16. Februar 2025
Karl Hans Janke: Der Weltmenschheit größter Erfinder?

Der Erfinder Karl Hans Janke hat überschall-schnelle Flugzeuge, motorisierte Roller und Raketenschiffe erdacht. Er hat die Energieprobleme der Menschheit gelöst und wollte sie zu neuen Planeten führen. Dennoch ist er kaum jemanden ein Begriff und keine dieser Erfindungen wurde je realisiert. Denn Janke war Patient in einer Psychiatrie – trotzdem erscheinen einige seiner Konzepte heute ziemlich vorausschauend.
Von Michael Förtsch
Es war im Jahr 2000 als zahlreiche Kisten und Obststiegen aus einem kargen Abstellraum der ehemaligen Psychiatrischen Anstalt von Schloss Hubertusburg getragen wurden. Sie waren vollgepackt mit Skizzen und Zeichnungen. Mehrere Jahre lagerten sie auf dem Dachboden eines Gebäudes des riesigen Komplexes im sächsischen Wermsdorf, der nun für dringend notwendige Umbau- und Sanierungsarbeiten geräumt werden musste. Nicht vergessen, „aber ignoriert hatte man sie dort“, sagt Dirk Petzold gegenüber 1E9. Der Historiker versucht seit nunmehr 17 Jahren die Geschichte der Zeichnungen und das Leben ihres Erschaffers aufzuarbeiten. Denn was auf diesen Bildern zu sehen ist, das sind im wahrsten Sinne des Wortes fantastische Konstruktionen, die einem zeithistorischen und kreativen Goldschatz gleichen.
Es sind riesige Raumschiffe, elegante Flugzeuge und stromlinienförmige Automobile, die ebenso gut auf den Covern von Science-Fiction-Romanen und Comics abgebildet sein könnten. Ebenso sind auf den Zeichenpapieren mysteriöse Generatoren und Motoren aufgerissen, die unweigerlich an die Zeichnungen von Leonardo da Vinci denken lassen. Überschrieben sind diese obskuren Apparaturen und futuristischen Fortbewegungsmittel mit ebenso phantastischen Namen wie Terra-Venusse, Dreistufiges Atom-Magnetisches Blitz-Düsen-Triebwerk oder Vakuum-Trajekt. Unterschrieben ist jedes einzelne der Bilder wiederum mit einem Datum und einer sauber gezogenen Signatur. Es ist die Unterschrift von Karl Hans Janke, der einen großen Teil seines Lebens in der Psychiatrie verbrachte.

Ein einsames Genie?
Seiner eigenen Biografie zufolge, die Janke im Laufe der Jahre gleich mehrfach schrieb, wurde er am 21. August 1909 im heutigen Kolobrzeg, Polen – dem einstigen Kolberg – geboren. Er bescheinigte sich selbst, von seinem Vater eine „erfinderisch-praktische“ und von seiner Mutter eine „schöngeistig-künstlerische Ader“ erhalten zu haben. Beide schickten ihn schon früh in das kosmopolitische Berlin zu einer Tante, wo er am damaligen Hindenburg Gymnasium zur Schule ging. Danach wollte er Zahnmedizin studieren – brach aber nach einem Semester ab, wie Dirk Petzold anhand von Dokumenten im Greifswalder Universitätsarchiv nachweisen konnte. Wenig später kehrte Janke zu seinen Eltern zurück, die inzwischen einen Bauernhof im damaligen Pommern erworben hatten.
Dort arbeitete Janke, aber nicht auf dem Feld oder mit den Tieren, sondern er richtete sich in einer Scheune eine Werkstatt her, wo er mit Maschinen und Apparaten zu experimentieren begann. Er baute Modelle von Flugzeugen, will bereits 1925 „das Prinzip des Helikopters“ erdacht haben und reichte Anträge auf Patente ein. Dann kam es zum Krieg und Janke wurde von der Wehrmacht eingezogen. Allerdings verbrachte er das Gros seiner Dienstzeit im Lazarett. Ihm wurde eine „Nervenschwäche“ attestiert. Deshalb wurde er zwei Jahre vor Kriegsende entlassen. In dieser Zeit starb sein Vater. Die Nachkriegszeit verbrachte Janke, der nun Kinderspielzeug aus Papier und Kunststoff herstellte, mit seiner Mutter im sächsischen Großenhain, wo diese 1948 starb.
