Die kognitive Blockade vieler Menschen, die den Durchbruch der E-Autos verhindert

Die Ära der Autos mit Diesel- und Benzinmotoren soll in den kommenden Jahren zu Ende gehen. Dennoch sieht es nicht so aus, als würden die Verbrenner allzu bald von E-Autos verdrängt. Weiterhin verkaufen sich Fahrzeuge, die fossile Brennstoffe verfeuern, deutlich besser. Wie Forscher nun herausfanden, liegt der Grund dafür auch im Kopf.

Von Michael Förtsch

In mehreren Ländern ist es bereits beschlossene Sache. Jetzt hat auch das EU-Parlament das Ziel vorgegeben, die Produktion von Autos mit Verbrennungsmotoren ab 2035 zu untersagen. Verbindlich ist der Beschluss noch nicht, aber er macht die Zukunft deutlich: Fahrzeuge, die Diesel und Benzin verbrauchen, sollen nach und nach von den europäischen Straßen verschwinden. Stattdessen sollen jene, die nicht auf ein Auto verzichten können oder wollen, elektrisch unterwegs sein. Denn, zumindest wenn der Strom aus erneuerbaren Quellen kommt, ist ein E-Auto deutlich sauberer und zudem energieeffizienter unterwegs. Dazu bieten immer mehr Autobauer sowohl kleine als auch große E-Autos an. Dennoch hadern viele Menschen mit dem Umstieg. Der Grund dafür findet sich auch im Gehirn, wie Forscher in der Schweiz jetzt ermittelten.

„Es gab schon Forschung, die sich die finanziellen Hürden, die gesellschaftlichen Erwägungen angeschaut hat“, sagt der Psychologe Mario Herberz. „Wir wollten herausfinden, welche psychologischen Auslöser einen Menschen davon abhalten, auf ein Elektroauto umzusteigen. Wir wussten, dass es da Faktoren gibt. Aber welche?“ Herberz und seine Kollegen vom Consumer Decision and Sustainable Behavior Lab der Universität Genf haben hierfür eine Studie durchgeführt und in deren Rahmen über 2.000 Autofahrer und Autofahrerinnen unterschiedlichen Alters und mit unterschiedlichem Bildungs- und Beschäftigungshintergründen in Deutschland und den USA befragt. Und zwar dahingehend, wie gut sie wohl mit einem Elektroauto die Fahrten in ihrem Alltag bewältigen könnten.

Konkret fragten die Forscher zunächst, welchen Prozentsatz ihrer Fahrten die Umfrageteilnehmer mit einem E-Auto mit einer bestimmten Reichweite erledigen könnten – und welche Reichweite sie von einem E-Auto verlangen, um es als zuverlässig zu bewerten. „Sie sollten das einfach geradeheraus mal einschätzen“, sagt Herberz. Dann wurden die Autofahrer und Autofahrerinnen danach gefragt, „was für Autofahrten sie unternehmen“ und wie oft sie über das Jahr hinweg Fahrten mit verschiedenen Distanzen absolvieren. Das Resultat? Die Befragten verschätzen sich, was ihren Reichweitenbedarf betrifft – und zwar gründlich.

Viele Fahrten sind problemlos mit E-Autos machbar

Laut Mario Herberz und seinen Kollegen hätten zahlreiche der Studienteilnehmer einen cognitive bias – eine kognitive Voreingenommenheit – gegenüber Elektroautos und ihrem Bedarf an Batteriereichweite demonstriert. Sie würden die Möglichkeit, mit einem Elektroauto mit mittlerer Reichweite das Gros ihrer Fahrten erledigen zu können, massiv unterschätzen. „Die meisten könnten mit einem Auto mit einer Reichweite von 200 bis 250 Kilometern zwischen 90 und 95 Prozent ihrer [selbst genannten] Fahrten abdecken“, sagt Herberz. Die durchschnittliche Einschätzung der Probanden sei jedoch, dass sie lediglich 60 Prozent ihrer Strecken mit einem solchen Fahrzeug bezwingen könnten. Also rund 30 Prozentpunkte weniger.

Die Befragten denken sich Elektroautos also systematisch unpraktischer als sie es eigentlich sind. Gleichzeitig überschätzen sie den Bedarf an Reichweite, den sie in ihrem Alltag benötigen – obwohl sie diesen auf Nachfrage realistisch benennen können. Und je massiver der cognitive bias bei den einzelnen Personen ausfällt, „umso geringer ist die Bereitschaft, sich in den nächsten zehn Jahren ein Elektroauto zuzulegen“, fasst Herberz das Resultat einer weiteren Frage zusammen, die im Rahmen der Studie gestellt wurde. Die Befragten verlangen nämlich nach Reichweiten, die entweder nur bei sehr hochpreisigen E-Autos verfügbar oder derzeit noch nicht realistisch sind.

