Vor fast 30 Jahren startete in der Wüste von Arizona ein unvergleichliches Experiment. Acht Menschen ließen sich in einer überdachten Nachbildung verschiedener Biotope einsperren. Der Versuch sollte beweisen, dass es möglich ist, auf anderen Planeten eine neue Erde zu schaffen. Doch schon bald wurde die Luft knapp und das Experiment zum Skandal. Denn hinter der Biosphere 2 standen nicht Wissenschaftler, sondern eine Theatergruppe. Und dann kam auch noch Trump-Berater Steve Bannon.
Von Michael Förtsch
Es sind Szenen wie aus einem Science-Fiction-Film. Acht Menschen in futuristischen Overalls stehen aufgereiht vor einem riesigen Gebäude, das an ein überdimensioniertes Gewächshaus erinnert. Hinter den Glasscheiben lassen sich Schlingpflanzen, Palmen und andere exotische Gewächse erspähen. Während Medienvertreter mit Filmkameras und Fotoapparaten um die Leute in den Overalls herumschwirren, gehen diese durch eine enge Stahlluke ins Innere des Gebäudes. Sie winken noch einmal, um sich zu verabschieden, als ob sie eine lange Reise antreten würden. Dann schwingt hinter ihnen eine dicke Stahltür zu, die mit einem Ruck an einem Hebel verschlossen wird. Sie durchquere eine Luftschleuse. „Es ist ein unglaublicher Moment“, sagt ein Mann aus der Gruppe. „Die Zukunft beginnt hier.“
Obwohl diese Bilder, die nur noch in VHS-Qualität zu finden sind, sehr an eine Hollywood-Filmproduktion erinnern, sind sie echt. Tatsächlich ließen sich Anfang der 1990er-Jahre acht Menschen auf ein wahnwitziges Experiment ein. In der Wüste von Arizona ließen sie sich in die Biosphere 2 einschließen, eine unter Glas und Stahl eingeschlossene Kunstwelt, die eine zweite Erde simulieren sollte – in Vorbereitung und der Hoffnung, irgendwann auf Raumschiffen und anderen Planeten Mini-Versionen unsere Heimatwelt aufbauen zu können. Jedoch verlief das Experiment alles andere als problemlos – und brachte die Probanden, ihre körperliche und ihre geistige Gesundheit an den Rand des Zusammenbruchs.
Es ist ein unglaublicher Moment. Die Zukunft beginnt hier.
Heute scheint das kuriose und einst weltweit mit Interesse verfolgte Projekt vergessen – oder höchstens als spektakulärer Fehlschlag in der kollektiven Erinnerung. „Ich hatte jedenfalls nichts davon gewusst – bis ich mit meiner Recherche anfing“, sagt Matt Wolf gegenüber 1E9, der mit Spaceship Earth eine umfangreiche Dokumentation über die Geschichte von Biosphere 2 gedreht hat. Tatsächlich wird erst in Rückschau klar, wie gewagt, sonderbar und zugleich auch wegweisend der Versuch war. Entsprungen ist die Idee nämlich keiner wissenschaftlichen Fachgruppe oder einer Universität, sondern etwas, das manche durchaus als Theatertruppe oder Sekte bezeichnen könnte.
Es begann mit John
Zwei Jahre reiste der Ingenieur, Metallurg und Harvard-Absolvent John Polk Allen Anfang der 1960er-Jahre durch die Welt. Er hatte eine durchaus erfolgreiche Karriere bei Forschungs- und Industrieunternehmen wie dem Battelle Institute, der Allegheny Ludlum Steel Corporation und der Development and Resources Corporation begonnen. Aber er gab sie auf, um stattdessen die Ursprünge und Lehren von Stammeskulturen in Nepal, Thailand, Singapur, Vietnam, den Philippinen und anderen Ecken der Welt zu studieren. Als er wieder in die USA zurückkehrte, wollte er nicht in sein altes Leben zurück, sondern sich Kunst, Kultur, dem Leben und der Erde verschreiben.
Daher kaufte Allen 25 Kilometer südlich von Santa Fe in New Mexico ein billiges Stück Land, wo er fortan mit Gleichgesinnten alternative Kultur-, Gesellschafts- und Lebensformen erforschen wollte. Tatsächlich entstand auf dem trockenen Boden binnen weniger Jahre die sogenannte Synergia Ranch, ein wilder Mix aus Ökodorf und Gegenkultur-Kommune, der insbesondere durch die von Allen gegründete Gruppe namens Theatre of All Possibilities einiges Aufsehen erregte. Das Theatre of All Possibilities war, wie der Dokumentarfilmer Matt Wolf beschreibt, „zu Anfang wirklich eine Theater- und Aktionskunst-Gruppe“.
Die Truppe wurde von John Allen selbst geleitet, und zwar, je nachdem, wer über die Jahre befragt wurde, entweder mit sanfter Hand oder unbarmherziger Härte. Allen schrieb Stücke und erdachte Performances, die die Mitglieder aufführten und organisierte Vorträge von Wissenschaftlern, Philosophen und Denkern, denen alle beiwohnten. Aber nach und nach habe sich die Gruppe „in immer praktischere Unternehmungen verstrickt“, wie Wolf erzählt. Oder, wie Mark Nelson, einer von Allens Weggefährten in der Dokumentation sagt: „Kunst? Geschäft? Ökologie? Technologie? Wir wollten das alles tun!“
In der Zeit zwischen den Vorstellungen machte die Truppe daher das öde Land der Synergia Ranch fruchtbar, konstruierte eine Halle nach Vorbild der Buckminster-Fuller-Kuppeln und ging dann nach Oakland, Kalifornien um ein Schiff zu konstruieren: die rund 25 Meter lange RV Heraclitus. Die wurde unter Leitung der zu dieser Zeit gerade einmal 19-jährigen Margret Augustine aus einem Holzrahmen, Ferrozement, Metallschrott und einem alten Dieselmotor gebaut. Keiner der Beteiligten hatte Erfahrung. Dennoch stach das Schiff 1975 in See. Mit ihr segelte das Theatre of All Possibilities, das zwischenzeitlich für seine Forschungsprojekte die seriöser klingende Stiftung Institute for Ecotechnics gegründet hatte, um die Welt – und startete allerorten allerlei Projekte.
