In den 1920er Jahren entwarf ein Künstler und Ingenieur ein futuristisches Fluggerät, das heute als fliegende Untertasse bezeichnet würde. Er meldete es sogar zum Patent an. Als es in den USA zu einer Welle an UFO-Sichtungen kam, glaubte er, die Regierung hätte seine Idee gestohlen. Und tatsächlich ließ das US-Militär an Fluggeräten arbeiten, die seinen Entwürfen erstaunlich nahekommen.
Von Michael Förtsch
Es war ein heißer Sommertag, als der Farmer William Brazel auf einem Ausläufer der Foster Ranch etwas Merkwürdiges entdeckte. Über mehrere Kilometer verstreut, fand er Trümmer, die in der Sonne glänzten und glitzerten. Er machte sich zunächst nicht viele Gedanken darüber, informierte letztlich aber doch den Sheriff der Stadt Roswell, New Mexico über seinen Fund. Der wiederum kontaktierte den örtlichen Armeestützpunkt, der einige Soldaten schickte, um den Ort zu untersuchen. Nur wenig später, am 8. Juli 1947, veröffentlichte die US-Armee eine Presseerklärung, die rund um die Welt aufgegriffen wurde. Die US-Armee hat auf dem öden Landstrich eine „fliegende Scheibe“ geborgen. Eine Sensation, die kurz darauf von der Armee dementiert wurde. Es soll doch lediglich ein Wetterballon gewesen sein, der da bei Roswell niedergegangen ist, kein kreisrundes Fluggerät.
Dennoch wurden die fliegenden Scheiben zu einem Phänomen. Bereits zwei Wochen zuvor hatte ein Pilot namens Kenneth Arnold behauptet, er habe merkwürdige Flugobjekte gesehen, die „wie Untertassen auf dem Wasser“ durch die Luft gesegelt wären. Es folgten Dutzende von ähnlichen Meldungen in den Vereinigten Staaten, die bei Zeitungen und Polizeidienststellen eingingen. Zunächst an der Ostküste, dann plötzlich im ganzen Land sollen fliegende Scheiben gesichtet worden sein. Sie schienen überall am Himmel. Ebenso wie auf den Covern von Science-Fiction-Magazinen wie Amazing Stories und auf Illustrationen in Zeitungen. Im Rückblick wurde daher treffend von der 1947 flying disc craze gesprochen.
Einem Mann aus der Kleinstadt Carmel, Kalifornien, unweit des heutigen Silicon Valley, erschien all das ziemlich suspekt und irritierend. Denn er war zu diesem Zeitpunkt bereits seit Jahren von fliegenden Untertassen besessen – auch, wenn er selbst nie ein UFO am Himmel sah oder an außerirdische Wesen glaubte. Stattdessen hatte er solche fliegende Unterassen erfunden und sogar zum Patent angemeldet. Wirklich interessiert hat das jedoch über Jahrzehnte kaum jemanden. Erst vor wenigen Jahren wurden der Erfinder und seine futuristischen Visionen für eine Welt mit fliegenden Scheiben wiederentdeckt.
Der Mann aus Mojokerto
Als Alexander George Weygers im Jahr 1901 in Mojokerto, Niederländisch-Indien – dem heutigen Indonesien – zur Welt kam, war es mit dem Motorflug noch nicht weit hin. Der erste erfolgreiche Start der Gebrüder Wright lag noch ganze zwei Jahre in der Zukunft. Die Eltern von Weygers betrieben nahe Mojokerto eine Zuckerrohrplantage und ein Hotel und waren bemüht, ihrem Sohn eine möglichst gute Ausbildung zukommen zu lassen. Seine Mutter, die auch als Lehrerin tätig war, unterrichtete ihn in Sprachen wie Deutsch und Italienisch. Sein Vater brachte ihm die Botanik nahe. Im Alter von 15 Jahren schickten seine Eltern den jungen Alexander in die niederländische Heimat, um Schmiedekunst, Schiffs- und Maschinenbau, Malerei und Bildhauerei zu studieren. In den Niederlanden lernte er auch seine zukünftige Frau kennen, Jacoba Hutter, mit der er zunächst nach Java und 1926 in die Vereinigten Staaten zog.
