5. März 2025
Was sind eigentlich Arkologien – und wären sie die besseren Städte?

Der Platz wird knapp, aber die Weltbevölkerung wächst weiter. Unsere Städte können jedoch nicht ewig weiter wachsen. Eine Lösung sollen Arkologien sein – riesige Gebäude, die Tausende oder gar Millionen Menschen beherbergen und sich komplett selbst versorgen. Doch woher kommt diese Idee und wie realistisch ist sie?
Von Michael Förtsch
Städte sind merkwürdige Gebilde. Sie beginnen mit ein paar Gebäuden und Straßen und wachsen dann zu Tintenflecken auf der Landkarte heran, die langsam aber sicher mit der umgebenden Landschaft verschmelzen. Es entsteht eine wilde Mischung aus Menschen, Architekturen, Kulturen und Gesellschaften. Und genau das macht sie so faszinierend, pulsierend und anziehend – weshalb immer mehr Menschen dorthin ziehen. Gleichzeitig sind moderne Städte aber auch hochgradig ineffizient und in ihrem Wachstum schwer zu kontrollieren. Sie zerstören die Umwelt und sind kaum in der Lage, die Bedürfnisse aller Bewohner zu befriedigen.
Großstädte bedecken nur ein Prozent der Erdoberfläche, verbrauchen aber 75 Prozent der Energie und verursachen 80 Prozent der CO2-Emissionen. Das schreibt das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Schon heute lebt die Hälfte der Menschheit in Städten – Tendenz steigend, was die Versiegelung des Bodens, Zerstörung von Wäldern, dem Klimawandel und damit auch das Aussterben von Tierarten vorantreibt. So geht es immer weiter – das ist der Trend –, aber sollte es nicht.
In den vergangenen Jahrzehnten haben Aktivisten und Planer daher immer wieder geurteilt, Städte seien wie Krebsgeschwüre, die die Erde und ihre Bewohner langsam auffressen. Doch was wäre eine bessere Lösung, um Hunderttausende oder gar Millionen von Menschen zu beherbergen und ihnen ein Zuhause zu geben? Verschiedene Futuristen, Science-Fiction-Autoren, aber auch Architekten sehen die Antwort in Arkologien. So nennt man Gebäudekomplexe von geradezu irrwitzigen Ausmaßen, deren Machbarkeit sowohl die Architektur als auch die Ingenieurskunst an ihre Grenzen treiben würde. Aber machbar wären sie.
Radikaler Neustart des Urbanismus
Mitte des letzten Jahrhunderts war es zeitweise en vogue, auf die Stadt zu schimpfen. Der gefeierte Stararchitekt Frank Lloyd Wright hatte dies fast zu einer Kunstform erhoben: Er empfand Städte als hässlich, unordentlich, überfüllt. Kurz: als totale Zumutung, die das ästhetische Empfinden und den Habitus des Menschen vergiftet – er war einer derjenigen, die den Krebsvergleich aufbrachten. Im Radio und in Zeitungsinterviews ließ er seinem Hass auf die Großstadt freien Lauf und schlug sogar vor, Metropolen wie New York City einfach in die Luft zu sprengen, um noch einmal von vorne anzufangen – diesmal mit großen Grundstücken und kleinen Häusern. Weit weniger lautstark, aber umso tiefgründiger argumentierte damals der in Turin geborene Architekt Paolo Soleri gegen urbane Gebilde.
Er sah die Städte als Organismen, die mit zunehmender Größe und immer mehr Einwohnern auf einen unvermeidlichen Infarkt zusteuern. Vor allem Autos und Straßen identifizierte er als zu fragile Strukturen. „Wenn wir bei der autobasierten Logistik bleiben, wird die urbane Mobilität gelähmt – mit hohen wirtschaftlichen und menschlichen Kosten“, sagte Paolo Soleri 1969, wie in Conversations with Paolo Soleri nachzulesen ist. „Das vorstädtische Logistiknetz ist verkrustet und, schlimmer noch, verdammt“. Wenn der Verkehr erst ins Stocken geriete und dann zum Erliegen käme, so glaubte er, würden die Städte zusammenbrechen. Damit sah er voraus, was heute in Megastädten wie Los Angeles passiert. Dort stehen Autofahrer jeden Tag durchschnittlich 44 Minuten im Stau.