Die Mitglieder riefen eine Kunstgalerie in London ins Leben, errichteten ein Hotel in Kathmandu, betrieben eine Viehfarm in Australien, arbeiteten mit der Universität von Mumbai, pflanzten Bäumen und beackerten erfolgreich eine Farm in Puerto Rico. Sie beobachteten Wale in der Antarktis, sammelten Forschungsdaten über die Tiere im Amazonas und dokumentierten Korallenriffe in den Tropen. „Wir tourten um die Welt“, sagt Allen in der Dokumententation Spaceship Earth. „Wir waren überall.“
Sie arbeiteten eher wie eine Firma, weniger wie eine Kommune.
Matt Wolf
Finanziell möglich war all das durch Ed Bass, dem milliardenschweren Sohn eines taxisschen Öl-Magnaten. Bass war von Allen, der Gruppe und ihren Visionen fasziniert – aber sah darin auch geschäftliches Potential. Er erwarb die Grundstücke, auf denen die Theatergruppe ihre Öko-, Umwelt- und Bauprojekte anging und gründete dazu Unternehmen, um sie anschließend mit Gewinn an andere Investoren weiterzuverkaufen. „Sie arbeiteten eher wie eine Firma, weniger wie eine Kommune“, sagt Wolf. „Sie machten, was sie wollten und waren darin ziemlich gut. Sie entwickelten jede Menge Fähigkeiten – von denen sowohl Bass als auch das Theater profitierten.“
Nächster Halt: das Weltall
Bis zum Beginn der 1980er zog die Allen-Truppe in ihren Shakedown Voyages um die Welt, arbeitete in allen erdenklichen Umgebungen und Klimazonen. Dann war den Menschen von der Synergia Ranch die Erde bald nicht mehr genug. John Allen wollte „in das Weltraumrennen einsteigen“, wie sich Zeitzeugen in der Dokumentation erinnern. Phil Hawes, ein junger Architekt, stellte auf der Ranch die Idee vor, ein Raumschiff zu bauen. Es sollte eine Kugel sein, die in ihrem Inneren alle Klimazonen der Erde nachstellt, Abertausende Tier- und Pflanzenarten beherbergt und, wie Hawes auf Archivaufnahmen beschreibt, mit einer Mannschaft aus „Abenteurern, Künstlern, Wissenschaftlern“ zu anderen Welten aufbricht.
„Sie meinten das durchaus ernst“, sagt der Dokumentarfilmer Wolf. „Sie hatten die Vorstellung, dass der Mensch den Planeten möglicherweise verlassen müsste, um neue Welten zu besiedeln, weil die Erde zugrunde geht.“ Zu Beginn der 1980er fanden nämlich erstmals dystopische Prognosen über den Klimawandel, die Ausbreitung von Wüsten und die schmelzenden Polkappen weitere Verbreitung und Beachtung. Oder auch Berichte wie Die Grenzen des Wachstums , die das Ende der Rohstoffe und die Negativfolgen des Bevölkerungswachstums auf der Erde vorhersagten.
Ebenso diente auch der 1972 angelaufene Kultfilm Lautlos im Weltraum als Inspiration , in dem der Special-Effects-Künstler und Regisseur Douglas Trumbull die Geschichte eines Astronauten erzählt, der auf einem Raumschiff mit riesigen Glaskuppeln verschiedene Biotope am Leben erhält, die auf der Erde längst verloren gegangen sind. Die Gruppe um Allen war von solch romanatisch-melancholischen Bildern angetan und überzeugt, dass das auch in der Realität möglich sei. Wenn denn das komplexe System der Kunstwelt gepflegt, nachhaltig belebt und im Gleichgewicht gehalten wird.
Wenn wir zum Mars oder Mond fliegen, sollten wir besser wissen, wie wir so eine Biosphäre bauen.
John Allen
Jedoch konnte und sollte es nicht gleich ein Raumschiff sein, sondern zunächst nur eine irdische Biosphäre, die von der Außenwelt abgeschirmt wird. Sie sollte beweisen, dass und wie sich auch auf anderen Planeten und Monden die Umgebungen und das Ökosystem Erde als ein abgeschlossenes System nachstelle lässt. Sie sollte es ermöglichen, Informationen über dynamische Systeme, ökologische Kreisläufe, die Wiederverwertung von Rohstoffen und vieles mehr zu gewinnen. Kurzfristig sollte sie dadurch helfen, ein „Model für ein nachhaltiges Leben auf der Erde zu entwickeln und Dinge zu erfinden, die wir heute als grüne Technologien bezeichnen“, sagt Wolf.
Langfristig, glaubten die Gruppe und deren Finanzier Bob Bass jedoch, könnte die künstliche Biosphäre als Blaupause dienen, wenn die Menschheit wirklich zu anderen Welten aufbricht – und damit auch durch Lizenzen, Forschungs- und Entwicklungsaufträge ein gutes Geschäft darstellen. „Wenn wir zum Mars oder Mond fliegen, sollten wir besser wissen, wie wir so eine Biosphäre bauen“, sagt John Allen in der Dokumentation. Er war überzeugt, dass, wenn die Menschheit andere Himmelskörper besiedelt, sie dort zweite Erden errichten würde. Bereits in den 1990ern, das war eine Hoffnung, könnte eine solche Biosphäre im All schweben.