Über die Gründe für den cognitive bias können die Forscher nur spekulieren. Jedoch sei er unbewusst und habe nicht zwangsläufig etwas mit einer pauschalen Ablehnung von Elektroautos zu tun. Den Wissenschaftlern zufolge sei ein möglicher Ursprung wohl die Tendenz der Menschen, sich leichter größere Ereignisse in Erinnerung zu rufen als alltägliche. Unbewusst werde ein E-Auto daher nicht an der Fahrt zu Arbeit oder zum Einkaufen gemessen, sondern an der Ausnahmefahrt in den Urlaub oder zu den Eltern, die möglicherweise am anderen Ende des Landes leben.

Es gibt [sowohl in Deutschland als auch den USA] kaum Alltagsfahrten über 100 Kilometer.

Mario Herberz

Zudem werde natürlich automatisch ein Vergleich zum eigenen Verbrenner gezogen, gegen dessen Reichweite jene eines aktuellen Elektroauto einfach kleiner wirkt. „Und das ist dann auch oft so“, sagt Herberz. Was allerdings verdrängt oder nicht bedacht werde, sei, dass die Reichweite des Verbrenners so gut wie nie ausgeschöpft wird. „Es gibt [sowohl in Deutschland als auch den USA] kaum Alltagsfahrten über 100 Kilometer“, sagt Herberz. Statt am realen Bedarf würden Elektroautos an theoretischen Möglichkeiten gemessen, die so gut wie nie genutzt werden. Das macht sie im Kopf für viele Menschen zwangsläufig unattraktiv.

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Information hilft – vielleicht

Ein einfaches Mittel gegen den cognitive bias gibt es nicht. Aber laut Mario Herberz sei Aufklärung ein Werkzeug, das durchaus viel bewirken könnte. „Es spielt natürlich eine Rolle, dass Leute nicht ausreichend informiert sind“, sagt Herberz. „Da kann man was tun, um Barrieren abzubauen.“ Einfache Faktenchecks und Rechnungen dazu, welche Strecken gefahren werden und ob diese mit einem E-Auto kompatibel sind, wären beispielsweise ein guter Einstieg. Auch Karten, die die Verteilung von Ladestationen in der eigenen Region zeigen, Informationen zu Ladezeiten, zu Batteriewechseln und zur Wartung könnten einiges bewirken. Zumindest wenn die Infrastruktur in der jeweiligen Region tatsächlich bereits gut auf Elektromobilität vorbereitet ist – was nicht überall der Fall ist.

Eine noch bessere Möglichkeit, Vorurteile und kognitive Verzerrungen abzubauen, sei es wohl aber, „die Leute einfach mal in ein Elektroauto zu setzen“ und sie es nicht nur für eine Stunde, sondern einige Tage testen zu lassen. „Was leistet ein solches Auto im Alltag, wie nervig es ist denn, eine Ladestation zu finden?“, sagt Herberz. „Das sollte man erfahren. Dann können sich die Autofahrer und Autofahrerinnen ein Bild und eine Vorstellung machen, wie das ist.“ Die plötzliche Erkenntnis, dass ein Elektroauto doch zum eigenen Lebensstil und in den eigenen Alltag passt, könne mehr Überzeugungsarbeit leisten als großzügige finanzielle Anreize.

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Das ist stark zu lesen. Es liegt ja in unserer Natur uns zu überschätzen. Eine gewisse Selbstreflektion ist wohl häufiger nötig als man denkt.

Ich meinerseits hatte nie das Verlangen ein Führerschein zu machen (ja okay, ich bin auch Großstadtmensch) weil ich für so kurze Strecken nie die Notwendigkeit sah und dafür auch viel zu geizig währe. Erst mit der weiten Verbreitung von E-Autos habe ich das Verlangen mir auch mal ein Führerschein zu besorgen. Das ist wohl die andere Richtung von Selbstüberschätzung.

Sehr interessant. Ich kenne das ja selber nicht, aber von Freunden höre ich immer „und was wenn man in den Urlaub fahren möchte?“. Für lange Strecken könnte man also Bahn & Co. nutzen oder wenn man unbedingt „frei“ sein möchte, eben ein Mietauto.

Irgendwo habe ich auch mal gelesen, dass ein Auto in Deutschland am Tag circa 1-2 Stunden in Bewegung ist. Alleine das fand ich schon schockierend. Das 90 - 95% aller Fahrten unter 200km betragen ist um so schockierender. Ich frage mich, warum wir dann nicht generell mehr auf Carsharing (von mir aus auch Kommunales Carsharing) oder gleich komplett auf ÖPNV umsteigen? Mit effizienter Planung und etwas mehr Budget könnte man doch die meisten Probleme beheben: dichtere Taktung, bessere Lüftung, Fahrsicherheit, etc.

Danke für diese wundervollle und inspirierende Einsicht.

