Biohacking: Kann eine Open-Source-Bewegung die Pharmaindustrie herausfordern?

Hallo zusammen! Mir persönlich fällt es schwer, sich eine so streng regulierte Branche wie die Medizin- und Pharma-Industrie als Open-Source-Bewegung vorzustellen. Es gibt sicherlich viele Dinge, die man an der Pharmabranche kritisieren kann (bin leider kein ausgewiesener Branchenkenner), aber ist eine Open-Source-Biohacker-Bewegung darauf wirklich die passende Antwort? Oder anders gefragt: Ist es der Antrieb dieser Bewegung wirklich „es besser machen zu wollen“? Im privaten Labor? Mit unzähligen Freiwilligen, die nebenher eigentlich anderen Berufen nachgehen? Dafür ist medizinische Forschung doch viel zu komplex. Selbst wenn die Explosion freien Wissens im Internet eine ausreichende fachliche Grundlage brächte, bräuchte es immer noch wahnsinnig viel Geduld, Geld und gemeinsame Anstrengung, um die eigene Arbeit mit wissenschaftlichen Studien zu belegen. Ich bin skeptisch, dass eine eher lose kooperierende Crowd da langfristig auf einen Nenner kommt. Mit welchem gemeinsamen Interesse? Danke für deine Antwort, Rüdiger!

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da würde ich noch anschliessen: die zulassung von medikamenten ist sau teuer und nicht ohne grund lang. wie soll eine open source community so was packen?

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Hallo Unulaunu, Daria und ChrisS,
also erstmal: Genau so ist es, mit einfachen Tests kann man Naturstoffe auf ihre antibakteriellen Eigenschaften prüfen. Es gibt da eine ganze Reihe von Tests, die man da relativ einfach durchführen kann. Penicillin und Bakteriophagen wurden vor 70 bzw. 100 Jahren genau so entdeckt, und ich sehe keinen Grund, warum sowas nicht wieder passieren sollte. Trotz viel Forschung hat man mit Garantie noch nicht alles getestet, was in der Natur so vorkommt, zumal sich da ja auch dauernd alles verändert.
Ob daraus dann ein Medikament wird, ist eine andere Frage und hängt von der Bereitschaft des Staates und der Investoren ab, solche neuen Ansätze zu fördern bzw zuzulassen.

Die Forschung ist nur deshalb so teuer, weil der Staat klinische Studien vor der Zulassung eines Arzneimittels verlangt. Diese Regeln sind jedoch für eine auf organischer Chemie basierende Wirkstoffforschung ausgelegt und nicht für Biologicals. Es zeichnet sich gerade ab, dass die Behörden hier flexibler werden in der Regulierung.
Und hier sehe ich die Chance, dass sich etwas bewegt und es dadurch möglich werden könnte, dass ein Startup tatsächlich eigenständig, d.h. ohne die eigene Innovation an einen der großen Konzerne verkaufen zu müssen mit einem neuen Wirkstoff bzw. Heilungskonzept in den Markt kommen kann. Wenn nicht in Europa, dann in anderen Ländern.

Dass das wenn dann nur ganz zu Anfang von ein paar engagierten Privatleuten getrieben werden kann und sobald man ernsthaft Medizin entwickeln möchte ein größeres Team und entsprechend Finanzierung benötigt, ist dabei jedoch klar. Die Hypothese, die ich hier aufstelle ist, dass man mit neuem Wissen und einer neuen Umgangsweise damit eine neue Art Menschen zu heilen entwickeln kann.

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naja… aber die vorstellung davon, dass meine medikamente aus irgendwelchen ländern ohne kontrolle kommen, ist ein wenig scary. findest du nicht?

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Nun das ist nicht das was ich damit aussage. Es geht nicht darum keine Kontrolle über die Medikamente zu haben, im Gegenteil. Es geht darum eine angepasste Regulierung zu finden die einen neuen Markt eröffnet für neue Wirkstoffe (Biologicals) und neue Marktteilnehmer, die bestehende Nachfragelücken schließen.
Ob da die deutschen oder EU Behörden die ersten sind weiss ich nicht, der Status Quo hat sich ja in den letzten Jahrzehnten recht festgefahren. Und wenn andere Länder da fortschrittlichere Regulierungen einführen wird es wohl eher schwierig diese Medikamente nach Deutschland zu importieren… Ich kenne jetzt schon viele Fälle von an multiresistenten Bakterien Menschen die für die Phagen Therapie nach Georgien reisen um sich dort behandeln zu lassen weil ihnen im Westen keiner mehr helfen kann…
Meine Sorge geht also dahin, das wir derzeit Krankheiten heranzüchten und uns selbst die Möglichkeit diese zu heilen durch unsere bestehende Regulierung versperren.