In Seattle arbeitete Weygers als Ingenieur und technischer Zeichner. Die Stadt, die Mitte der 1920er bereits über 320.000 Einwohner hatte, machte Eindruck auf ihn. In dieser Zeit soll dem Maschinenbauer und Künstler erstmals die Idee für ein potentiell revolutionäres Fortbewegungsmittel gekommen sein: eine Flugmaschine, die die Art wie Städte funktionieren, vollkommen verändern könnte. Der sogenannte Discopter, wie ihn Weygers später nannte, sollte einer kreisrunden Schale gleichen, wie Zeichnungen in einem Skizzenbuch zeigen. Im Zentrum sollte unter einer Glaskuppel ein Pilot seinen Platz finden. Drum herum sollte ein komplexes System für Motoren und Rotoren verbaut sein.
Die großen Gebläse sollten Luft durch Öffnungen auf der Oberseite zum Boden hindurch saugen, wo sie mit hoher Geschwindigkeit ausgestoßen und mit schwenkbaren Leitwerken in verschiedene Richtungen geführt werden könnte. Mit diesem Antriebssystem sollte der Discopter vertikal starten und landen. Und präzise manövrierbar sollte er sein. Die fliegende Untertasse sollte „zwischen den Dächern hin und her sausen und auf speziell gefertigten Landeplattformen aufsetzen können“, heißt es in Dexter Starks Buch Tales of Extraordinary People.
Doch während seiner Zeit in Seattle traf Weygers plötzlich ein tragischer Schicksalsschlag, der sein Leben aus der Bahn warf. Seine schwangere Frau Jacoba und ihr freudig erwartetes Kind starben Ende September 1928. Bei der Entbindung des Säuglings kam es zu schweren Komplikationen. Es musste ein Kaiserschnitt durchgeführt werden, der zu einem massiven Blutverlust bei der Mutter führte. „Alles ist nun einfach furchtbar“, zitiert der Reporter Ashlee Vance einen Brief des Erfinders und Künstlers in einem Artikel von Bloomberg. Weygers verfiel in eine tiefe Depression.
Der Discopter
Nach seinem Verlust wollte Alexander Weygers nicht mehr an seine Ingenieursarbeit denken. Stattdessen wandte er sich der Kunst zu: Er malte, schuf Skulpturen und Plastiken. Außerdem ließ er Seattle hinter sich. Er reiste umher, lernte andere Künstler kennen, arbeitete mit ihnen, protokollierte auf Dutzenden Seiten seine Arbeitsprozesse und konnte mehrere seiner Werke in Museen in Washington, D.C. und Oakland ausstellen. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, meldete sich Weygers als Übersetzer zum Dienst in der Armee. Nach zwei Jahren wurde er 1943 vom Dienst freigestellt. Er verliebte sich erneut, heiratete und ließ sich anschließend sich in Carmel nieder, wo er auf einem kleinen Grundstück ein Haus errichtete – und zwar aus Holzbohlen, Ziegeln und anderen Materialien, die er geschenkt bekam, ertauschen konnte oder die weggeworfen worden waren.
Weygers entdeckte sein Interesse für den Maschinenbau und vor allem sein Discopter-Konzept wieder. Er sah das Fluggerät jetzt auch als Möglichkeit, im Krieg gegen die faschistischen Aggressoren zu kämpfen. Mit einem Discopter könnten Soldaten aus seiner Sicht schnell an die Front und hinter feindliche Linien sowie Verletzte in Sanitätsstationen gebracht werden. Und das sicherer und schneller als mit damaligen Helikoptern, die, wie er 1985 in einem Artikel des The Santa Clarita Valley Signal sagte, „wie Backsteine aus dem Himmel fallen“. Vor allem jedoch glaubte er, dass seine Erfindung die Welt näher zusammenrücken könnte. Einige seiner Tuschezeichnungen zeigen riesige fliegende Untertassen mit Platz für Hunderte Passagiere, die zwischen Metropolen der Welt und über die Ozeane fliegen sollten. Andere zeigen kleine Varianten der Maschine, die Mitfahrer erlauben, die an der Außenseite mit kleinen Kapseln andocken können. Auch Fracht- und Lastentransportfassungen sollte es geben, die ganze Häuser bewegen können.