Für ihr Experiment wollte die Gruppe zunächst einen Regenwald, eine Wüste und eine Savannenlandschaft voneinander getrennt unter eine riesige Glasglocke zwängen – mitsamt Tieren und Menschen. Es sollte weder etwas rein- noch rausgelassen werden, um so zu belegen, dass darin ein autarkes Überleben möglich ist. Das Ziel der Truppe: Diese Biosphere 2 – die Biosphäre 1 ist die Erde – sollte das größte und gewagteste Umweltexperiment aller Zeiten werden und den Blick der Menschheit auf sich, die Erde und die Natur verändern.
Mindestens über 100 Jahre hinweg, das war das eigentliche Konzept, sollten Menschen immer wieder darin leben. „Sie wollten die Biosphäre über viele Jahre und dadurch nach und nach ‚feinjustieren‘. Sie [die Mitglieder der Gruppe um Allen] gingen davon aus, dass der erste Versuch wohl schief gehen würde. Und auch der zweite, dritte, vierte und so weiter, und dass erst mit der Zeit das ganze System in ein harmonisches Gleichgewicht gebracht wird“, sagt Matt Wolf. „Es war eine große und spannende Vision.“
Kuppelbau
Ab 1984 begann das Team unter dem Dach der Firma Space Biosphere Ventures mit der Planung der Biosphere 2. Diese Aufgabe übereignete Allen zuversichtlich Margaret Augustine, die einst schon den Bau der Heraclitus überschaut hatte. Schnell fand sich ein Grundstück, auf dem die Anlage gebaut werden könnte: am Fuße der Santa Catalina Mountains zwischen Oracle und Catalina, Arizona. Gleichsam schnell stand auch fest, welche Biotope in der Biosphere 2 vertreten sein sollten. Was diese Entscheidungen nun allerdings genau bedeuteten und was nun weiter zu tun wäre, das konnten die Möchte-Gern-Weltenbauer nicht beantworten – zumindest nicht alleine.
Es stellten sich unzählige knifflige Fragen: Welche Pflanzen und Tiere brauchte es, damit andere Pflanzen und Tiere überleben? Wie sind die biologischen Wechselwirkungen? Welche Auswirkung könnte es haben, wenn eine Pflanzen- oder Tierart innerhalb der Sphäre ausstirbt? Wie viel Wasser, Nahrung, welche Böden und Luftfeuchtigkeit brauchen diese oder jene Lebewesen? Wie lässt sich die Biosphäre eigentlich sicher von der Außenwelt isolieren? Wie viel Anbaufläche braucht es, damit mehrere Menschen überleben können? Und, und, und …
„Das Team hatte einige Menschen, die durchaus Erfahrung und Wissen zu einzelnen Fachgebieten hatten“, sagt der Dokumentarfilmer Matt Wolf. Aber die Komplexität des Gesamtprojektes ging weit über die Gruppe hinaus. „Daher holten sie sich Wissenschaftler“, so Wolf weiter. „Sie holten sich Botaniker und Ökologen, brachten sie zusammen und ließen sie darüber nachdenken, was die Charakteristiken unseren Planeten sind und wie sie gestaltet werden könnten, um in einer Miniaturfassung zu koexistieren. Sie holten sich Bauexperten und Architekten, Statiker, Materialwissenschaftler, um die Gebäude und Versorgungsanlagen zu planen.“
Und es wurde viel geplant. Und fast so viel verworfen und neu geplant. Frühe Entwürfe der Biosphere 2 glichen eher einer futuristischen Raumbasis aus Seifenblasen-Kuppeln, wie sie auf dem Cover eines trashigen Science-Fiction-Romans abgebildet sein könnte. Das war nämlich das einzige, woran sich die Macher anfangs orientieren konnten. Immer wieder mussten Blaupausen und Systemkonstruktionen hinterfragt werden. Es wurden Probleme festgestellt, an die über Wochen und Monate niemand gedacht hatte. „Schließlich hatte niemand zuvor versucht, ein geschlossenes System zu bauen, das eine Miniaturfassung der Erde enthält“, sagt Wolf.
Daher mussten auch zahlreiche Technologien und Mechanismen erst erfunden werden, um die Biosphere 2 umsetzen zu können. Darunter ein Abdichtmaterial für Fenster, das tatsächlich nahezu keine Luft hindurch lässt. Nicht weniger wichtig waren spezielle Wasserfilter, massive Sprinkleranlage, ein Gezeitensimulator, Luftumwälzungsanlagen, Luftent- und Befeuchter, die sich in der sogenannten Technosphäre unter all dem Grün entlang zogen. Oder auch zwei gigantische Kunstlungen aus riesigen Gummidecken, die die Druckveränderungen durch die Schwankungen der Umgebungstemperaturen ausgleichen sollten.
Ein Glaspalast
Was letztlich auf knapp 12.750 Quadratmetern Grundfläche entstand, war keine Mond- oder Mars-Basis. Jedoch durchaus ein äußerst futuristisches Gewächshaus bestehend aus zwei von Maya-Tempeln inspirierten Glaspyramiden, mehreren gläsernen Kuppelbauten, Werkstätten, Laboren und Wohnbereichen – sowie einer kleinen Bibliothek, die in einem Turm untergebracht wurde. Unter den 6.500 Glasscheiben wurden ein tropischer Regenwald, ein Sumpf, eine Savanne und Wüste und ein Mini-Ozean mit 378.600 Liter Salzwasser samt Korallenriff angelegt. Die Pflanzen und rund 4.000 Tiere, darunter Kolibris, Buschbabys und Schildkröten, die diese bewohnten, wurden aus aller Welt geholt.
Zeitungsjournalisten werteten allein schon diese Kunstwelt als ein modernes Wunder, dessen Planung und Bau zwischen 150 und 200 Millionen US-Dollar verschlungen hatte – kalkuliert waren ursprünglich zwischen 30 und 50 Millionen US-Dollar. Die Ankündigung, dass alsbald acht ausgewählte Personen ganze zwei Jahre in der Biosphäre eingesperrt werden sollten, war dann eine richtige Sensation.
