Nicht nur Elon Musk, auch ein paar einfallsreiche Schweizer planen Tunnel gegen das Verkehrschaos


Der derzeit bekannteste Tunnelbauer der Welt dürfte Elon Musk sein. Die Tunnelbauer mit der größten Tradition sind aber die Schweizer. Deswegen wundert es nicht, dass sie ganz ähnliche Ideen gegen Staus und Verkehrskollaps haben wie der exzentrische Milliardär. 1E9 stellt ein Tunnelkonzept vor, das in Deutschland bisher kaum jemand kennt.

Von Michael Förtsch

Die Idee klingt einfach, aber genial. Die Straßen sind verstopft, der Verkehr dicht, zähflüssig und gefährlich – und stetig wird es schlimmer. Warum also nicht einen Teil davon unter die Erde verlegen? Und zwar nicht nur über kurze Distanzen und in einem strengen U-Bahn-Takt. Nein, über Strecken von Dutzenden Kilometern. Immer wenn es nötig ist, sausen dann Kapseln, die von modernen Elektromotoren angetrieben werden, durch kreisrunde Tunnels. Hochentwickelte Sensorik und neuartige Automatisierungstechnologie erledigen den Rest.

So hat es sich jedenfalls Elon Musk gedacht, als er - wie er immer wieder erzählt - im Stau von Los Angeles festsaß. Und wie man weiß, erzählt der SpaceX- und Tesla-Gründer nicht nur gerne von seinen fixen Einfällen, sondern nimmt schnell ein paar Millionen Dollar in die Hand, um sie zackig umzusetzen.

Ende vergangenen Jahres wurde in Hawthorne bei Los Angeles der Prototypen-Tunnel seines Loop getauften Systems eröffnet, gegraben mit einem Tunnelbohrer des deutschen Maschinenbauers Herrenknecht. Noch etwas holprig waren die ersten Fahrten, die Pressevertreter und andere Besucher mit umgebauten Teslas absolvieren konnten, die von Ingenieuren Spurhalte-Spangen aus Stahl und Gummi verpasst bekommen hatten. Doch: Es schien zu funktionieren. Genau das könnte einem anderen Projekt nun Schub verleihen, dessen Initiatoren zumindest gedanklich einige Jahre früher dran war als Elon Musk: Ein Verbund von Ingenieuren und Unternehmern plant seit geraumer Zeit, die halbe Schweiz zu untertunneln.

Wer hat’s erfunden?

Cargo Sous Terrain, Fracht unter der Erde , nennt sich das Projekt, das der Schweizer Logistikexperte Peter Sutterlüti schon vor über fünf Jahren anschob. Seine Idee ist nicht viel anders als die Vision, die Elon Musk und seine Boring Company verfolgen. Sutterlüti hatte ein Tunnelsystem vor Augen, das die wichtigsten Städte der Schweiz miteinander verbindet. In 20 bis 50 Metern Tiefe sollen die Röhren verlaufen. Durch diese tuckern dann kleine Kapseln, die von der Tiefkühlpizza über Medikamente bis hin zum Teddybären alles transportieren können. Das Konzept begeisterte auch zahlreiche eidgenössische Unternehmen. Aber die preschten natürlich nicht einfach vor wie der einstige Paypal-Co-Gründer Elon Musk.

Nein, die Schweizer gründeten 2013, wie es sich gehört, einen Förderverein, der zunächst ganz vernünftig die Machbarkeit prüfen und die Umsetzung durchrechnen sollte. Klar, das ist weniger sexy als das „Machen wir mal“-Prinzip. Aber letztlich kamen beide zum gleichen Schluss: Die Tunnel haben eine Zukunft. „Auch wenn von Anfang an begeisterte Ingenieure dabei waren, die das technische Lösungskonzept initiierten, entstand CST nicht aus Technikverliebtheit“, sagt Patrik Aellig von Cargo Sous Terrain zu 1E9. „Wir hatten immer einen sehr starken Praxisbezug. Das ist unsere Stärke.“

Cargo Sous Terrain soll eine praktische Lösung für ein handfestes Problem der Schweizer bringen. Päckchen, Pakete, Fracht, Nahrungsmittel, Medikamente: All das sorgt für immer mehr Verkehr auf den Straßen, die nicht nur über Autobahnen und Schnellstraßen, sondern auch über Berge und durch ländliche Gegenden gefahren werden müssen. Das macht den Transport teils schwierig, unnötig zeitaufwendig und teuer. Nicht zuletzt nach Debatten über Feinstaub und die Umweltfreundlichkeit der LKW-Logistik wäre eine Alternative mehr als erwünscht. „Wir brauchen Lösungen“, hatte Peter Sutterlüti seine Idee im Schweizer Radio beworben. „Und eine Lösung wäre dieses neues Gesamtlogistiksystem.“

Langsam, aber sicher: Die Pods schaffen nur 30 Stundenkilometer

Seit dem initialen Gedankenfunken ist aus und um die Tunnelidee ein durchdachtes und zumindest im Computer schlüssiges Konzept einstanden, das heute von über 40 Unternehmen und Förderern – darunter Migros, die Schweizer Post und der Flughafen Zürich – unterstützt wird: Jeder Tunnel soll sechs Meter breit sein und über drei Spuren verfügen – je einer für jede Richtung und eine Mittelspur für Wartungs- und Ausweichzwecke. An der Decke soll eine Mini-Seilbahn verlaufen, die für den Brieftransport genutzt werden kann. Reichen soll das Netz von Genf über Bern bis St. Gallen. Dazwischen sollen sich Ausleger nach Thun, Basel und Luzern strecken. Das wären über 450 Kilometer an Tunnel, die unter Bergen, Städten und Viehweiden hinweg verlaufen.