Ein kreativer Künstler
So ungewöhnlich Karl Hans Janke in technischer Hinsicht dachte, so kreativ war er auch in seinen Kunstwerken. Der Erfinder zeichnete nicht nur mit Bleistift und Tusche, sondern entwickelte verschiedene Techniken und Möglichkeiten, Zeichen- und Malmaterialien zu kombinieren. In einigen seiner Aquarelle zeichnete er mit Lackfarbe dicke Konturen. Aus Papier schnitt er kleine Sterne aus, die er als Gestirne in den Himmel klebte. Bei großformatigen Bildern scheint er mit Stempelkissen und Tusche große Flächen ausgefüllt und mit Wachs- und Buntstiften übermalt zu haben.
Einige von Jankes Bildern sind durch die Vermischung verschiedener Farbkompositionen und die unachtsame Aufbewahrung inzwischen beschädigt. Lacke sind abgeblättert, Pigmente verblasst und das Papier teilweise porös und brüchig, was die Konservierung erschwert. Dennoch: Im Original sind die Kunstwerke noch beeindruckender als ihre digitalen Abbilder.
„Janke konnte offensichtlich nicht für sich selbst sorgen“, sagt Dirk Petzold. Im Jahr nach dem Tod seiner Mutter wurde der Erfinder verwahrlost und verwirrt aufgegriffen. Er verteilte Plakate, auf denen er anprangerte, dass er von den sowjetischen Besatzungsbehörden kein Material für seine Arbeit an Kinderspielzeug zugeteilt bekam. „Damit machte er sich in der damaligen sowjetischen Besatzungszone nicht beliebt“, sagt Petzold. Janke wurde verhaftet, aber hatte Glück. Er kam nicht ins Gefängnis oder in ein Arbeitslager, sondern zu einem Amtsarzt, der ihn für fast ein Jahr in die psychiatrische Klinik Arnsdorf einwies. Dort diagnostizierte man eine „chronisch paranoide Schizophrenie“. Am 8. November 1950 wurde Janke zur dauerhaften Behandlung in die Heil- und Pflegeanstalt Hubertusburg in Wermsdorf verlegt. Hier zeigte sich sein triebhafter Erfindungsgeist.
Zu anderen Welten
Karl Hans Janke soll ein ruhiger und höflicher Patient der Psychiatrie von Hubertusburg gewesen sein. Er habe nie verstanden, heißt es von Zeitzeugen, warum er eingewiesen wurde, hätte sich aber mit dem Umstand weitestgehend arrangiert. Und zwar, indem er Tag für Tag Dinge erfand und in seinen Zeichnungen manifestierte. Genau dieses „wahnhafte Erfinden“ sei auch das Hauptsymptom seiner Schizophrenie gewesen – weshalb er sich als „Freigänger“ auch außerhalb der Anstalt bewegen durfte. Was Janke zu Papier brachte, das waren einzelne Gerätschaften, hinter denen sich aber ein homogener Kosmos zur Revolutionierung der Technologie und „Errettung der Menschheit“ verbarg.

Auf Dutzenden von Papierbögen finden sich Illustrationen und Entwürfe für unzählige Raketen- und Düsenflugzeuge, die die Kontinente über den Weltraum verbinden sollten. Er nannte sie Trajekte – nach dem Lateinischen Wort für Über- oder Durchfahrt. Eines davon hatte Janke als „Schnellste Maschine der Welt!“ überschrieben. Sie sollte die Welt gefühlt kleiner machen. Eine andere, die er Hiddensee getauft hatte, malte er sich als Fahrzeug eines hypothetischen „Deutschen und Internationalen Trajekt-Linien-Dienstes“ aus – für den er auch schon Schriftzüge und ein heute retro-futurisch erscheinendes Logo entworfen hatte. Auch gigantische Wasserfahrzeuge und Unterseebote skizzierte er.