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oder durch die möglichkeit so eine art heil-mich-tourismus zu betreiben noch mehr krankheiten heranzüchten, weil keiner wirklich weiss, was gemacht wird und was die konsequenzen sind?

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Diese Situation ist doch schon lange eingetreten durch die bestehende Praxis wie hierzulande mit Antibiotika umgegangen wird. Das ist ja der Grund, warum ich nach neuen Wegen suche, mit dem bereits hausgemachten Problem umzugehen. Nichts tun wird die Lage drastisch verschlimmern. Schau dir die Informationen der WHO dazu an… oder hier:

und so wird die Lage in 30 Jahren aussehen:

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niemand sagt doch „lass uns nichts machen“ … die frage ist doch, was genau machen :slight_smile:

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Das große Problem ist doch, dass Pharmakonzerne gewinnmaxierend denken (und teils denken müssen) und dadurch nicht an den spannenden und wichtigen Themen der Menschheit forschen, sondern an denen die Profit versprechen. Wie könnte aus deiner Sicht im dezentralen/open source Ansatz ein Anreiz geschaffen werden?

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Wären Bakteriophagen etwas, das sich fürs Open-Source-Biohacking eignet? Diesen wird ja sehr viel zugetraut, aber die Rechtslage ist auch undeutlich bzw. in Europa soweit ich weiß nicht zugelassen.

Die Misere in der Medizin wird auf vielen Gebieten selbst im Deutschen Ärzteblatt offenkundig angeprangert.
Die Art und Weise wie Krankheiten bekämpft werden produziert weitere Krankheiten.
Ja, wir benötigen eine Entwicklung, die wirklich heilt.
Biohacking als eine Open-Source-Bewegung ist denkbar…

Meine Frage:
Wie könnte eine Strategie aussehen die bewirkt, dass die Behörden flexibler in der Anpassung der Regulierung werden? Haben wir es hier nicht auch mit dem Problem zu tun, dass die Lobbyisten der aktuellen Medizin- und Drogenindustrie die für uns so wichtige Flexibilität einer Anpassung in der Regulierung unmöglich machen, so lange das alles steuernde Kapital den Profit und die damit verbundene Macht und Gier regieren?

Der Vollständigkeit halber: Wurde via Linkedin auf Bart De Witte aufmerksam gemacht, der im Bereich AI das Thema „Open Source in der Medizin“ vorantreibt. Hier erklärt er, warum es gar keine Alternative dazu geben kann:

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Danke @Krischan, für das einleuchtende Video. Es ist selbstredend, dass seine Worte auf alle wissenschaftlichen Disziplinen angewandt werden müssen.
Wissen sollte jedem Menschen uneingeschränkt zugänglich gemacht werden - Wissen ist kein Eigentum…
Der Mensch ist in seinem Wesen Geist.

Hallo Florian, unulalu, lifequest und Krischan,
das verlinkte Video zeigt eine schöne Vision, die ich zwar für wünschenswert halte, aber für unwahrscheinlich. Ich möchte hier nochmal einen Punkt besser herausarbeiten:
Allein auf Gewinnmaximierung zu setzen führt zu Oligopolisierung und zu einem „Wegoptimieren“ der ursprünglich intendierten Leistung, Menschen tatsächlich zu heilen. Man muss sich fragen, wieso.

Meine Beobachtung ist, dass in den Pharmakonzernen seit den 1980er Jahren zunehmend die Wissenschaft, mit der man heilen kann in den Hintergrund gerückt ist, und das Geschäftemachen forciert wurde. Das hängt dann direkt mit internen Personalentscheidungen zusammen: Gibt es noch Wissenschaftler und Mediziner in den Führungsetagen? Ich weiß es nicht genau, es würde mich aber nicht überraschen, wenn die eigentlichen Erfinder von Medizin, Heiler und Innovatoren dort nicht mehr vertreten sind oder zumindest keine Mehrheit haben.

