Der Erfinder Karl Hans Janke hat überschall-schnelle Flugzeuge, motorisierte Roller und Raketenschiffe erdacht. Er hat die Energieprobleme der Menschheit gelöst und wollte sie zu neuen Planeten führen. Dennoch ist er kaum jemanden ein Begriff und keine dieser Erfindungen wurde je realisiert. Denn Janke war Patient in einer Psychiatrie – trotzdem erscheinen einige seiner Konzepte heute ziemlich vorausschauend.
Von Michael Förtsch
Es war im Jahr 2000 als zahlreiche Kisten und Obststiegen aus einem kargen Abstellraum der ehemaligen Psychiatrischen Anstalt von Schloss Hubertusburg getragen wurden. Sie waren vollgepackt mit Skizzen und Zeichnungen. Über mehrere Jahre wurden sie im Dachstuhl eines Gebäudes des riesigen Komplexes im sächsischen Wermsdorf aufbewahrt, der nun für dringend nötige Umbau- und Sanierungsarbeiten freigeräumt werden musste. Nicht vergessen, „aber ignoriert hatte man sie dort“, sagt Dirk Petzold gegenüber 1E9. Der Historiker versucht seit nunmehr 17 Jahren die Geschichte der Zeichnungen und das Leben ihres Erschaffers aufzuarbeiten. Denn was auf diesen Bildern zu sehen ist, das sind im wahrsten Sinne des Wortes fantastische Konstruktionen, die einem zeithistorischen und kreativen Goldschatz gleichen.
Es sind riesige Raumschiffe, elegante Flugzeuge und stromlinienförmige Automobile, die genauso gut auf den Covern von Science-Fiction-Romanen und Comics abgebildet sein könnten. Ebenso sind auf den Zeichenpapieren mysteriöse Generatoren und Motoren aufgerissen, die unweigerlich an die Zeichnungen von Leonardo da Vinci denken lassen. Überscheiben sind diese obskuren Gerätschaften und futuristischen Fortbewegungsmittel mit gleichsam fantastischen Namen wie Terra-Venusse, Dreistufiges Atom-Magnetisches Blitz-Düsen-Triebwerk oder Vakuum-Trajekt. Unterschrieben ist jedes einzelne der Bilder wiederum mit einem Datum und einer sauber geschrieben Signatur. Es ist die Unterschrift von Karl Hans Janke, der einen großen Teil seines Lebens in der Psychiatrie verbrachte.
Ein einsames Genie?
Seiner eigenen Biografie zufolge, die Janke im Laufe der Jahre gleich mehrfach schrieb, wurde er am 21. August 1909 im heutigen Kolobrzeg, Polen – dem einstigen Kolberg – geboren. Er selbst bescheinigte sich eine „erfinderisch-praktische Eigenschaft“, die er von seinem Vater, und eine „schöngeistig-künstlerische Eigenschaft“, die er von seiner Mutter mitbekommen hätte. Beide schickten ihn schon früh in das kosmopolitische Berlin zu einer Tante, wo er am damaligen Hindenburg Gymansium zur Schule ging. Anschließend wollte er Zahnmedizin studieren – aber brach nach einem Semester ab, wie Dirk Petzold durch Dokumente im Universitätsarchiv in Greifswald nachweisen konnte. Wenig später ging Janke zurück zu seinen Eltern, die zwischenzeitlich einen Bauernhof im damaligen Pommern erworben hatten.
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Jetzt Mitglied werden!Dort arbeitete Janke, aber nicht auf dem Feld oder mit den Tieren, sondern er richtete sich in einer Scheune eine Werkstatt her, wo er mit Maschinen und Geräten zu experimentieren begann. Er baute Modelle von Flugzeugen, will bereits 1925 „das Prinzip des Helikopters“ erdacht haben und reichte Anträge auf Patente ein. Dann kam es zum Krieg und Janke wurde von der Wehrmacht eingezogen. Allerdings verbrachte er das Gros seiner Dienstzeit im Lazarett. Ihm wurde eine „Nervenschwäche“ attestiert. Daher wurde er zwei Jahre vor Kriegsende aus dem Dienst entlassen. Sein Vater starb während dieser Zeit. Die Nachkriegszeit verbrachte Janke, der nun Kinderspielzeug aus Paper und Plastik herstellte, mit seiner Mutter im sächsischen Großenhain, wo sie 1948 starb.