Aber seine Maschinen sollten noch viel weiter reichen – über die Erde hinaus. Raumschiffe wie die kugelrunden „Plutonia“ und „Sonnenland“ oder sein pfeilförmiges „Glühstahler-Schiff“ sollten „bis zur Sonne oder zu anderen Sonnensystemen“ reisen und sogar auf fremden Planeten landen, wie er in kleinen Texten unter den Illustrationen erläuterte. Für Siedlungs- und Kolonialmissionen „auf anderen Sternenwelten“ hatte er sogar spezielle Erkundungsfahrzeuge entworfen, die dem Chariot-ATV aus der Netflix-Serie Lost in Space und auch dem NASA-Konzeptauto für eine Mars-Mission verblüffend ähnlich sehen. Dann hatte er Pläne für Weltraumluftschiffe wie das „Venusland“ oder auch für „Deutsche Raumstationen“, die als Observatorien dienen sollten.
Diese Zukunftsmaschinen waren für Janke keine reinen Designexperimente oder abenteuerliche Zeichnungen. Er hat sie bis ins kleinste Detail durchdacht. Von vielen seiner Raumschiffe existieren verschiedene Ansichten, die sie von außen und innen zeigen, mit Querschnitten, die die Raumaufteilung, den Verlauf der Leitungen und der Antriebsgase zeigen. Janke wusste, aus welchen Materialien welche Oberflächen und Bedienelemente gefertigt werden sollten, wo Verstärkungen mit Stahlstreben anzubringen waren, und hielt dies in sauberer Schrift fest.
Jankes Erfinderdrang beschränkte sich aber nicht nur auf Fahr- und Flugzeuge, sondern war universell. „Für fast alles, was ihn im Alltag beschäftigte, versuchte er Verbesserungen zu finden“, sagt Petzold. So ersann Janke einen elektrischen Türschließer und ein Funk-gestütztes GPS-System, das er Standortanzeiger nannte, und eine Tischlermaschine für die er in den 1950ern auch ein Patent erhielt. Sogar eine Art E-Bike, einen Elektroroller, eine Weltraumtoilette und einen Video-Beamer für TV-Signale hatte er im Repertoire. Mit einigen dieser Ideen war er seiner Zeit weit voraus und manches davon, davon ist Petzold überzeugt, hätte „auf die ein oder andere Art“ sogar funktionieren können.

Der Traum vom „deutschen Atom"
Der Erfinder Karl Hans Janke hatte für zahlreiche seiner futuristischen Gerätschaften fein und sauber gezeichnete Detailansichten erstellt. Diese zeigten dann beispielsweise Reaktoren, Brennkammern und Düsenanlagen. Aber umsetzbar wären sie nicht gewesen. Angetrieben werden sollten seine technischen Wunderwerke nämlich zumeist durch ein von ihm konzipiertes Raum-Elektronen-Atom. Darunter verstand er, wie er in einer Bildunterschrift schrieb, „eine Stromsammel- und Verdichtungsmaschine, die aus dem Magnetfeld der Erde und des Sonnensystems Energie saugen sollte“. Die Funktionsweise stützte Janke auf ein von ihm erfundenes physikalisches Regelwerk – das die naturwissenschaftliche Realität weitgehend ignorierte. Sicher war für ihn, dass sein „deutsches Atom“ sicher und strahlungsfrei war – im Gegensatz zum „sowjetischen Atom“.
Der Verein
Der Rosengarten e.V. , benannt nach Ich hab dir nie einen Rosengarten versprochen von Hannah Green, ist der Verein, der heute den Nachlass von Karl Hans Janke verwaltet. Etwas, das eher dem Zufall zu verdanken ist – nämlich dem Speicherfund der Bilder und Skulpturen, die Janke hinterlassen hat.
Gegründet wurde der Rosengarten e.V. einst als klassischer Patientenverein vom Chefarzt der Psychiatrie Peter Grampp. Er sollte und soll auch heute noch Patienten nach der klinischen Behandlung unterstützen, wieder in ein geregeltes Alltagsleben zu finden und das „Bild psychisch Kranker in der Öffentlichkeit in ein richtiges Licht zu rücken“.
