein sehr langes Projekt ist“, sagt Blatt im Gespräch mit 1E9. „Doch wir glauben, dass wir jetzt eine Schwelle erreicht haben, ab der es wirklich möglich wird.“ Er ist Technikchef von planqc und leitet gleichzeitig weiter die Forschung am MPQ, wie das Max-Planck-Institut für Quantenoptik abgekürzt wird.
Dort ging es lange Zeit gar nicht um die Entwicklung von Computern, sondern um die Simulation von Quantensystemen. Mehrere Generationen von Forschern wollten und wollen am MPQ herausfinden, wie sich Konstellationen aus vielen Quantenteilchen, also aus Atomen, Ionen, Elektronen, Protonen, eigentlich verhalten. Denn längst sind nicht alle wissenschaftlichen Fragen der Quantenwelt beantwortet.
„Wir wollten ganz einfach die Physik besser verstehen“, sagt Sebastian Blatt. „Aber Systeme mit vielen Quantenteilchen lassen sich auf klassischen Computern nicht simulieren. Selbst die besten Superrechner der Welt schaffen vielleicht 30 oder 40 Teilchen.“ Wie sich dieses Problem umgehen lässt? „Man baut die Quantensysteme einfach in analogen Simulationen nach, die selbst aus vielen Quantenteilchen bestehen, und beobachtet, was passiert.“
Wobei einfach hier nicht wörtlich zu nehmen ist, denn die Entwicklung von Quantensimulatoren ist hochkomplex und dauert am MPQ seit vielen Jahren an. Dabei erzielte das Institut allerdings Durchbrüche bei der Konstruktion von Lasern und von Quantengasmikroskopen, die jetzt die Basis für die Quantencomputer von planqc bilden werden – eine vielversprechende Begleiterscheinung der Grundlagenforschung. „Wir haben inzwischen so viel gelernt, dass wir jetzt sagen können: Okay, dann machen wir damit eben Qubits“, so Blatt.
Neutrale Atome werden zu Qubits für den Quantenrechner
Das Grundprinzip der bestehenden Quantensimulatoren am MPQ und der zukünftigen planqc-Quantencomputer ist ähnlich: In einem Ofen wird ein Element, zum Beispiel das Metall Strontium, stark erhitzt, damit ein Atomstrahl entsteht. Die neutralen Atome darin werden anschließend mit elektromagnetischen Feldern und Lasern abgebremst, damit eine gewisse Anzahl von ihnen am entscheidenden Ort – in einer Vakuumkammer – von weiteren Lasern festgehalten werden kann. Dort können sie mit Quantengasmikroskopen beobachtet und wiederum mit Laserstrahlen, die durch die Mikroskope geschickt werden, einzeln manipuliert werden, zum Beispiel indem sie durch die Energie des Lasers in einen angeregten Zustand versetzt werden.
Durch dieses Lesen und Schreiben per Mikroskop und Laser können im Fall der Quantencomputer einzelne Atome miteinander verschränkt und Quantenalgorithmen ausgeführt werden. Die neutralen Atome, die Quantenteilchen sind, fungieren bei den geplanten planqc-Prozessoren also als Qubits und übernehmen die Rechenaufgaben. Sie befinden sich – im Gegensatz zu den Bits bei klassischen Prozessoren oder den Qubits bei den Quantencomputern von IBM oder Google – nicht auf einem Chip, sondern in einem luftleeren Raum in der Mitte eines speziell bearbeiteten, mit Spiegeln besetzten Glasobjekts. Dieser optische Resonator wird das Herzstück des planqc-Quantenprozessors bilden.
Damit die Qubits darin gezielt über Laser ausgelesen und angesprochen werden können, müssen sie in eine zunächst zweidimensionale, bei steigender Anzahl von Qubits auch dreidimensionale Rasterstruktur sortiert werden. „Das ist zwar eine Herausforderung“, sagt Sebastian Blatt. „Aber die haben wir im Grunde gelöst.“ Eine Skalierung auf Tausende oder gar Millionen von Qubits, die wohl gebraucht werden, um einen kommerziell nutzbaren Quantencomputer zu bauen, bleibt auch mit diesem Ansatz anspruchsvoll, aber möglicherweise einfacher als für Konkurrenten, die auf andere Technologien setzen.