Einige Wissenschaftler prophezeiten der Biosphere 2 eine Bedeutung als das „wichtigste Wissenschaftsprojekt aller Zeiten“. Das Magazin Discover nannte es sogar „das aufregendste wissenschaftliche Projekt, das in den USA durchgeführt wird, seit Präsident Kennedy uns auf den Mond geschossen hat“. Nur wer dann in die Biosphere 2 steigen sollte, das musste noch geklärt werden. Bewerber gab jedenfalls genug – nämlich fast alle von John Allens treuen Gefolgsmännern und Gefolgsfrauen, die direkt und indirekt an dem Megaprojekt mitgewirkt hatten.
Die Ärzte waren unglaublich besorgt, dass er an irgendeinem schrecklichen Toxin umkommen würde oder seine Lunge wegen Bakterien oder so etwas versagen würde, oder wegen Pilzen.
Jane Poynter
Die Auswahlkriterien und Tests waren recht eigen. Für John Allen und sein Team spielte weniger eine akademische Vorbildung eine Rolle, sondern eher praktische Erfahrung und Diversität im Charakter und Bildungshintergrund. Allen voran sollten die Auserwählten aber der Synergia Ranch und deren Werten treu ergeben sein. Der Mediziner Roy Walford war zu dieser Zeit daher der einzige echte Akademiker in der Gruppe. Zu ihm stießen die britische Jungunternehmerin Jane Poynter, der Philosoph und Ökologe Mark Nelson, zwei weitere Männer und drei weitere Frauen – alle weiß, alle aus der gehobenen Mittelschicht und zwischen 27 und 66 Jahren alt.
„Dass sie in der Biosphäre dann wirklich sicher sind, das wollte John Allen selbst beweisen“, sagt Matt Wolf. Dafür war nebst der Biosphere 2 auch eine Art Mini-Biosphäre gebaut worden, die in ihrer Größe etwa einem Ein-Familien-Haus entsprach. Allen verbrachte mehrere Tage darin – ohne, dass Luft, Nahrung oder sonst etwas hinein oder hinaus kamen. „Die Ärzte waren unglaublich besorgt, dass er an irgendeinem schrecklichen Toxin umkommen würde oder seine Lunge wegen Bakterien oder so etwas versagen würde, oder wegen Pilzen“, erinnert sich Jane Poynter in einem Vortrag für TED. „Aber natürlich ist nichts dergleichen passiert.“
Nach Allen verbrachten auch die Biosphären-Kandidaten bis zu drei Wochen in der Miniversion der Miniaturwelt, testeten einzelne Mechaniken und Systeme – und kamen gesund und munter wieder heraus. Das war für die Organisatoren genug an Versicherung, um das echte Experiment durchzuwinken.
Die Tür ist dicht
Am 26. September 1991 war es schließlich so weit. Die Biospherians oder auch Bionauten getauften Forscher sollten endlich in der Biosphäre eingeschlossen werden – für zwei Jahre. In den Wochen und Monaten zuvor war ein gigantisches Medienspektakel veranstaltet worden. Immer wieder waren John Allen und sein Team im Fernsehen aufgetreten. Promis hatten in TV-Sendungen die Biosphäre besucht und die einzelnen Biotope vorgestellt. „Etwas am Biosphärenprojekt hat die Fantasie der Menschheit wirklich beflügelt“, sagt uns Rebecca Reider, die mit Dreaming the Biosphere eine der umfangreichsten Abhandlungen über das Projekt geschrieben hat. Ein Teil der Faszination, meint sie, sei sicherlich das Spektakel darum gewesen, ob und wie die Eingeschlossenen überleben werden. Der andere Teil die Hoffnung dabei zu sein, wenn die Zukunft entsteht.
In der Nacht vor dem großen Tag war um die Biosphäre noch eine gigantische Party mit 2.000 Gästen veranstaltet worden – darunter Woody Harrelson und Timothy Leary. Ungesehen arbeiteten währenddessen im Hintergrund noch Handwerker und Baufirmen, stellten letzte Segmente fertig, schlossen Kabel an und versiegelten Dichtung. In dem Moment da die Bauarbeiter am Folgetag die Biosphere 2 durch eine Hintertür verließen, war weltweit zu sehen, wie Ed Bass die Experimentteilnehmer mit den Worten „Gute Reise und fliegt euer Raumschiff ordentlich, damit die Menschen in Zukunft das Raumschiff Erde besser steuern!“ verabschiedete – und sich dann jene dicke Tür schloss.
Gute Reise und fliegt euer Raumschiff ordentlich, damit die Menschen in Zukunft das Raumschiff Erde besser steuern!
Ed Bass
„Zu diesem Zeitpunkt wurde ich ein Teil der Biosphäre“, erinnert sich Jane Poynter in ihrem Vortrag. Erst nach zwei Jahren würde wieder jemand durch die Schleuse treten. Während dieser Zeit geht nichts rein, nichts raus, war das Mantra. Davon waren alle überzeugt. Und damit begann für die Truppe auch die Arbeit. Gemeint ist damit jedoch nicht in erster Linie die Forschung. Die fand eher nebenbei statt – und das auch mehrheitlich passiv. Sensoren, Kameras und Messgeräte zeichneten kontinuierlich Daten auf. Nur einige Stunden pro Woche saßen die acht Menschen im Labor, führten Analysen durch oder schrieben berichte.