Nun bin ich ein Wissenschaftler und Biologe und ich sehe, dass die Art wie geheilt wird im Wesentlichen auf organisch-chemischer Synthese von kleinen Molekülen basiert, die man in aufwändigen Hochdurchsatzscreenings auf Wirksamkeit testet und in klinischen Studien auf Harmlosigkeit bzw. Nebenwirkungen abklopft. Ein Brute-Force Ansatz, der offenbar nicht mehr die gewünschten Wirkstoffe (bspw. Antibiotika) hervorbringt. Die Biologie ist aber programmierbar und sehr komplex. Sie hat mehr Ähnlichkeiten mit einem Computercode als mit Chemie. Daher komme ich zu dem Schluss, dass man aus den Erfahrungen der Programmierer lernen sollte, wie man robuste und komplexe Codes entwickelt, um diese dann zur Heilung einzusetzen.

Linux läuft heute auf über 99% aller Server und der Mehrheit aller Smartphones. Und es kostet nichts und wird permanent gewartet. Redhat, ein Service Dienstleister für Linux, hat uns gezeigt, wie man dennoch damit gutes Geld verdienen kann: Die Firma wurde letztes Jahr für 34 Milliarden USD an IBM verkauft. Open Source funktioniert also sehr gut in der IT. Wieso dann nicht auch in der Biologie?

Es geht mir in meiner Argumentation also weniger darum, die Erfinder und Geldgeber unseres zukünftigen Gesundheitswesens alle dazu zu verdonnern, rein altruistisch zu handeln, sondern die Vorteile der Biologie als Code zu erkennen, und dass wir einen andere Umgang und eine neue Regulierung benötigen, die dem gerecht wird. Das bisherige Pharmasystem hat sich in weiten Teilen überlebt und ich bezweifle, dass es sich an die neuen Möglichkeiten, mit Biologie zu heilen, effektiv anpassen kann. Wir brauchen neue Ideen und neue Firmen, in die investiert wird, die wachsen und gedeihen, aber so schnell nicht vergessen, was der Sinn ihres Wirtschaftens ist: Menschen zu helfen.

Hallo @rt1,
für so ganz unwahrscheinlich halte ich die Ideen im Video nicht, schon gar nicht unmöglich. Darin sind Ideen enthalten, die sehr brauchbar sind, ebenso brauchbar wie die in deinen Beiträgen enthaltenen Ideen.
Bringen wir das Brauchbare aus all diesen Ideen zusammen, dann finden wir das Brauchbare in seiner Fülle, worauf ein einzelner Mensch gar nicht alleine kommen könnte.
Bezahlbar muss in unserem System alles sein, nur darf die Gewinnmaximierung, wie du sagst, nicht alles überlagern.
Wie bekommen wir die Wissenschaftler in die Führungsebenen?

So, nach einer Woche geht unser Community-Interview zur Open-Source-Bewegung in der Pharmabranche zu Ende. Ich hoffe, es geht allen so wie mir: Habe echt viel gelernt durch eure Fragen und Rüdigers Antworten! Und verspreche hiermit, dass wir dem Thema Biohacking und Open Source treu bleiben werden.

Danke an @florian.kirchner @Daria @ChrisS @unulaunu @justherb @Michael @Ronit @lifequest und @Krischan für eure Fragen und Nachfragen! Und natürlich vielen Dank an dich, @rt1, dass du dir soviel Zeit genommen hast!

Wer sich selbst als Biohacker ausprobieren will: Rüdiger hat darüber auch ein spannendes Buch geschrieben!

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Und hier ein aktueller Fall wie eine Biohacking Community versucht eine spezielle Gentherapie, die 1Mn US Dollar pro Person kostet, für 7000 nachzubauen.

Das Transportprinzip ist anders, wodurch die niedrigeren Kosten möglich sein sollen. Statt mit Transporter-Viren, werden für die DNA Sequenzen, die in Zellen einzubringen sind, sogenannte „minicircles“ verwendet…

Spannend ist der Konflikt um das Verfahren, wie ich in den Diskussionen hier deutlich wurde; und das insbesondere der Gründer des Startups, das am Anfang der 1Mn USD Therapie stand, die Ansatz grundsätzlich unterstützendswert zu finden scheint, wobei Anwender klar dagegen sind.

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