Supraleiter versus Ionenfallen versus neutrale Atome
Bei der Entwicklung von Quantencomputern werden seit Jahren verschiedene Forschungsansätze verfolgt – alle mit eigenen Vor- und Nachteilen. Planqc setzt, wie gerade erklärt, auf den Einsatz von neutralen Atomen als Qubits, die per Laser und Mikroskop im Vakuum manipuliert werden können.
Die amerikanischen Technologiekonzerne IBM und Google, aber auch der europäische Quantencomputerbauer IQM stellen dagegen Rechner her, bei denen supraleitende Schaltkreise auf Chips zum Einsatz kommen. Diese müssen mit hohem Aufwand fast bis zum Nullpunkt heruntergekühlt werden. Im Moment gilt diese Technologie zwar als führend, Sebastian Blatt hält den quantenoptischen Ansatz mit neutralen Atomen von planqc auf lange Sicht dennoch für vielversprechender.
„Zum einen kann unser System bei Raumtemperatur betrieben werden,“ sagt er. „Zum anderen bringen die supraleitenden Schaltkreise das Problem, dass auf dem Festkörperchip jedes Quantenteilchen ein bisschen anders ist, während bei uns jedes Atom von Grund auf gleich ist.“ Die Konsequenz: Die Supraleiter-Technologie sei anfälliger für Fehler. Die Skalierung von den aktuell um die 100 Qubits auf Tausende oder Millionen von Qubits sei dadurch extrem aufwendig.
Letzteres gelte laut Sebastian Blatt auch für eine weitere Technologie: Quantencomputer mit Ionenfallen. Bei diesen bilden elektrisch geladene Atome, die mit elektromagnetischen Feldern im Vakuum festgehalten werden, die Qubits. Doch Ionen, also elektrisch geladene Atome, stoßen sich gegenseitig ab. Ein Problem, das es bei den neutralen Atomen von planqc nicht gebe, so Blatt.
„Mit aktuellen Quantencomputern kann man ja nur theoretische, wissenschaftliche Aufgaben lösen“, sagt er, „wenn überhaupt. Um industrierelevante Probleme zu bearbeiten, brauchen wir mindestens ein paar Hundert voll kontrollierte Qubits, wenn nicht sogar ein paar Tausend. Und wir glauben, dass wir das besonders gut hinbekommen werden.“ Allerdings gibt er zu, dass derzeit niemand absehen könne, welche Technologieplattform sich in zehn, 20 oder 30 Jahren durchgesetzt haben wird.
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Jetzt Mitglied werden!4,6 Millionen Euro hat sich planqc schon gesichert
Denn auch planqc hat noch nicht alle offenen Fragen beantwortet. Die größte Herausforderung sei das präzise „Anleuchten“ der einzelnen Qubits per Laser. „Der Quantencomputer erfordert, dass die Atome, also die Qubits, sehr nah beieinander sind“, erklärt Sebastian Blatt. Und zwar so nah, dass es an die Grenze des physikalisch Möglichen gehe, einen scharf definierten Laserstrahl genau auf ein Qubit zu fokussieren. Treffe das Licht an seinen Rändern aber auf ein benachbartes Qubit, gebe es einen Crosstalk zwischen den Atomen – was Fehler produziere.
„Unter Laborbedingungen haben wir das Problem ja schon gelöst“, sagt Blatt. „Mit unserem Start-up wollen wir diese Lösungen jetzt kleiner und günstiger machen und sie kommerzialisieren.“ Die Finanzierung, um eine Demonstrationsanlage zu bauen, hat sich planqc bereits gesichert: Ende Juni konnte das Start-up eine Finanzierungsrunde in Höhe von 4,6 Millionen Euro vermelden, angeführt von den Investoren UVC Partners und Speedinvest. In „drei, vier, vielleicht auch fünf Jahren“ werde es dann den ersten planqc-Quantencomputer geben, meint Sebastian Blatt.
Und wie will das Start-up später Geld verdienen? Einerseits durch den Verkauf und die Auslieferung von Quantencomputer, andererseits durch Cloud-Zugang zu Quantenrechnern, die planqc selbst betreibt. Diese dürften am Ende übrigens etwas unspektakulärer aussehen als die aktuellen Rechner von IBM oder Google, die unverkleidet ein bisschen an Kronleuchter erinnern, und auch als die Laborexperimente im MPQ mit ihren vielen Kabeln und Lasern. Sie werden in handelsüblichen Serverschränken untergebracht, die in Rechenzentren kaum auffallen dürften.
Titelbild: Axel Griesch, MPQ
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