„Janke konnte sich offensichtlich nicht selbst versorgen“, sagt Dirk Petzold. Im Jahr nach dem Tod seiner Mutter wurde der Erfinder daher verwahrlost und verwirrt aufgegriffen. Er verteilte Plakate, auf denen er anprangerte, dass er von den sowjetischen Besatzungsbehörden für seine Arbeit an Kinderspielzeug kein Material zugeteilt bekomme. „Damit machte er sich in der damaligen sowjetischen Besatzungszone nicht beliebt“, meint Petzold. Janke wurde verhaftet, aber hatte Glück. Er wurde nicht ins Gefängnis oder in ein Arbeitslager geschickt, sondern zu einem Amtsarzt, der ihn für fast ein Jahr in die Nervenklinik von Arnsdorf einwies. Dort wurde eine „chronisch paranoide Schizophrenie“ diagnostiziert. Am 8. November 1950 wurde Janke dann für eine dauerhafte Betreuung in die Krankenanstalten Hubertusburg in Wermsdorf verlegt. Dort zeigte sich dann auch sein ganzer Erfindertrieb.
Zu anderen Welten
Karl Hans Janke soll ein ruhiger und höflicher Patient der Psychiatrie von Hubertusburg gewesen sein. Er habe nie verstanden, heißt es von Zeitzeugen, warum er eingewiesen wurde, hätte sich aber mit dem Umstand weitestgehend arrangiert. Und zwar, indem er Tag um Tag Dinge erfand und in seinen Zeichnungen manifest machte. Genau dieses „wahnhafte Erfinden“ soll auch das hauptsächliche Symptom seiner Schizophrenie gewesen sein – weshalb er sich als „Freigänger“ auch außerhalb der Anstalt bewegen durfte. Was Janke da zu Papier brachte, das waren einzelne Gerätschaften, hinter denen sich aber ein homogener Kosmos zur Revolution der Technologie und „Errettung der Menschheit“ versteckte.
Auf Dutzenden Papierbögen finden sich Illustrationen und Blaupausen für unzählige Raketen- und Düsenflugzeuge, die mit dem Weltraum als Abkürzung die Kontinente verbinden sollten. Er nannte sie Trajekte – nach dem Lateinischen Wort für Über- oder Durchfahrt. Eines davon hatte Janke als „Schnellste Maschine der Welt!“ überschrieben. Sie sollte die Welt gefühlt kleiner machen. Eine andere, die er Hiddensee getauft hatte, malte er sich als Fahrzeug eines hypothetischen „Deutschen und Internationalen Trajekt-Linien-Dienstes“ aus – für den er auch schon Schriftzüge und ein heute retro-futurisch erscheinendes Logo entworfen hatte. Auch gigantische Wasserfahrzeuge und Unterseebote skizzierte er.
Aber seine Maschinen sollten noch viel weiter – und über die Erde hinaus. Raumschiffe wie die kugelrunden „Plutonia“ und „Sonnenland“ oder sein pfeilförmiges „Glühstahler-Schiff“ sollten „bis zur Sonne oder zu anderen Sonnensystemen“ reisen und sogar auf fremden Planeten landen, wie er in kleinen Texten unter den Illustrationen erläuterte. Für Siedlungs- und Kolonialmissionen „auf anderen Sternwelten“ hatte er sogar spezielle Erkundungsfahrzeuge erdacht, die dem Chariot-ATV aus der Netflix-Serie Lost in Space und auch dem Konzeptwagen der NASA für eine Mars-Mission verblüffend nahekommen. Dann hatte er Pläne für Weltraum-Luftschiffe wie die „Venusland“ oder auch für „deutsche Raumstationen“, die als Observatorium dienen sollten.
Diese Zukunftsmaschinen waren für Janke keine reinen Design-Experimente oder abenteuerliche Zeichnungen. Er malte sich jede davon bis ins kleinste Detail aus. Für viele seiner Raumschiffe existieren verschiedene Ansichten, die sie sowohl von außen als auch von innen und mit Querschnitten zeigen, die die Aufteilung der Räumlichkeiten, den Verlauf von Leitungen und Antriebsgasen zeigen. Janke wusste für sich, aus welchen Materialien welche Oberflächen und Steuerelemente gefertigt werden, wo Verstärkungen mit Stahlstreben angebracht werden müssten und vermerkte das mit sauberen Schriftzügen.
Aber Jankes Erfindungsdrang war nicht nur auf Fahr- und Flugzeuge begrenzt, sondern universell. „Für fast alles, was ihm im Alltag beschäftigte, versuchte er Verbesserungen zu finden“, sagt Petzold. So ersann Janke einen elektrischen Türschließer und ein Funk-gestützes GPS-System, das er Standortanzeiger nannte, und eine Tischlermaschine für die er in den 1950ern auch ein Patent erhielt. Sogar eine Art E-Bike, einen Elektroroller, eine Weltraumtoilette und einen Videobeamer für TV-Signale hatte er im Repertoire. Mit einigen dieser Ideen war er seiner Zeit weit voraus und manches davon, da ist Petzold überzeugt, hätte „auf die ein oder andere Art“ sogar funktionieren können.
