Ein Start-up in München arbeitet an Drohnen, die die Nutzung von Windenergie effektiver und billiger machen sollen. Die fliegenden Windturbinen sollen viele Einwände gegen klassische Windräder nichtig machen. Das Team von Kitekraft hofft, auch eine Waffe im Kampf gegen den Klimawandel zu liefern.
Von Michael Förtsch
Im Süden von München liegt Otterfing. Es ist eine typisch bayerische Gemeinde mit rund 5.000 Einwohnern. Es gibt neben einigen Reihen von Einfamilienhäusern, einem Bahnhof und mehreren Bauernhöfen vor allem breite Felder, große Wiesen und jede Menge Wald. Genau aus diesem Grund fuhren Florian Bauer und seine Mitstreiter im August 2020 erstmals mit einem Kleintransporter von München nach Otterfing. Und seitdem immer wieder. Denn auf einer weitläufigen Wiese fernab der Häuser und Hochspannungsmasten haben sie genug Platz, um eine neuartige Windkraftanlage zu erproben. Den Platz brauchen sie auch. Es handelt sich dabei schließlich nicht um ein Windrad, sondern um einen stromerzeugenden Flugdrachen.
„Der Landwirt, dem die Wiese gehört, findet gut, was wir da machen“, sagt Florian Bauer, einer der Gründer des Münchner Start-ups Kitekraft. Der Flugdrachen, den die Absolventen der TU München entwickeln, sieht nicht wirklich wie ein klassischer Drachen aus. Er erinnert viel eher an ein Doppeldecker-Flugzeug aus dem Ersten Weltkrieg, das mit acht kleinen Propellern ausgestattet ist. Zweieinhalb Meter misst der aktuelle Prototyp. Und auch Bauer sagt, dass dieser Kite eigentlich weniger ein Drachen, sondern eher „eine größere und etwas kompliziertere Drohne“ ist. Aber eben eine Drohne, die Strom erzeugen soll – viel Strom.
Das Konzept nennt sich Drag oder Crosswind Power Kites und ist grundsätzlich ziemlich simpel. Herrscht windiges Wetter steigt die Drohne mit ihren Propellern in die Höhe und setzt sich direkt in die Luftströmung. Sie hängt dabei an einem Zugseil, das sie festhält und dafür sorgt, dass sie in stabilen Kurven umhergetrieben wird, die eine liegende „8“ formen. Dann funktionieren die kleinen Propeller wie die Flügel eines klassischen Windrades. Sie werden vom Wind gedreht und treiben kleine Generatoren an. Der gewonnene Strom wird über eine Leitung im Zugkabel an eine Bodenstation gesendet und dort ins Netz oder in Batteriespeicher gespeist.
Scheitern als Chance?
Das Unternehmen Kitekraft ist noch ziemlich jung und das Team im Kern vier Personen stark – dazu kommen derzeit immer wieder mehrere Studenten, die mithelfen und mitforschen. „Wir haben uns 2018 zusammengefunden“, sagt Florian Bauer. Da schrieb er gerade seine Masterarbeit über die mögliche Entwicklung eines funktionalen Flugdrachenkraftwerks. Die Ingenieure André Frirdich und Christoph Drexler waren zu diesem Zeitpunkt seine Studenten, die an Teilaspekten wie Flügel- und Propelleroptimierung arbeiteten. „Wir haben irgendwann gesprochen“, sagt Bauer. „Und ich fragte, ob sie Lust hätten, das vielleicht weiterzumachen.“ Wenig später gründeten sie gemeinsam mit dem Erneuerbare-Energien-Experte Maximilian Inesee das Start-up Kitekraft.