Die meiste Zeit verbrachten sie damit, ihre 18 Felder im Agar-Sektor zu bestellen und sich um Ziegen, Hühner, Schweine und Fische kümmern. Wenn sie das nicht getan hätten, hätten sie schließlich nichts zu essen. Das funktionierte zunächst auch problemlos. Das Team war bei guter Gesundheit, fühlte sich toll und arbeitete schnell. Die Stimmung war euphorisch. Freudig winkten die Menschen hinter dem Glas den Besuchern zu, die kamen, um sich das Spektakel aus nächster Nähe anzusehen.
Wenn keiner zusah, tanzten die Bionauten schon einmal nackt durch den Regenwald. Sie führten für sich selbst Theaterstücke auf und spielten auf Bongos. Und natürlich faden sie auch noch andere Möglichkeiten, um sich die Zeit zu vertreiben. „In den Medien sprachen wir nicht über Sex“, erinnerte sich Bionaut Mark Nelson. „Wenn wir gefragt wurden, war unsere Standardantwort: Menschen sind Menschen. Alles was Menschen sonst tun, das passiert auch hier drinnen.“ Und auch Drogen gab es. Beispielsweise pflanzten die Öko-Astronauten Ayahuasca an, eine Pflanze, aus der sich ein beschwichtigender Tee brauen lässt.
Ebenso lernten die acht Menschen schnell, was das abgeschlossene System spür- und sichtbar bedeutete. All die Luft, die sie ein- oder ausatmenden wurde von den Pflanzen, die sie umgaben, verarbeitet und wanderte früher oder später erneut in ihre Lungen zurück. Der Kompost, den sie produzierten, wurde zum Teil der Kartoffeln, ihre Nahrungsmittelabfälle zum Teil der Hühner und Schweine, die sie später essen würden. Oder wie Jane Poynter sagte: „Wir aßen uns quasi immer wieder selbst.“ Es war ein Erkenntnismarathon, den sie in nur wenigen Tagen hinlegten. Dann kam das erste Problem.
Wir aßen uns quasi immer wieder selbst.
Jane Poynter
Nach nur zwei Wochen verletzte sich Jane Poynter. Als sie Weizen in eine Dreschmaschine schob schnitt sie die Kuppe eines Fingers ab. Die Wunde blutete stark. Das Team entschloss sich daher, sie aus der Biosphäre zu holen. Fünf Stunden verbrachte sie draußen, um in einem Krankenhaus versorgt zu werden. Anschließend ging sie wieder hinein – mit dabei eine Tasche voller Equipment, Computerteilen und Farbfilmrollen. Den gesamten Vorfall versuchte das Managementteam aus der Presse fern zu halten. Genau wie zahlreiche folgende Stolpersteine und Hindernisse.
Die Kakerlaken kommen
Die Planung von Biosphere 2 war nicht frei von Kontroversen gewesen. Einer der Streitpunkte war, dass manche Planer befürchteten, dass die Agar-Anlagen zu klein wären, um acht Menschen dauerhaft und gesund zu ernähren. Etwas, von dem John Allen laut Rebecca Reider jedoch nichts hören wollte. „Es wollte nicht einmal den Anschein einer Fehlplanung akzeptieren“, schreibt die Autorin in ihrem Buch. Wie sich zeigte, hatten die Zweifler jedoch recht. Im Tagesdurchschnitt nahmen die Bionauten 2.200 Kilokalorien zu sich – etwas mehr als für einen Durchschnittsmenschen empfohlen. Schließlich verrichteten die Eingeschlossenen tagtäglich schwere Feld- und Farmarbeit.
Binnen weniger Monate verloren sie zwischen 8 und 12 Kilogramm an Gewicht – aber zeigten insgesamt eine Verbesserung ihres Herz- und Kreislaufsystems. Jedoch war ihre Kost nicht gerade vielfältig. Zu Anfang war es noch ein Mix aus Bananen-, Gemüsespeisen, Erdnüssen, Bohnen, selbst gebackenem Brot, Papajas, Tomaten, Fisch, Eiern und Kartoffeln, Milch – und hin und wieder etwas Fleisch. Aber die Hühner und Schweine fraßen mehr als erwartet, einige Ernten blieben weit hinter den Erwartungen zurück. Manches mochte einfach gar nicht wachsen. Daher bestand ihre Kost bald fast ausschließlich aus Süßkartoffeln.
„Wir haben so viele Süßkartoffeln gegessen, dass ich orange wie eine Süßkartoffel wurde“, sagt Jane Poynter. Schuld war das Beta-Carotin. Nach einem durchschnittlichen Mittagessen waren die Biospherians nicht satt, sondern „nur etwas weniger hungrig“, wie Nelson in der Dokumentation Spaceship Earth sagt. „Ich war manchmal so hungrig, dass ich Erdnüsse mitsamt der Schale gegessen habe.“ Dazu kam, dass die Kaffeebäume schlecht wuchsen. Es brauchte zwei bis drei Wochen, um genug Bohnen für eine Tasse zusammen zu bekommen.
Die Situation nagte an den Nerven, dem Wohlbefinden und dem Teamgeist. Einige Gruppenmitglieder hamsterten heimlich Bananen, vergingen sich am Saatgut, das für die Felder bestimmt war oder organisierten, dass heimlich Taschen mit Proviant – aber auch Mausefallen und Schlaftabletten – durch eine Schleuse geschmuggelt wurden. Die Gruppe stritt sich und spaltete sich in zwei Lager.
„Wir wussten, dass sich kleine, von der Außenwelt isolierte Gruppen oftmals untereinander streiten“, sagt Jane Poynter. Dass das auch ihnen passieren würde, damit hatten sie aber nicht gerechnet. Als Poynter über Telefon das Management informierte, dass die Situation bezüglich Nahrungsmitteln und Teamgeist kritisch wird, wollte keiner in der sogenannten Mission Control außerhalb der Anlage etwas davon hören. Stattdessen wurde Poynter mit dem Ausschluss aus dem Projekt gedroht.