Der Traum vom „deutschen Atom"
Der Erfinder Karl Hans Janke hatte für zahlreiche seiner futuristischen Gerätschaften fein und sauber gezeichnete Detailansichten erstellt. Diese zeigten dann beispielsweise Reaktoren, Brennkammern und Düsenanlagen. Aber umsetzbar wären sie nicht gewesen. Angetrieben werden sollten seine technischen Wunderwerke nämlich zumeist durch ein von ihm konzipiertes Raum-Elektronen-Atom. Darunter verstand er, wie er in einer Bildunterschrift schrieb, „eine Stromsammel- und Komprimierungsmaschine, die Energie aus dem Magnetfeld der Erde und des Sonnensystems“ saugen sollte. Die Funktionsweise stützte Janke auf ein von ihm erfundenes physikalisches Regelwerk – das die naturwissenschaftliche Realität weitestgehend ignorierte. Fest stand für ihn, sein „deutsches Atom“ sei sicher und strahlungsfrei – anders als das „sowjetische Atom“.
Trotzdem gab es immer wieder Interesse an seinen Erfindungen. Denn „Janke war sehr motiviert, seine Entwürfe zu bewerben“, sagt Petzold. In einer Nische, die er sich mit einem Schrank als Wandtrenner, einem Tisch und einem Stuhl geschaffen hat, schrieb er zahlreiche Briefen an Firmen, Forschungseinrichtungen, Universitäten, DDR-Ministerien und reichte Neuerervorschläge ein. Die teils hochkomplexen Risszeichnungen, die er beilegte, waren präzise und die Beschreibungen von Janke durchaus fachlich und professionell. Der psychisch erkrankte Erfinder verwendete eine eloquente Sprache und Fachbegriffe.
Janke schrieb von Spreizklappen, Hubdüsen, Traggaskesseln, Vorflutgebern, Strahlrudern und Reaktionskammern. Während Universitäten und Wissenschaftler seine Briefe stets mit freundlicher Ablehnung beantworteten, wirkte seine Korrespondenz auf andere wie die eines kreativen Physikers, Ingenieurs oder Raketenforschers. Nach einem Schreiben an die DDR-Fluggesellschaft Interflug wurden einige Erfindungen zum Patentamt weitergeleitet und er nach Berlin eingeladen, um seine Ideen zu präsentieren. Ebenso kamen auch interessierte Fachmänner vorbei, um Janke persönlich kennenzulernen. Jedenfalls bis das Klinikpersonal intervenierte, um die Situationen aufzuklären.
Aber wo hatte Janke sein durchaus erkennbares Grundwissen um Maschinen, Konstruktionszeichnungen und Raumfahrt her? Einige Psychiatrieangestellte und Bewohner von Wermsdorf, die Janke kennengelernt hatten, spekulierten, dass das „verrückte Genie“ während der Kriegszeit wohl in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde gearbeitet hätte – wo unter Wernher von Braun die V2 gebaut wurde. Ein Gerücht, das Janke nie verneint haben soll, das aber nicht zu halten ist. Dirk Petzold hat eine andere Vermutung: Janke könnte mit Berliner Erfindern in Berührung bekommen sein, die sich für Raketen begeisterten – wie den Mitgliedern des Vereins für Raumschiffahrt, der ab 1930 einen Raketenflugplatz betrieb.
Auch könnte er sich als Gasthörer in Vorlesungen der Technischen Hochschule Berlin gesetzt haben. Aber: „Es ist wirklich nur eine Vermutung“, sagt Petzold. „Verifizieren lässt sich das nicht.“ Sowohl die Gestaltung als auch der Aufbau seiner technischen Zeichnungen und seiner Patente lassen zumindest einen Grundstock an Fachwissen und Einblick erkennen. „Das machst du nicht als totaler Autodidakt“, sagt Petzold. „Eine gewisse Anleitung muss da gewesen sein.“
Vieles ist verloren gegangen
Ab den 1970er-Jahren und damit mit zunehmendem Alter entwarf Janke nicht mehr nur Geräte und Maschinen, sondern versuchte sich auch an einer eigenen und sehr komplexen Theorie zur Entstehung des Kosmos und des Lebens. Er glaubte an eine Art mystische Raumelektrizität, die von allen Lebewesen mit ihren Gliedmaßen wie von einer Antenne aufgesogen würde – einer sogenannten Lebensfigur. Ebenso entwarf er biomechanische Modelle und war überzeugt, dass eine Art „elektrischer Mensch“ erschaffbar sei. Hiervon zeichnete er mit feinen Strichen farbenfrohe Aquarelle, wie sie in Lehrbüchern zu finden sein könnten, die er dann mit Tuschestrichen beschriftete.