Der Verein unterhält auch eine kleine Ausstellung zu Janke im Schloss Hubertusburg in Wermsdorf, die von Dienstag bis Sonntag geöffnet ist. Dort sind auch einige der wenigen erhaltenen Modelle zu sehen.
Trotzdem gab es immer wieder Interesse an seinen Erfindungen. Denn „Janke war sehr motiviert, seine Entwürfe zu bewerben“, sagt Petzold. In einer Nische, die er sich mit einem Schrank als Wandtrenner, einem Tisch und einem Stuhl geschaffen hat, schrieb er zahlreiche Briefe an Firmen, Forschungseinrichtungen, Universitäten, DDR-Ministerien und reichte Neuerervorschläge ein. Die zum Teil sehr komplexen Risszeichnungen, die er beilegte, waren präzise und die Beschreibungen Jankes durchaus fachlich und professionell. Der psychisch kranke Erfinder bediente sich einer eloquenten Sprache und Fachterminologie.
Janke schrieb über Spreizklappen, Hubdüsen, Traggaskessel, Vorfluter, Strahlruder und Reaktionskammern. Während Universitäten und Wissenschaftler seine Briefe stets mit freundlicher Ablehnung beantworteten, wirkte seine Korrespondenz auf andere wie die eines kreativen Physikers, Ingenieurs oder Raketenforschers. Nach einem Brief an die DDR-Fluggesellschaft Interflug wurden einige Erfindungen an das Patentamt weitergeleitet und er wurde nach Berlin eingeladen, um seine Ideen vorzustellen. Auch interessierte Fachleute kamen, um Janke persönlich kennen zu lernen. Jedenfalls bis das Klinikpersonal intervenierte, um die Situationen aufzuklären.
Aber wo hatte Janke sein durchaus erkennbares Grundwissen um Maschinen, Konstruktionszeichnungen und Raumfahrt her? Einige Psychiatrieangestellte und Bewohner von Wermsdorf, die Janke kennengelernt hatten, spekulierten, dass das „verrückte Genie“ während der Kriegszeit wohl in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde gearbeitet habe könnte – wo unter Wernher von Braun die V2 gebaut wurde. Ein Gerücht, das Janke nie verneint haben soll, das aber auch haltbar ist. Dirk Petzold hat eine andere Vermutung: Janke könnte Kontakt zu Berliner Erfindern gehabt haben, die sich für Raketen begeisterten – wie die Mitglieder des Vereins für Raumschifffahrt, der ab 1930 einen Raketenflugplatz betrieb.

Auch könnte er als Gasthörer Vorlesungen an der Technischen Universität Berlin besucht haben. Aber: „Das ist wirklich nur eine Vermutung“, sagt Petzold. „Nachprüfen kann man das nicht.“ Die Gestaltung und der Aufbau seiner technischen Zeichnungen und Patente lassen jedenfalls auf ein gewisses Maß an Fachwissen und Scharfsinn schließen. „Als völliger Autodidakt macht man das nicht“, sagt Petzold. „Eine gewisse Anleitung muss da gewesen sein.“ Janke wusste also über die Grundlagen der Luft- und Raumfahrt Bescheid und fantasierte sich den Rest zusammen.
Vieles ist verloren gegangen
Ab den 1970er Jahren und mit zunehmendem Alter entwarf Janke nicht mehr nur Geräte und Maschinen, sondern versuchte sich auch an einer eigenen, sehr komplexen Theorie über die Entstehung des Kosmos und des Lebens. Er glaubte an eine Art mystische Raumelektrizität, die von allen Lebewesen über ihre Gliedmaßen wie von einer Antenne aufgenommen wird – eine sogenannte Lebensfigur. Er entwarf auch biomechanische Modelle und war überzeugt, dass eine Art „elektrischer Mensch“ geschaffen werden könne: ein Bioroboter oder Androide. Mit feinen Strichen zeichnete er davon farbenfrohe Aquarelle, wie man sie auch in Schulbüchern finden könnte, die er dann mit Tuschestrichen beschriftete.
