Ein Gehirn in einer Petrischale hat gelernt, Pong zu spielen

Ein Start-up aus Australien hat es geschafft, Miniaturgehirne aus menschlichen Zellen zu züchten. Diesen hat das Unternehmen anschließend beigebracht, den Automatenklassiker Pong zu spielen. Dabei lernten die Zellhaufen offenbar deutlich schneller als eine Künstliche Intelligenz.

Von Michael Förtsch

Das Gehirn ist ein wahrer Wunderapparat. Es ist stets aktiv, kann komplexe Aufgaben lösen, ist lernfähig und sehr gut darin, Informationsströme parallel zu verarbeiten – und das auch noch äußerst energieeffizient. Das menschliche Gehirn verbraucht mit 12 bis 24 Watt weniger als die Glühbirne in einem Kühlschrank. Daher arbeiten Forscher bereits seit mehreren Jahren daran, biologische Nervenzellen in der Informatik nutzbar zu machen. Dem Start-up Cortical Labs ist dabei nun nach eigenen Angaben ein Durchbruch gelungen. Dessen Wissenschaftler haben es geschafft, in Petrischalen gezüchteten Zellhaufen, eine spezifische Aufgabe meistern zu lassen: Sie haben dem Miniaturgehirn beigebracht, Pong zu spielen.

Die sogenannten DishBrains, wie Cortical Labs sie nennt, wurden aus einer kleinen Anzahl von menschlichen Hirnstammzellen auf einem Chip mit einem Mikroelektrodennetz herangezüchtet. Dadurch sind sie direkt mit der elektronischen Hardware verbunden und können gezielt mit elektromagnetischen Impulsen stimuliert werden. Diese Impulse können aufgenommen, verarbeitet werden und zu einer Reaktion führen – ganz wie bei einem realen Gehirn –, die wiederum über die Platine abgelesen wird. Insgesamt soll jedes der Mini-Gehirne aus 800.000 bis einer Million Neuronen bestehen, die von einer Nährlösung umgeben sind – zum Vergleich: ein menschliches Gehirn verfügt über rund 100 Milliarden, eine Maus über 15 Milliarden, eine Fischlarve nur über 100.000 Nervenzellen.

Laut einem Artikel in New Scientist haben die Forscher des australischen Unternehmens die DishBrains ganz ähnlich wie eine Künstliche Intelligenz mit einer abgewandelten Fassung des Videospielklassikers Pong trainiert. Über leichte Impulse auf der Platine wurde den Zellhaufen die Position des digitalen Balles signalisiert, der immer wieder von einer Wand abprallt. Bewegte sich der von rechts oben nach links unten, wurden die Impulse geographisch genauso auf der Platine gespiegelt. Die Zellen reagierten ihrerseits mit Impulsen, die als Bewegung des Schlägers interpretiert werden können. Wird ein Ball verfehlt, wird das mit einem negativ konnotierten Signal beantwortet.

Feucht Ware?

Einem künstlich erzeugten Mini-Gehirn Pong beizubringen ist für sich schon eine Errungenschaft. Wirklich bemerkenswert aber macht den Erfolg wohl die Schnelligkeit, mit der die DishBrains laut Cortical Labs lernen. Laut den Forschern brauche eine Künstliche Intelligenz je nach Rechenkraft des genutzten Systems über eine Stunde, um Pong zu beherrschen. Ein DishBrain habe hingegen teils nur fünf Minuten benötigt, bis es das Videospiel gelernt hatte. Der Grund dafür sei, dass sich die neuronalen Verbindungen dem gestellten Problem anpassten – sich das Gehirn also restrukturierte, um der Aufgabe besser gerecht zu werden. Brett Kagan, der Leitende Wissenschaftler des Start-ups, sagt, dass das Gehirn „in einer Matrix“ lebt und die Gehirnzellen „glauben, dass sie der Schläger sind“.