Aber es wurde noch schlimmer. Milben, Fadenwürmer und Pilze breiteten sich aus und befielen die Ernten. Ameisen und Kakerlaken vermehrten sich explosionsartig. Unkraut überwucherte einige der Felder. An anderen Stellen starben nach und nach mehrere Tierarten weg, die mit in die Biosphäre genommen worden waren. Darunter Kolibris und Hummeln. Auch das zunächst kunterbunte Korallenriff, dass in dem riesenhaften Wasserbecken angelegt worden war, begann, grau zu werden und einzugehen.
Die wahre Herausforderung zeigte sich aber nur schleichend. Den Menschen in der künstlichen Mini-Erde ging die Luft aus!
Wie auf einem Berg
Von Ende 1991 bis Frühling 1992 wurde die Luft in der Biosphere 2 ziemlich dünn. Die CO2-Konzentration stieg auf einen Wert von 3.400 Teilen pro Million. Der übliche Wert im Freien beträgt 400 Teile pro Million. Und selbst in einem schlecht gelüfteten Büro steigt er nicht über 1.000 Teile pro Million. Oder, wie Jane Poynter sagt: „Was unsere Atmosphäre betrifft, gab es auf lange Sicht wenig zu lachen.“
Was unsere Atmosphäre betrifft, gab es auf lange Sicht wenig zu lachen.
Jane Poynter
Mit jedem Atemzug gelang mehr CO2 in die Luft. Mit jedem Bestellen der Felder wurde CO2 freigesetzt. Dazu sorgte das schlechte Wetter in der Welt außerhalb dafür, dass die Photosynthese der noch vielfach jungen und daher nicht vollends leistungsfähigen Pflanzen langsamer war als gewöhnlich. Da half auch der CO2-Absorber nichts, der, wie Zeitungen berichteten, heimlich vor dem Beginn des Experiments vorsorglich eingebaut worden war.
Das Team arbeitete fieberhaft daran, irgendwie Kohlenstoff zu binden. Das bedeutete, Pflanzen anzubauen, zu ernten und einzulagern. Sie versuchten, so wenig wie möglich, den Boden zu wässern und ihre Anstrengung und damit ihren eigenen Stoffwechsel auf ein Minimum zu beschränken. Dennoch nahm der Sauerstoffanteil weiter ab – und zwar schneller als das CO2-Level anstieg. „Wir haben sieben Tonnen Sauerstoff verloren“, so Jane Poynter. „Und wir hatten keine Ahnung, wo er war.“
Wie sich herausstellte, war es der noch nicht vollends ausgetrocknete Beton der Anlage, der für das Ungleichgewicht sorgte. „Eigentlich ist etwas ganz Einfaches passiert. Wir hatten zu viel Kohlenstoff in Form von Kompost in den Boden gebracht“, erklärte Poynter. „Er wurde zersetzt und nahm Sauerstoff aus der Luft. Dadurch kam CO2 in die Luft. Und das CO2 wurde vom Beton gebunden. Eigentlich ganz simpel.“ Das war jedoch nur eine Erklärung für ihr Problem, keine Lösung. Den vier Frauen und vier Männern ging es immer schlechter.
Wir haben sieben Tonnen Sauerstoff verloren. Und wir hatten keine Ahnung, wo er war.
Jane Poynter
Der Sauerstoffmangel, die Sättigung fiel stellenweise von 20,9 auf nur 14,2 Prozent, führte zu Müdigkeit, Gereiztheit, Apathie. Derartige Bedingungen herrschen sonst in über 4.500 Metern Höhe. Es fiel ihnen immer schwerer, klar zu denken. Sie litten unter Atemaussetzern im Schlaf und depressiven Verstimmungen, die noch verstärkt wurden, da Uneinigkeit darüber herrschte, was nun zu tun sei. Einige der Probanden verloren, wie Rebecca Raider in ihrem Buch schreibt, ihr Zeitgefühl, Erinnerungsvermögen und fürchteten, ihren Verstand zu verlieren.
„Das Team der Biosphere spaltete sich jetzt erst recht – sowohl außerhalb als auch unter der Kuppel“, sagt Matt Wolf. „Es gab jene, die weiterhin auf John Allen vertrauten [der alles einfach weiterlaufen lassen wollte]. Und jenen, die sahen, dass es, so wie er das Projekt führte, nicht gut lief.“ Ein Teil der Biosphere-2-Mannschaft war dafür, die Menschen in der Kuppel mit zusätzlichen Vorräten und Sauerstoff zu versorgen. Die anderen nicht.
Gleichermaßen sorgte der Umstand für Spannung, dass die Probleme vor der Öffentlichkeit verheimlicht wurden. Jedoch hatte die Presse natürlich ihre Quellen – und recherchierte auch zu den Hintergründen von John Allen und seinen Anhängern, die in zahlreichen Zeitungen als ein Kult porträtiert wurden. „Sie waren nicht transparent und als es Probleme gab, waren sie nicht offen. Sie sagten nicht, was Sache ist“, sagt Wolf. „Das sorgte dann für noch mehr Kritik, mehr Skepsis.“ Auch wurde zunehmend Mangel an wissenschaftlichen Fachkräften kritisiert. Als „Öko-Entertainment“ und „New-Age-Esoterik getarnt als Wissenschaft“ wurde das Projekt bezeichnet.
Mehr Luft
Nach zahlreichen Streits in und außerhalb des Glaspalastes, Enthüllungsberichten und harter Kritik von Wissenschaftlern, beugten sich John Allen und sein Team. Im Januar 1993 wurden mehrere Tonnen an Sauerstoff in die Biosphäre gepumpt – aus gekühlten Druckbehältern. Dazu wurde ein wissenschaftlicher Beirat gebildet, der dem Team dabei helfen sollte, einen wissenschaftlichen Nutzen aus dem in Misskredit gebrachten Mega-Experiment zu ziehen. Es wurden kleine Teilexperimente, Untersuchungen und Probeentnahmen angesetzt – wobei tatsächlich einiges herauskam. Unter anderem wurde in der Biosphäre später eine bislang unbekannte Amöbenart entdeckt.