Die Transport-Kapseln sollen aussehen wie kleine Container, sich zu Zügen koppeln lassen und dank Induktionsschienen rein elektrisch fahren. Flink wie die Transportschlitten von Elon Musk, die 240 Kilometer pro Stunde erreichen könnten, sollen die Schweizer Kapseln jedoch nicht sein. „Rauschen wird es nicht unbedingt, die Fahrzeuge bewegen sich mit langsamer Geschwindigkeit von 30 Stundenkilometern“, sagt uns Patrik Aellig. „Wichtig ist vor allem die Zuverlässigkeit und der kontinuierliche Transport.“ Ein- und Ausgeladen werden sollen die Pods an sogenannten Hubs, die sie mit Aufzugsystemen aus und in die Tunnel heben. Von dort aus sollen die Lieferungen die letzte Meile zu den Empfängern absolvieren – am besten mit Drohnen oder Lieferrobotern, wie die Schweizer schon mal prophezeien.

Fehlen nur noch fast 29 Milliarden Euro

Ganze 40 Prozent des Güterverkehrs könnten durch die Tunnel von der Straße geholt werden, hat Cargo Sous Terrain berechnet. Kosten soll das Projekt letztlich 33 Milliarden Franken – also rund 28,8 Milliarden Euro. Von dieser Summe ist auf dem Konto von Cargo Sous Terrain derzeit noch nicht viel zu sehen. Aber immerhin: 100 Millionen Franken haben sie als Anschubfinanzierung zusammengebracht. Die sollen die Planungsphase finanzieren. Bereits 2025 wollen die Schweizer dann einen Tunnel zwischen Zürich und dem 1.600-Seelen-Dorf Härkingen bohren. Die rund 70 Kilometer lange Strecke ist gut gewählt. In Härkingen steht das größte Paketzentrum der Schweizer Post und nur drei Kilometer weiter steht das Logistikzentrum des Einzel- und Großhandelsgiganten Migros.

„Die Eröffnung der ersten Teilstrecke Härkingen-Zürich ist für 2030 vorgesehen“, sagt Patrik Aellig. Die kleinen Transportkapseln sollen parallel zu den Bauarbeiten entwickelt werden. Dabei soll auf bewährte Prinzipien und Technologien zurückgegriffen werden – auf Technik also, die schon jetzt bei Elektrofahrzeugen und Lagerrobotern eingesetzt wird. Bei der Logistik- und Software-Plattform soll unter anderem SAP helfen. Zwar wird es Probeläufe geben, aber keinen ausgedehnten Versuchsbetrieb. Stattdessen soll die Strecke direkt nach der Eröffnung vollwertig nutzbar sein und schon nach wenigen Jahren rentabel funktionieren. Da sind die Schweizer zuversichtlich und von ihren Fähigkeiten und Berechnungen überzeugt.

Mittlerweile ist auch die Schweizer Regierung von dem Projekt angetan. Geld dazugeben will sie zu dem Projekt nicht. Doch es wird geprüft, ob ein Spezialgesetz erlassen werden kann. Das soll die Planung und Bewilligung der Untergrundbahn vereinfachen. Denn derzeit müssten sich die Verantwortlichen mit jedem Kanton und jeder Kommune einzeln über den Bau verständigen: Das könnte die Umsetzung um Jahre, wenn nicht Jahrzehnte verzögern. Das neue Gesetz würde stattdessen eine generelle Baugenehmigung ermöglichen.

Virgin Hyperloop One ist Großaktionär

Cargo Sous Terrain hat übrigens auch noch ganz andere Alliierte. Nämlich die deutschen Tunnelbohrmaschinenbauer von Herrenknecht und Virgin Hyperloop One, eines der aussichtsreichsten Start-ups, wenn es um die Realisierung des Überschallröhrenzuges Hyperloop geht. Das Unternehmen, das vom britischen Milliardär Richard Branson aufgekauft wurde, ist einer der Hauptaktionäre des Schweizer Projektes.

Ob und wie aber Technik und Erfahrungen ausgetauscht werden, darüber wird noch geschwiegen. „Natürlich, es gibt Synergien“, deutet Patrik Aellig zumindest schon mal an. „Ein Gedanke wäre etwa, in kleinräumigeren Verhältnissen Cargo Sous Terrain aufzubauen und für größere Transportstrecken zwischen Ländern oder gar Kontinenten den Hyperloop.“ Konkrete Pläne gäbe es noch nicht, aber durchaus interessante Optionen. Ebenso wäre es denkbar, Cargo Sous Terrain über Partner in andere Regionen zu bringen: Asien sei ein Kandidat, aber natürlich auch andere europäische Staaten wie Deutschland.

Zunächst einmal muss aber die erste Strecke stehen und sich das System mit seinen kleinen Kapseln beweisen. Doch wenn die Schweizer eines können, dann Tunnel. Das haben sie mehr als einmal bewiesen.

Teaser-Bild: Cargo Sous Terrain

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