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Noch ist ein solch biologischer Prozessor ein Prototyp, aber das Ziel von Cortical Labs ist es, diese Technik in wenigen Jahren kommerziell nutzbar zu machen. Das australische Unternehmen ist nicht das einzige, das an einer solchen Technologie werkelt. Unter dem Projektnamen Neu-ChiP arbeitet gefördert von der Europäischen Union auch ein Konsortium aus mehreren europäischen und israelischen Firmen und Forschungseinrichtungen daran, „Stammzellen des menschlichen Gehirns in speziell entworfene komplexe Schaltkreise zu integrieren, so dass sie wie ein künstlicher biologischer Computer funktionieren können“. Und auch das US-Start-up Koniku forscht in diese Richtung.

Die Vision von Computern, die biologische und elektronische Bestandteile verknüpfen, ist bereits seit Jahrzehnten ein Motiv der Science Fiction – und wird als Wetware bezeichnet. Insbesondere in Cyberpunk-Romanen wie Schismatrix, der Neuromancer-Saga aber auch in der Welt von Star Trek gehören sie zum Alltag. Spezielle Rechenoperationen werden in diesen fiktiven Szenarien beispielsweise von Computern übernommen, die dank menschlichen oder tierischen Gehirngewebes abstrakt denken, träumen, schätzen oder Urteile aufgrund emotionaler Reaktionen treffen können. Zumindest in diesen fiktiven Szenarien geht das nicht immer gut aus.

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Boa was habt ihr denn für Kühlschränke? LED lohnt sich, besonders wenn die Tür mal nicht richtig schließt und eine Glühlampe die ganze Nacht den Inhalt warmstrahlt.

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Leider einen gaaaaanz alten, der fest in den Küchenschrank verbaut ist und im kommenden Jahr ausgetauscht wird.

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Ich war stolz wie DrBolle als ich in meiner Wohnung endlich einen 2m hohen, schönen, sauberen, effizienten Kühlschrank hatte.

Bier holen ohne Bücken. Ein Traum!

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Huiuiui, also von Versuchen mit Rattenneuronen hatte ich schon gehört, aber mit Menschenzellen? Würde mich mal interessieren, ob die echt „besser“ sind, oder das bloß Marketing ist. Bin auch gespannt, wann der erste die Dinger auf nen Xenobot klebt, und ob das Dann als Mensch gelten müsste!?

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„Besser“ oder „schlechter“ sind da wohl nicht die passenden Kategorien. Aber es gibt durchaus Unterschiede zwischen den Neuronen und Synapsen von niederen Tieren und Menschen – beziehungsweise Primaten. Unter anderem wurde nachgewiesen, dass sich die Neuronen und Synapsen von Menschen schneller an neue Herausforderungen anpassen und effizienter arbeiten können, wenn es um komplexe Aufgabenstellungen geht.

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Yo, danke für den Link - genau so etwas habe ich gesucht! Da platzt einem echt der Schädel. Wenn ich mir vorstelle, dass in Zukunft überall so Neuronen-Chips drin stecken und man erst rauskriegen muss, was wofür geeignet ist. „Also bei meiner automatisierten Tradingplattform buche ich für Long-Term-Investments immer das Bot-Netz aus Eichhörnchen-Neuronen; aber für High-Frequency-Trading geht nichts über Libelle.“

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Woher kennst du meine fiesen Pläne ; )

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Nice, dann weiß ich schon wessen 1E9-Academy-Kurs ich buchen werde :slight_smile:

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Cooles Projekt. Träume von einer 3D gedruckten Graphene-Scaffold-Struktur, um die herum Neuronennetze wachsen und sich auslesen und bespielen lassen :brain: :electric_plug: :ping_pong:

Spaß beseite: Dass das Gehirn anders funktioniert als heute „AI“ ist klar. Total spannend zuzuhören ist Freeman Dyson zu KI und dem Gehirn und wie das so Information verarbeitet (digital / analog): https://www.youtube.com/watch?v=JLT6omWrvIw

Und zu guter letzt: ein preprint aus dem letzten Jahr zu einem NLP Problem, dessen Lösung vom Hirn einer Fruchtfliege per gezieltem Stimulus implementiert wurde und zeitlich sowie energetisch performanter war als heutige KI: https://arxiv.org/abs/2101.06887