Trotz des kleinen Teams, glaubt Bauer, werde Kitekraft erfolgreich sein – und das, obschon erst vor Kurzem ein weitaus größeres Entwicklerteam an der gleichen Idee scheiterte. Im Februar 2020 meldete die Tech-Presse nämlich, dass das ursprünglich 2006 von Kitesurfern gegründete, von Google finanzierte und 2013 vom Google-Labor X aufgenommene Start-up Makani „aufgegeben“ hat. Das Unternehmen hatte bis dahin fast 14 Jahre und mehrere Millionen Euro investiert, um fliegende Windkraftanlagen in eine alltagstaugliche Stromerzeugungstechnologie umzusetzen.
Die Gründe für den sogenannten „Abschluss der Reise von Makani als Unternehmen“? Nach mehreren Abstürzen der Drachen urteilte die Google-Mutter Alphabet, dass „der Weg zur Kommerzialisierung länger und risikoreicher ist als gehofft“. Das sah das Team von Kitekraft aber nicht als schlechtes Omen, sondern eher als Chance und Grund zum Optimismus. Denn mit der Schließung des Google-Start-ups wurden unter dem Titel The Energy Kite Collection über 1.000 Seiten an technischen Dokumenten, unzählige Testdaten, Software-Code und Dutzende an Videos freigeben – in großen Teilen als Open Source.
[Die Dokumente von Makani] waren echt eine Schatztruhe für uns.
Florian Bauer
„[Die Dokumente von Makani] waren echt eine Schatztruhe für uns“, meint Bauer. Die Truppe konnte die Herangehensweisen vergleichen und Inspirationen ausmachen. Aber vor allem: Kitekraft konnte sehen, wo die Probleme von Makani lagen. Das wohl größte davon: Die Makani-Drohnen wurden beim Schweben instabil. „Sie konnten sich nicht um die vertikale Achse wegdrehen, wenn das Seil nicht angespannt ist“, sagt Bauer. Dadurch konnten die Drohnen unvermittelt wegziehen , außer Kontrolle geraten und abstürzen. Genau diese Situationen können immer wieder auftreten, wenn die Windgeschwindigkeit ansteigt und dann abfällt.
Aber: „Das ist ein Problem, das wir komplett gelöst haben, ohne dass wir zuvor wussten, dass Google damit ein Problem hatte“, sagt Bauer. Den Unterschied, erklärt der Gründer, machen die Propeller. Die sitzen bei Kitekraft nicht abgesetzt über, sondern direkt vor den Flügeln und sorgen damit für einen Abluftstrom, der mit kleinen Stellklappen genutzt werden kann, um den Flugdrachen gezielt zu drehen und zu stabilisieren. „Das ist die einfache Erklärung“, scherzt Bauer. Im Detail passiere da noch mehr und deutlich Komplexeres, was die Flugmechanik anbetrifft.
Dass und wie gut die Drohne funktioniert, testet das Team von Kitekraft nicht nur auf der grünen Wiese in Otterfing. Regelmäßig werden die Hard- und die Software auch in der eigenen Maschinenhalle und einem Luftkanal großen und kleinen Tests unterzogen. Schließlich muss nicht nur die Konstruktion der Drohne stimmig sein. „Die Arbeit und die Intelligenz steckt letztlich auch in der Software, in der Flugregelung, in den Sensoren, in der Aktuatorik“, sagt Bauer. Letztlich müsse das gesamte System dauerhaft zuverlässig und nachvollziehbar funktionieren. Und das auch noch nach 20 Jahren – so lange sollen die Drohnen mindestens halten.
Bei der aktuellen und damit „mindestens dritten Generation“ des Kites, der theoretisch 20 Kilowatt an Leistung liefert, sei vieles noch nicht ideal. Einzelne Elemente wie die Propeller wären beispielsweise „von der Stange“. Wenn der kleine Flugdrachen aber in Zukunft so gut funktioniert wie gewünscht, wollen die Kitekraft-Entwickler den Maßstab in zwei Schritten vergrößern. Zunächst auf fünf Meter. Und dann auf rund zehn Meter. Dieser große Drache soll an die 100 Kilowatt an Leistung bringen – so viel wie eine Windturbine mit einem Rotor von 21 Metern Durchmesser oder ein Solarpark mit 400 250-Watt-Modulen.