Der Erfinder war überzeugt, dass seine Idee umsetzbar wäre. Aber er haderte mit dem Gedanken, sie einfach so bei einem der großen Luftfahrtkonzerne vorzustellen. Er fürchtete, seine Vision könnte gestohlen und missbraucht werden. Daher meldete er sie 1944 zum Patent an. Ein Jahr später wurde der Discopter unter der Nummer US516689A eingetragen. Anschließend wandte sich Weygers mit seinem Konzept, das nun nachweislich ihm gehörte, an die großen Namen der US-Fahrzeug- und Luftfahrtindustrie: United Aircraft, Ford und Northrop Aircraft etwa. Die Reaktionen fielen gemischt aus. Denn obwohl die Grundidee durchdacht und faszinierend erschien, fehlte dem Discopter so einiges für die praktische Umsetzung.
Weygers wusste etwa nicht, wie er den Discopter und seine kraftvollen Rotoren antreiben sollte. Ob es etwa Diesel-, Benzin-, Elektromotoren sein sollten – oder vielleicht etwas ganz anderes. Auch haderten einige der Ingenieure, die einen Blick auf seine Entwürfe warfen, mit dem Gewicht, das die Verschalung bedeuten würde, schreibt der Luftfahrthistoriker Kevin Desmond in Electric Planes and Drones: A History. Weygers sagte in späteren Interviews, dass er sicher war, dass sich während der Entwicklung schon Lösungen finden würden und jedes Jahr neue Technologien bekannt werden, die den Discopter möglich machen könnten. Dennoch: Abkaufen wollte ihm das Konzept keiner. Einige Unternehmen sagten frei heraus, dass sie die Idee blödsinnig finden. Nur die US-Armee war offenbar von seiner Vision fasziniert.
Ideenklau?
Unweit seines Hauses hatte Weygers eine alte Scheune zu einer Werkstatt umgebaut, in der er an seiner Kunst und seiner Discopter-Idee arbeitete. Wie weit er bei letzterem kam, ist nicht bekannt. Ein echtes Fluggerät oder ein Discopter-Modell in Lebensgröße war in seinem Nachlass nicht zu finden. Dennoch sollen immer wieder Militärentwickler angereist sein, um sich über seine Fortschritte zu informieren. Als ab 1947 über den ganzen USA plötzlich kreisrunde Fluggeräte zu sehen waren, hatte Weygers daher einen Verdacht: Seine Idee wurde gestohlen. „Es schien, als würde die ganze Welt plötzlich über fliegende Untertassen sprechen“, so der Erfinder in der Zeitung The Santa Clarita Valley Signal. Er glaubte, das Militär habe sein Patent kopiert und von anderen Luftfahrtkonzernen umsetzen und an die eigenen Anforderungen anpassen lassen.
Weygers ging mit seinem Verdacht an die Öffentlichkeit. Über mehrere Jahre versuchte er, Aufmerksamkeit für den Ideendiebstahl zu erzeugen – und bekam sie auch. Der Monterey Peninsula Herald schrieb am 12. April 1950, dass der „Discopter es womöglich ist, was Menschen zuletzt [am Himmel] sahen“. Im San Francisco Chronicle, der bereits mehrfach über Weygers künstlerische Arbeit berichtet hatte, hieß es, dass wahrscheinlich alle kreisrunden Fluggeräte in den USA und Übersee auf dem Entwurf des „modernen Leonardo Da Vinci“ basieren, der zurückgezogen und ohne elektrischen Strom lebt. Andere Zeitungen wie The Southern California Daily Trojan berichteten über das Patent, das angemeldet wurde, bevor fliegende Untertassen zu einem Phänomen wurden.
Das Militär wies die Vorwürfe von Weygers zurück. Er mochte der Regierung aber nicht glauben. Enttäuscht und desillusioniert gab er den Discopter bis Mitte der 1950 erneut auf, beschreibt Dexter Starks in Tales of Extraordinary People. Weygers widmete sich wieder der Kunst und begann mit Schmiedearbeit. Wie in Zeitungen aus der Region, um San Francisco nachzuverfolgen ist, stellte Weygers immer wieder bei kleinen Ausstellungen aus und hielt auch Vorträge und Workshops zu Bildhauerei oder auch dem Anfertigen von Werkzeugen. Dass er „eine fliegende Untertasse erfunden“ hatte, wurde dann und wann als amüsante Randbemerkungen eingeflochten. Doch sprechen wollte Weygers über sein Fluggerät offenbar nur noch selten. Zuletzt gab er 1985 ein Interview über das Patent. Vier Jahre später starb er.
