Diese Bahn balanciert auf nur einem Gleis – und soll den ländlichen Raum beleben

In ganz Deutschland wurden in den letzten Jahrzehnten Tausende Kilometer an Bahnstrecke stillgelegt. Das schränkt vor allem die Mobilität in ländlichen Regionen ein. Ein Projekt in Nordrhein-Westfalen soll das wieder ändern. Dort entsteht das Monocab. Das schmale Fahrzeug soll als Taxi für die Schiene dienen – und dabei nur auf einem Gleis fahren.

Von Michael Förtsch

Das Leben ist ruhig, noch vergleichsweise günstig und die Natur liegt direkt vor der Haustür. Es gibt einige Gründe, aufs Land zu ziehen. Doch nur wenige Menschen tun es. Gerade einmal 22 Prozent der deutschen Bevölkerung leben auf dem Land. Einer der markantesten Gründe dafür: Die Verkehrsanbindung ist vielerorts schlecht. Wer kein eigenes Auto hat, kommt teilweise nicht in die nächste Gemeinde oder Stadt. Das gilt vor allem für Mecklenburg-Vorpommern und Bayern. Busse fahren nur stundenweise, am Wochenende oft gar nicht. Eine Bahnlinie und ein Bahnhof sind zwar in vielen Gemeinden noch vorhanden, werden aber meist nicht mehr bedient. Denn die Deutsche Bahn hat in den vergangenen Jahrzehnten bundesweit mehr als 5.400 Kilometer Schiene stillgelegt. Das Monocab soll diese nun reaktivieren – und die Mobilität auf dem Land wiederbeleben.

Auf den ersten Blick mag das Monocab irritieren. Es handelt sich um eine schmale Kapsel mit abgerundeten Kanten, die eher an einen Frachtcontainer erinnert. Auf jeder Seite befinden sich zwei Glastüren. Im Inneren ist eine spartanische, aber elegante Sitzgarnitur verbaut. Bis zu sechs Personen sollen hier Platz finden. Erst auf den zweiten Blick wird klar, was genau irritiert: Das futuristische Gefährt nutzt nicht beide Spuren. Stattdessen fährt es nur auf einer der metallenen Schienen. „Sie sind so kompakt und schmal, dass sie entgegen der Fahrtrichtung aneinander vorbeifahren können“, erklärt Thorsten Försterling im Gespräch mit 1E9. Er hat das Monocab vor knapp acht Jahren erfunden. Die Kernidee ist aber schon über 100 Jahre alt.

„Bei den Monocabs handelt es sich um kreiselstabilisierte Fahrzeuge, die auf nur einer Schiene eines normalen Eisenbahngleises balancieren“, erklärt Diplom-Ingenieur Försterling. Möglich wird die so genannte Vertikalstabilisierung durch zwei jeweils 250 Kilogramm schwere Kreisel, die sich mit 4.800 Umdrehungen pro Minute in die jeweils entgegengesetzte Richtung drehen. Die Drehimpulserhaltung sorgt im Zusammenspiel mit einem flexibel verschiebbaren Zusatzgewicht dafür, dass das Fahrzeug trotz ungleicher Gewichtsverteilung auf seinen schmalen Rädern stabil auf dem Metallstrang steht.

Das Konzept geht auf den Erfinder Louis Brennan zurück. Er hatte bereits 1909 eine sogenannte Kreiselbahn gebaut, getestet und 1910 in der White City in London vorgestellt. Das System funktionierte. Ein riesiger Kreisel hielt die Bahn so stabil, dass sie sich in Kurven neigen konnte, ohne umzukippen. Doch die Angst war zu groß, dass die Bahn stürzen könnte, wenn der Kreisel versagt. Deshalb wurde die Idee seinerzeit nicht weiterverfolgt. Die Technik des Monocab soll jedoch zuverlässig sein. Selbst starke Windböen sollen dem Fahrzeug nichts anhaben können. Für den Notfall gibt es Stützen, die schlagartig ausgefahren werden können.

Die Technik funktioniert

Die Idee für das Monocab kam Thorsten Försterling im Jahr 2016. Zu dieser Zeit drohte die endgültige Stilllegung der Begatalbahn der Landeseisenbahn Lippe. Teile des Streckennetzes zwischen Bielefeld und Hameln wurden schon vor Jahren stillgelegt. Darunter Teilstrecken wie in Sonneborn oder Haltepunkte in Orten wie Reher. „Als Reaktion darauf und aus persönlicher Betroffenheit entstand die Frage, wie man im Sinne des Gemeinwohls argumentieren kann, dass die Strecke nicht nur erhalten, sondern auch mit öffentlichen Mitteln reaktiviert werden kann“, so Försterling. Sein Vorschlag: Ein neuartiger Zug, der beide Gleise unabhängig voneinander nutzen kann und „so gut ist wie das eigene Auto“. Vollelektrisch mit Batterie, sauber und leise natürlich.