Für den Bau eines solchen Drachens würde, schätzt der Start-up-Gründer Bauer, zehnmal weniger Material benötigt als für den Bau eines klassischen Windrads, das die gleiche Energieausbeute hat. Außerdem wären die Drachen im Gegensatz zu Windrädern aus der Entfernung nahezu unsichtbar. Sie wären Punkte am Himmel – nicht mehr. Die Bodenstationen, von denen die Drohnen starten und andocken, sollen die Ausmaße eines kleinen Gartenhauses haben. Und ab 300 Metern Entfernung wäre aktuell nur ein flüsterleises Summen der Rotoren zu hören. „Und da muss man bedenken, dass unsere zweiblättrigen Propeller, die wir jetzt nutzen, total ineffizient sind“, sagt Bauer. Für die fertigen Modelle sollen spezielle Propeller mit fünf Blättern oder mehr zum Einsatz kommen, die nochmal deutlich leiser wären.
Die Welt retten
Obwohl Kitekraft immer noch forscht und werkelt, wollen Bauer und seine Mitstreiter bis 2024 den ersten 100-Kilowatt-Drachen perfektioniert haben. Und zwar so weit, dass dann schon die Fertigung beginnen kann und die ersten Systeme ausgeliefert werden können. Potentielle Abnehmer habe das Start-up bereits genug. Denn über einen Mangel an Interesse kann sich Kitekraft nicht beschweren. „Es gibt schon Absichtserklärungen in großer Millionenhöhe“, sagt Bauer stolz. Ebenso habe das Münchner Unternehmen bereits einen Vertrag mit einem Kunden unterschrieben, der jetzt „nur noch darauf wartet, dass wir mit unserem Kite fertig werden“.
Momentan sei Kitekraft zudem mit einem „großen deutschen Energieversorger“ im Gespräch, der gerne ein Pilotprojekt mit den fliegenden Windkraftanlagen starten möchte. Geht es nach dem Kitekraft-Gründer Bauer könnten in Deutschland und Europa in den nächsten Dekaden mehrere Kitekraft-Farmen entstehen, auf denen zahlreiche von den Flugdrachen still und leise ihre Bahnen ziehen. Auch eine Fassung für Off-Shore-Farmen – also Drachen, die über dem Meer fliegen, und Bodenstationen auf dem Wasser – kann sich das Team vorstellen.
Der Planet brennt. Wir brauchen da neue Lösungen.
Florian Bauer
Aber die Kitekraft-Drachen sollen nicht nur für die großen Energieversorger sein. Die fliegenden Windkraftanlagen sollen auch für kleine Gemeinden, Initiativen und Bürgerkraftwerke taugen. Der Zielpreis für eine der 100-Kilowatt-Drohnen samt Bodenstation soll vergleichsweise günstige 100.000 Euro betragen – ein Preis, der gut mit den Kosten für klassische Windkraftanlagen und kleine Solarparks konkurrieren kann. Vor allem in Regionen, wo es gut weht. „Je mehr Wind, desto besser“, sagt Bauer. „Denn umso ökonomischer ist der Einsatz und umso schneller rentiert sich das Kraftwerk.“
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Jetzt Mitglied werden!Dem Team geht es dabei auch darum, möglichst viel sauberen Strom auf den Markt zu bekommen, so dass Kraftwerke mit fossilen Brennstoffen schnell überflüssig werden und Windkraft mit möglichst geringem Materialeinsatz generiert werden kann. Die Technik sei ein Mittel zum Zweck und kein Selbstzweck – und es sei durchaus das Ziel von Kitekraft, bei der Bekämpfung der Klimakrise zu helfen. „Der Planet brennt“, beteuert Bauer, „Wir brauchen da neue Lösungen. Und wenn das alles funktioniert, und davon sind wir überzeugt, dann haben wir hier ein Werkzeug in der Hand, das ein kleiner Teil der Lösung sein kann.“
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