Karl Hans Janke war der festen Ansicht, dass seine Theorien wahr wären und seine Konstruktionen funktionieren würden – und sie für die gesamte Menschheit und nicht nur einzelne Länder oder Machtblöcke von unschätzbarem Nutzen sein könnten. Er hoffte darauf, irgendwann der Weltgemeinschaft seine Theorien vortragen und sein Raum-Elektronen-Atom zum Geschenk machen zu können, um „friedlichen Zwecken und dem glücklichen Aufbau“ zu dienen. Umso bestürzender muss für ihn gewesen sein, als die Klinikleitung ihm ankündigte, dass seine Zeichnungen entsorgt werden müssten. Sie seien eine Brandgefahr. Denn es waren Tausende.
Letztlich fand sich jedoch ein kleiner Raum unter dem Dachstuhl, wo seine Zeichnungen und später auch mehrere Modelle untergebracht werden konnten, die er in der Klinikwerkstatt mit Resten und Abfall gebaut hatte. In diese Kammer zog sich auch Janke selbst öfter zurück, um zu arbeiten und anderen aus dem Weg zu gehen. Über die Jahre hatte er letztlich doch immer wieder nach Hilfe gesucht, um aus der Psychiatrie entlassen zu werden. Vor allem nachdem er sich in eine Mitpatientin verliebt hatte, die nach ihrer Behandlung entlassen worden war. Janke vermutete jedoch eine Verschwörung und Mord. Er schrieb an Behörden, beteuerte in Briefen an Anwälte, dass er „kein Idiot“ sei und seine „Inhaftierung ein Verbrechen“ wäre.
Aber Janke wurde nicht mehr entlassen. Am 15. Februar 1988 starb er im Alter von 78 Jahren. Bis dahin soll er gesund und geistig wach gewesen sein, regelmäßig gezeichnet und vor dem Klinikpersonal und anderen Patienten auch Vorträge über seine Erfindungen gehalten haben. Angehörige hatte er keine. Daher wurde er anonym beigesetzt. Viele seiner Modelle wurden nach seinem Tod entsorgt – aber einige Ärzte setzten sich dafür ein, dass zumindest die Zeichnungen in der ehemaligen Schlosskirche und später jenem verstaubten Abstellraum in einem benachbarten Gebäude der Schlossanlage eingelagert wurden. Wenn auch, wie vermutet wird, nicht alle.
Arbeit zum Aufarbeiten
Dass heute dennoch Tausende von Jankes’ Werken erhalten sind, das ist Dirk Petzold zufolge „auch irgendwie ein Glücksfall“. Dass sie an die Öffentlichkeit kamen, ist wiederum dem heutigen Chefarzt Peter Grampp zu verdanken. Er leitet das Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Psychotherapie Hubertusburg, das die einstige Psychiatrie nach ihrer Auflösung beerbte. Er übereignete den Nachlass von Janke dem von ihm selbst mitgeründeten Patientenverein Rosengarten e.V., der ihn bis heute mit ehrenamtlicher Hilfe aufarbeitet. Etwas, das an eine archäologische Ausgrabung erinnert. Viele der Zeichnungen, Malereien und Skizzen befinden sich auf billigem und dünnem Papier, das klein gefaltet und nach den Jahren ausgetrocknet ist. Einige der Zeichnungen haben die Größe einer Zigarettenschachtel. Andere taugen, um damit ganze Wände zu bedecken.
Aber sie sollen bewahrt und konserviert werden. Und das auch digital. Der Verein selbst hat begonnen, die Bilder aufwendig und zeitintensiv zu scannen und zu katalogisieren – insgesamt 10.000 Einträge gibt es schon. Dabei ist er heute nicht mehr alleine. „Wir sind jetzt auch in einer guten Kooperation mit der sächsischen Landesbibiliotek und deren Abteilung Fototek“, sagt Petzold. „Die helfen, die großen Objekte zu scannen.“ Dadurch sind zahlreiche der Scans der Janke-Werke damit nun auch online anschau- und durchsuchbar. Das hätte Janke wohl gefallen. Denn er hatte in seinem letzten Willen gebeten, „die Bilder und Alben aufzubewahren, mit den vielen Zeichnungen und Modellen, die ich für Euch Menschen geschaffen habe“.
Teaser-Bild und alle restlichen Bilder: Mit freundlicher Genehmigung des Rosengarten e.V.