Die Zeit darauf verbrachten die Experimentteilnehmer in besserer Verfassung – und mit klarem Kopf. Als wieder Frischluft durch die Biotope strömte, hätten sie sich um Jahre jünger gefühlt und seien wieder voller Elan an die Arbeit gegangen, heißt es im Buch von Rebecca Raider. Sie begannen, die Probleme mit dem Unkraut und den Schädlingen in den Griff zu kriegen. Durch eine tägliche Ernte von Algen wurde sogar der künstliche Ozean wieder zu einem tropischen Paradies für Fisch und Mensch. Einige der Teilnehmer hatten das Gefühl, dass es nun mit dem Experiment gerade erst richtig los ginge, und sie zu verstehen begannen, wie sie mit der Mini-Welt umgehen müssten.
Aber nur wenige Monate später, am 26. September 1993, und damit nach zwei Jahren und 20 Minuten, verließen die acht Versuchspersonen das Glashaus dennoch voller Freude – und waren gerührt, Freunde und Familie wieder zu sehen, von denen sie stets durch Glas getrennt waren. Wie Jane Poynter berichtet, war sie von all den Eindrücken und insbesondere den Gerüchen überwältigt. „Menschen stinken! Wir stinken nach Haarspray und Deo und allem möglichen Zeug“, scherzte sie in einem TED-Vortrag. Genauso haderten die Biospherians damit, sich wieder an reichhaltige Nahrungsmittel mit Fett und Zucker zu gewöhnen. Von Cheeseburgern, Steaks oder Cola wurde ihnen regelrecht übel.
Auch den einfachen Umstand, nicht zu wissen, wo das Essen auf ihrem Teller herkommt, war für sie nach all der Zeit ungewohnt. „Wieder in einem Supermarkt zu stehen, war sehr irritierend“, so Nelson. Die Nahrungsmittel aus dem Regalen erschienen ihm erschreckend anonym, die Verpackungen absurd, der Müll auf den Straßen ärgerte ihn. Insgesamt, sagen die Teilnehmer in Interviews, sei die Zeit in der Sphäre für sie trotz all der Hader ein geradezu philosophisches Erweckungserlebnis gewesen – ähnlich dem Empfinden, das Astronauten erfahren, wenn sie das erste Mal die Erde aus dem All erblicken.
Und dann kam Steve Bannon
In den Augen der Presse und der breiten Öffentlichkeit war Biosphere 2 jedoch ein Fehlschlag. Schließlich hatten die Planer und Probanden es nicht geschafft, ihr vermeintliches Ziel und Versprechen einzuhalten. „Ich glaube, die Erzählung vom Scheitern kam von den Medien, die diese Erwartung schufen, dass entweder alles perfekt sein müsse – und wenn nicht, ist es rein Reinfall“, sagt Rebecca Reider. „Das Team von Biosphäre 2 schuf diese Erwartung [dass nichts raus und nichts reingeht], aber die Medien verstärkten sie und machten sie zum einzig wichtigen Faktor der ganzen Unternehmung.“
Auch aus Sicht von Mark Nelson hat die Werbung für das Projekt und die Selbstinszenierung als futuristisches und perfekt geplantes Science-Fiction-Projekt wohl zu gut funktioniert. „Wir wurden sehr früh als das Unternehmen verkauft, dass die Welt retten sollte“, sagt der ehemalige Bionaut. Dass das Experiment jedoch nicht so einfach, sondern viel komplexer und nicht auf einen einmaligen Versuch ausgelegt war, das sei von der Öffentlichkeit und den Medien nicht verstanden, aber von ihnen auch nicht richtig erklärt worden. Sogar einige der Verantwortlichen wären zum Ende hin überzeugt gewesen, dass das Biosphere-2-Experiment eine Katastrophe war.
Ich glaube, die Erzählung vom Scheitern kam von den Medien, die diese Erwartung schufen, dass entweder alles perfekt sein müsse – und wenn nicht, ist es rein Reinfall.
Rebecca Reider
Dazu gehörte auch der Geldgeber Ed Bass, der neben den 150 bis 200 Millionen US-Dollar an Baukosten zudem 50 bis 70 Millionen US-Dollar ausgab, um die Biosphere 2 über den Zeitraum von zwei Jahren zu betreiben. Er sah nicht, dass auch nur irgendwas abseits von schlechter Presse für ihn heraussprang. Da jedoch kurzfristig nicht absehbar war, wofür die Biosphere 2 sonst nutzbar wäre, wurde im März 1994, wie geplant, ein zweites Experiment gestartet – das die Fehler des ersten vermeiden sollte. Unter den Teilnehmern waren erfahrene Wissenschaftler. Es wurden mehr und verschiedene Lebensmittel zur Verfügung gestellt und der Umgang mit den Medien war weniger effekthaschend.
Doch dann, als das Experiment gerade einmal einen Monat lief, kam es zu einem Coup. Ed Bass entschloss sich, das Unsummen verschlingende Projekt und die Firma Space Biosphere Ventures komplett umzukrempeln. Am 1. April wurden John Allen und mehrere Team-Mitglieder von ihren Positionen entlassen, man ließ sie von bewaffneten Eskorten vom Gelände führen und setze einen neuen Direktor ein, der mit dem Helikopter eingeflogen wurde: Steve Bannon, der spätere Trump-Berater und Breitbart-News-Leiter, der zu diesem Zeitpunkt vor allem als Medienunternehmer und Spezialist für feindliche Firmenübernahmen galt. Er sollte dafür sorgen, dass das Projekt nicht weiter nur Geld verliert, sondern auch abwirft.