Mit seinem Konzept stieß Försterling auf großes Interesse. Das Monocab gewann den Deutschen Mobilitätspreis 2018 und wird nun als Forschungsprojekt von der Hochschule Ostwestfalen-Lippe, der Universität Bielefeld und dem Fraunhofer-Institut für Industrielle Automatisierung vorangetrieben. Bereits 2020 wurde ein erster Demonstrator entwickelt, um die Machbarkeit des kreiselstabilisierten Fahrzeugs zu testen. Im Jahr 2022 fand eine erste Testfahrt mit einem weiterentwickelten Probefahrzeug auf einem stillgelegten Streckenabschnitt der ehemaligen Extertalbahn statt. Dabei konnten erste freiwillige Passagiere mitfahren.

„Derzeit läuft bereits die Fortführung der Entwicklung des Demonstrators hin zu einem Prototyp“, sagt Försterling. Dazu muss die Vertikalstabilisierung noch weiterentwickelt, das Fahrwerk für enge Kurven und Bögen angepasst und auch der Fahrkomfort verbessert werden. Denn derzeit ruckelt und holpert es noch. Außerdem sollen moderne Sicherheits- und Navigationskomponenten integriert werden, die Positionsbestimmung, Abstandserkennung und mehr ermöglichen. Läuft die Entwicklung nach Plan, könnten 2028 die ersten Monocabs im Testbetrieb in der Region Nordlippe eingesetzt werden. Bis dahin soll aus dem Monocab-Projekt ein Start-up ausgegründet werden. Die Vorbereitungen laufen.

Teilhabe per Bahnstrecke

Wenn es nach Försterling und seinen Mitstreitern geht, soll das Monocab nicht nur eine Lücke in der Infrastruktur schließen, die durch die Verwaisung von Bahngleisen entstanden ist. Es soll auch eine neue und sehr flexible Form der Mobilität schaffen: den individuellen Personennahverkehr. Denn die Monocabs sollen nicht – oder zumindest nicht nur – nach Fahrplan und nur an festen Haltestellen verkehren. „Von diesen autonomen, also selbstfahrenden Kabinen sind dann viele gleichzeitig in beiden Richtungen auf einem Gleis unterwegs“, sagt der Erfinder. „Und sie können wie Taxis für die individuelle Fahrt ins Dorf oder in die Stadt bestellt werden. Per App, rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr.“

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Damit sollen gleichwertige und auch gerechte Lebensverhältnisse im ländlichen Raum im Vergleich zu Städten ermöglicht werden. Was in den Mittel- und Großstädten die Straßenbahn und die S-Bahn sind, soll auf dem Land das Monocab werden. „Damit das Land nicht den Anschluss verliert, muss es mobil bleiben“, so Försterling. „Denn die soziale Zukunft einer Mobilität der Teilhabe im ländlichen Raum ist individuell. Für mich ist das Monocab deshalb an erster Stelle eine Zuversichtsmaschine – eine Chance, den Menschen das gute Leben auf dem Land buchstäblich näherzubringen.“

Das Interesse am Monocab ist bereits sehr groß, meinen die Entwickler. Aus vielen Regionen Deutschlands kämen Anfragen zum Schienenfahrzeug. Gemeinden würden sich selbst als Testregionen anbieten. Auch aus dem Ausland kämen immer wieder Mails und Anrufe. Denn dort wollen Kommunen und Regionen ebenfalls stillgelegte Strecken reaktivieren. Aber auch Unternehmen sehen Potenzial für das Monocab – zum Beispiel als Transportmittel für den Werks- und Baustellenverkehr. „Die Resonanz auf die Idee ist beachtlich“, sagt Försterling. Er sieht das Monocab deshalb nicht nur als ein weiteres Mobilitätsprodukt, sondern als „Projekt von nationaler Bedeutung - mit guten Chancen auf internationale Wirkung“.

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Spannend ist v.a. die Frage der Anwendungsfälle, oder? Als Dorfkind fallen mir günstiges Pendeln, Einkaufsfahrten und Hobbymobilität (z.B. Sport, Musizieren) ein. Zudem böten die Kapseln evtl. mehr Sicherheit auf dem Heimweg nach nächtlichen Feiereien. Ein Design-Thinking-Ansatz für potenzielle Gestaltungsvarianten der Kapseln auf Basis öffentlicher Umfragen wäre der richtige Hebel, um Bedarfe vorab zu klären und Monocab mobilitätsgerecht zu entwickeln.

Mir würden tatsächlich einige Orte einfallen, wo MonoCabs oder etwas Vergleichbares sehr willkommen wäre. Vor allem da man bei denen ja nicht unbedingt einen Bahnhof braucht, sondern nur einen gut zugänglichen Schienenstrang. Hier in Bayern und vor allem im Osten gibt’s zahlreiche Orte, an denen sehr nah Gleise vorbeiführen, die heute nicht mehr genutzt werden.

Und klar, … Anwendungsfälle gibt’s wohl mehr als genug. Pendeln ganz vorne mit dabei – nicht nur zur Arbeit, sondern auch einfach in den Nachbarort, zum Arzt etc. pp. Aber solche Kapseln könnten natürlich auch umgerüstet werden: in einen Lieferpod bzw. mobilen Locker mit einzelnen Fächern, mit denen Pakete, Einkäufe etc. transportiert und zum Abholen bereitgehalten werden können.

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