Kommt die fliegende Untertasse noch?
Sowohl Alexander Weygers selbst als auch sein Schaffen wurden nach seinem zunehmenden Rückzug aus der Öffentlichkeit vergessen. Erst in den 2000ern wurden er und sein Werk wiederentdeckt. Der wohlhabende Kunstsammler Randy Hunter stieß auf den Nachlass und das einstige Heim des Künstlers und Erfinders. Er war fasziniert und begann umfassende Nachforschungen, wie Ashlee Vance in einem Artikel und einer Mini-Dokumentation für Bloomberg ausführt. Hunter widmete Weygner ein Privatmuseum mit Skulpturen und Zeichnungen und auf dem Grundstück ließ er seine einstige Werkstatt restaurieren. Den zwischenzeitlich verstorbenen Sammler faszinierte auch, wie prophetisch und vorausschauend der Discopter des eremitischen Bastlers heute erscheint. Und wie verständlich im Rückblick seine Mutmaßungen wirken, dass jemand seine Idee geklaut haben könnte. Denn das US-Militär ließ gleich mehrere Firmen an erstaunlich ähnlichen Vehikeln forschen.
Die US Army hatte unter anderem den Fahrzeugbauer Chrysler beauftragt, eine Art „fliegenden Jeep“ zu bauen. Der Chrysler VZ-6, der sich mit zwei riesigen Rotoren in die Höhe heben sollte, kam aber nie über einen wackeligen Prototypen hinaus. Auch andere Projekte wie der VZ-8 Airgeep von Piasecki Aircraft gelten als Misserfolg. Als legendärer Reinfall erwies sich ebenso der Plan des kanadischen Flugzeugbauers Avro Canada eine echte „fliegende Untertasse“ zu bauen. Der Entwurf war nicht von Weygers geklaut, sondern ging auf den britischen Ingenieur John Frost zurück. Ein riesiges Gebläse und eine Turbine sollten die Scheibe durch einen starken Luftstrahl vom Boden hieven, der durch einen Spalt zwischen Ober- und Unterseite geleitet wurde. Höher als knapp einen Meter kam das sogenannte Avrocar aber nie.
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Jetzt Mitglied werden!Unabhängig vom US-Militärapparat arbeite auch der kanadische Erfinder Paul Moller über mehrere Jahrzehnte an fliegenden Autos. Mal in Form einer fliegenden Untertasse, die mal mit zwei großen, mal mit zahlreichen kleinen Rotoren gespickt war, die von Wankelmotoren befeuert wurden. Später in Form eines futuristischen Flugzeugrumpfes mit Kipptriebwerken. Schweben konnten seine Prototypen, aber fliegen nicht. Heute wiederum arbeiten weltweit Dutzende von Start-ups an vor allem elektrischen Fluggeräten, die den Verkehr revolutionieren sollen. In einer Weise, die von den Visionen von Weygers manchmal nicht so weit entfernt sind.
Das einst als Kitty Hawk gestartete Unternehmen Wisk stellte erst Ende 2022 ein autonomes Flugtaxi vor, das Passagiere über weite Strecken transportieren soll. Die Firma Opener arbeitet mit Blackfly an einer lenkbaren Freizeitdrohne, die bereits 5.000 Flüge hinter sich haben und wohl 2023 in den Verkauf gehen soll. Und die deutsche Firma Volocopter baut an Helikopter erinnernde Passagiertransporter, die von zahlreichen Propellern angetrieben werden – und bereits erfolgreich Testflüge absolvierten. Sie sollen bei Rettungseinsätzen genutzt werden und Passagiere in absehbarer Zukunft von Flughäfen und ländlichen Gegenden direkt auf Landeplattformen auf Hochhäusern in den Metropolen bringen.
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