Bannon holte die Teilnehmer des zweiten Experiments nach nur sechs Monaten aus dem Glashaus, in dem sich eine besorgniserregende Menge an Distickstoffmonoxid angesammelt hatte. Stattdessen plante Bannon nun, Wissenschaftler aus aller Welt einzuladen, um in der künstlichen Welt und deren einzelnen Biotopen zu experimentieren. Dafür ließ er die Biosphere 2 öffnen und nicht mehr als abgeschlossene Mini-Erde weiterlaufen. Er plante, die Idee der Biosphäre zu lizenzieren. Gemeinsam mit dem Unternehmer hinter dem Luxor-Casino plante er zeitweise ein Biosphere-3-Hotel und Resort in Las Vegas.
Der spätere Trump-Vertraute blieb aber nicht lange – auch, weil der Erfolg schlicht ausblieb und es immer wieder zu Reibereien mit dem Rest des Biosphere-2-Teams kam. Er hatte unter anderem ehemalige Planer verklagt, Mitarbeiter beleidigt und Mitarbeiterinnen belästigt. 1995 verließ er das Projekt, dessen Sinn, Zweck und Zukunft unsicherer war als zuvor. „Es ist unglaublich, es ist fast wie eine Metapher: Steve Bannon übernahm die Biosphere 2, wie er dann mit der Trump-Truppe die US-Regierung übernahm“, sagt Matt Wolf. „Er sabotierte Biosphere 2, wie er dann die echte Welt, die große Biosphäre sabotierte.“
Kurz nach dem Weggang von Bannon übereignete Ed Bass die Biosphere 2 der Columbia University, die sie für ökologische Forschungsprojekte und Unterrichtsexkurse nutzen wollte. Unter anderem wurde in der Regenwaldzone die Auswirkung von Klimagasen erforscht. Ebenso wurde im riesigen Ozeanbecken eine bahnbrechende Studie über die Versauerung und das Absterben von Korallenriffen erstellt.
Als die Betriebskosten für die Universität zu hoch wurden, ging die Biosphere 2 jedoch zurück an Ed Bass, der sie dann an eine Landentwicklungsfirma verkaufte. Die wiederum spendete sie 2011 an die University of Arizona, die sie unterstützt durch eine 30-Millionen-US-Dollar-Spende von Ed Bass weiterhin für Forschungsprojekte nutzte – und auch weiterhin nutzen will.
Die einstige Biosphäre ist nun in zahlreiche Einzelsegmente und abgetrennte Experimente mit unterschiedlichsten Zielsetzungen aufgeteilt. Unter anderem wird der Frage nachgegangen, wie Nahrungsmittel auf dem Mond angebaut werden könnten. Ebenso soll in einem Anbau mit Unterstützung des Start-ups Civic Farms untersucht werden, wie sich effektiv und energiesparend vertikale Landwirtschaft betreiben lässt. Daneben ist die Biosphere 2 heute ein Schulungs- und Konferenzzentrum – und eine äußerst besondere Touristenattraktion.
Erfolg oder Fehlschlag
Darüber, ob die Biosphere 2, wie seinerzeit berichtet, ein katastrophaler Fehlschlag, eine der „100 schlechtesten Ideen des Jahrzehnts“ war, herrscht heute nicht mehr so viel Einigkeit. Insbesondere da mittlerweile deutlich sichtbarer und klarer ist, was das Projekt eigentlich erreichen sollte – und wie es gemeint war. „Biosphere 2 war kein einfaches wissenschaftliches Experiment, es war ein Experiment – im wirklich weitesten Sinne des Begriffes“, urteilt Matt Wolf. „Es war, wie man es heute nennen würde, ein Total-System-Experiment – und es war ein Menschenexperiment. Es gab so viele Punkte, an denen sie hätten abbrechen können. Aber sie haben es nicht getan. Es zeigt uns, dass man trotz allem, zusammenarbeiten kann, um etwas am Laufen zu halten.“
Biosphere 2 war auch ein Experiment, aus dem, wie erst in den späteren Jahre sichtbar wurde, gerade ob der vielen Hürden und Probleme zahlreiche Erkenntnisse gewonnen wurden – und auch heute noch werden. Allein die Tatsache, dass sich abgeschlossene Ökosysteme erschaffen und erhalten lassen, war eine, die vorher so nicht bestand. Binnen der zwei Jahre unter Glas hat sich die Biomasse – also die Gesamtzahl an pflanzlicher und tierischer Materie – mehr als verdoppelt. Die Bionauten und Konstrukteure leisteten Pionierarbeit in den Bereichen des Recycling und dem, was heute als konzentrierter Bio-Landbau bezeichnet wird. Selbst, wenn viele der gesammelten Daten über die Jahre verloren gingen, half die Biosphere 2 auch vergleichbare, wenn auch deutlich kleinere Experimente wie Mars-500 vorzubereiten. Für Mark Nelson ist Biosphere 2 daher „eines der größten Experimente“, die jemals durchgeführt wurden, und eines, das „das Forschungsfeld der Ökologie revolutionierte“.
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Jetzt Mitglied werden!Laut Rebecca Reider ist das deutlichste Zeichen dafür, dass Biosphere 2 kein Reinfall war, jedoch ein anderes. Denn mit dem „nichts geht rein, nichts geht raus“-Vorsatz den einige Biosphere-2-Verantwortliche durchsetzen wollten, wurde nicht nur ein Sterben der Biotope in Kauf genommen. Es wurde auch die Gesundheit und das Leben der Menschen unter dem Glas aufs Spiel gesetzt. Doch die Tatsache, dass die gleiche Anzahl an Menschen, die ins Glashaus hineingingen, abgesehen von einem geschnittenen Finger, wieder körperlich und geistig gesund herauskamen sei „ein echter Erfolg“.
Teaser-Bild: NEON