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Da liegt glaube ich das Problem: Das geht in vielen Fällen leider für viele Menschen nicht, die daher ein Auto brauchen und haben. Selbst in der Münchner Vorstadt ist es so, dass es mit dem ÖPNV keine Möglichkeit gibt, zuverlässig und schnell in einen Nachbarort oder zur nächsten Siedlung zukommen. Teils weil der Bus nur jede Stunde fährt oder überhaupt keine Linie dorthin vorhanden ist. Oder die Anschlüsse so schlecht sind, dass man für eine 20-Minuten-Autofahrt mit dem Bus über eine Stunde braucht – und Sonntag gar nicht dorthin kommt, weil der Bus da halt einfach nicht fährt.

Car-Sharing ist da leider auch keine Option, da es kaum Car-Sharing-Fahrzeuge gibt oder die Konditionen (weil oft kommunale Projekte) so schlecht und die Nutzungseinschränkungen sehr groß sind, dass sie keine Flexibilität in der Nutzung ermöglichen. Auch einen klassischen Mietwagen bekommt man in ländlichen Gegenden eben nicht so einfach. Ich selbst hätte gerne kein Auto (alleine schon, weil es derzeit tatsächlich viel rumsteht), aber brauche es für den Fall, dass ich es brauche, weil sonst keine anderen Optionen existieren.

Und weil das bei vielen so ist, ist es natürlich so, dass die Verkehrsbetriebe keinen Zugzwang haben, den ÖPNV drastisch aufzustocken und die Car-Sharing-Dienste keinen Bedarf in ländlicheren Regionen sehen.

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Ja leider ist das (noch?) so. Ich sehe natürlich auch das Problem, dass dann wohl viele leere Busse, Trams, Fähren & co umhertuckern würden, welche die Umwelt zusätzlich belasten. Da denke ich als verwöhnter Großstädter wohl manchmal nicht weit genug. Ich durfte das vor kurzem mal selber erleben als ich ein Freund von der Arbeit in Grünheide abholen wollte. Was auf der Landkarte relativ um der Ecke vom Berliner Süd-Osten liegt hat sich dann als 2 Stunden Fahrt entpuppt. Nur um das Trauma mal mit einer passenden Anekdote zu verarbeiten :slight_smile:

Das ist irgendwie traurig mit einer Priese Schönheit. Das Auto als Retter in der Not :slight_smile: Und hier kommt der Artikel wohl wieder ins Spiel. Viele dieser Fahrten sind bestimmt Fahrten, die mit einem E-Auto zu erledigen sind.

Das mit dem Bedarf der für einige Anbieter nicht groß genug ist, kann ich aber auch als Großstädte verstehen. Uber, Leihfahrräder etc. bekomme ich hier am Tellerrand von Berlin leider auch kaum. Da darf ich erst einmal zwei - drei Stationen mit der S-Bahn oder bis zu 12 Stationen mit dem Bus fahren bis ich in einer Region bin in der ich mir ein Leihrad ausleihen kann, obwohl es ja eher dieser Weg zum Bahnhof ist, den ich gerne mit einem Fahrrad fahren würde.

Ich sehe, es ist vor allem in Sachen Mobilitätsmix viel zu tun. Wie schaffen wir das, wenn wir selbst noch damit strugglen E-Autos an die Frau und an den Mann zu bringen? Super Interessant. Und danke für dein Input, Michael :slight_smile:

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Genau da liegt natürlich das Potential von Experimenten wie dem 9-Euro-Ticket. Herauszufinden, wie und wo der Bedarf stünde. Und ansonsten müsste es halt Mittel und Wege geben, ÖPNV zu dynamisieren – oder auch Ride-Sharing-Angebote oder in Zukunft autonome Fahrzeuge mit in das Angebot mit einzuweben. Wenn es das Ziel ist, das Auto weniger nötig zu machen, muss halt eine brauchbare Alternative geschaffen werden.

Tatsächlich ist der Unterschied zwischen Stadt und Land gravierend. Wenn du irgendwo auf’m bayerischen Land aufwächst, dann hast du stellenweise absolut keine ÖPNV-Anbindung und musst 20 Minuten bis zur nächsten Bushaltestelle fahren.

Und ja, ich glaube, so ziemlich alle dieser Fahrten – abgesehen von einer, die ich nächste Woche vor mir habe – wären ohne Ladestopp erledigbar. Nur das anschließende Laden würde etwas schwierig, denn was die Ladeinfrastruktur angeht, ist es hier leider auch noch ziemlich traurig. Die nächste öffentlichen Ladesäulen sind bei einem McDonalds, einer BayWa-Filiale und einem Parkhaus bei der S-Bahn (wo jedoch beide Säulen stets besetzt sind – von den immer gleichen Autos).

Leihräder sind hier hingegen mittlerweile recht verbreitet – als Angebot der MVG. Direkt an der S-Bahn und einmal gegenüber vom örtlichen Badesee. Allerdings hab ich nur einmal gesehen, dass jemand die benutzt hat. Wohl auch, weil hier in der Gegend so ziemlich jeder, der gerne ein Fahrrad nutzen kann und will, auch eines hat.

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