Aber Soleri wandte sich nicht nur gegen die Städte. Er präsentierte auch eine Alternative: die Arkologie, eine Verschmelzung von Architektur und Ökologie, die er in seiner Abhandlung Arcology: The City in the Image of Man beschrieb. In diesem Werk, das erstmals 1969 veröffentlicht wurde, skizziert er eine hypothetische Zukunft, in der die Erde zunehmend von den traditionellen Städten verschlungen wird, in der sie zu kollabieren droht und in der seine Arkologien schließlich den einzigen Ausweg und eine neue Lebensweise bieten. Tatsächlich sah er in seinen Arkologien nicht weniger als einen radikalen Neustart des Urbanismus, als Kur gegen das „urbane Desaster“ und einen Weg hin zu einem guten Leben ohne Auto und ohne Wachstum, das die schädlichen Auswirkungen auf die Umwelt auf ein Minimum reduziert.
,,Meine Lösung ist eine urbane Implosion statt einer Explosion.
Paolo Soleri
Das alles sollte erreicht werden, indem Wohnen, Arbeiten, Leben und landwirtschaftliche und industrielle Produktion in einer kompakten und klar definierten Struktur mit klaren Grenzen untergebracht werden; eine Struktur, die ein ausgewogenes Gleichgewicht fördert. Dadurch soll eine abgeschlossene, harmonische und autarke Gemeinschaft entstehen, die in der Lage ist, sich selbst zu versorgen.
Schwimmstädte und Experimentalgemeinden
Die Vorstellungen von Soleri, wie eine solche Arkologie aussehen könnte, waren vielfältig – und für die unterschiedlichsten Umgebungen und Einwohnerzahlen ausgelegt. Sein bekanntester Entwurf wurde das Hexahedron, zwei gegeneinander verdrehte Pyramiden, die auf riesigen Pfeilern ruhen sollten. Das zwischen 915 und 1.100 Meter hohe Gebäude sollte in New York gebaut werden. In der oberen Pyramide sollte es unzählige Wohnbereiche für bis 170.000 Menschen geben, zwischen den beiden Pyramidenteilen einen Park mit Promenade, Hubschrauberlandeplätzen und darunter Kultur-, Geschäfts- und Arbeitsbereiche. Alles zu Fuß erreichbar. In wenigen Minuten. „Jeder Mensch sollte das Zentrum seiner eigenen Metropole sein“, lautete Soleris Motto. Das Hexahedron sollte aber keine Erweiterung von New York City sein, sondern ein Ersatz der wuchernden Megametropole.
Mit den Novanoah-Projekten entwarf Soleri erneut Städte aus Kreis- und Blütenstrukturen, die in Buchten wie der von Tokio verankert werden oder „mit den Strömungen treiben oder sich langsam auf kurzen oder langen Reisen, je nach Jahreszeit, treiben lassen“. In den imaginären Blattabschnitten sollten Wohn- und Arbeitsbereiche, Gewächshäuser und Geschäftszeilen definiert werden. Geometrisch angeordnete Wege sollten Erholungspassagen und soziale Zentren darstellen. In der Mitte sollte es einen tiefen Schacht für die verarbeitende Industrie geben, die beispielsweise Algen oder Rohstoffe aus dem Meer gewinnt. 400.000 bis über 2,5 Millionen Menschen sollten in diesen Städten leben können, die von einer scharfen Grenze abgeschlossen werden sollten.
Das Projekt Stonebow sollte hingegen als eine Spangenstruktur angelegt sein, die sich wie ein Betonriegel über eine Schlucht hinwegzieht. In der Mitte sollte ein riesiges Touristenparadies entstehen, ringsherum Dutzende von Stockwerken mit Arbeits- und Wohnbereichen für 200.000 Menschen, dicht an dicht. Mit dem Arcube wiederum wollte er einen riesigen Hohlwürfel auf die Beine stellen, der Lebens- und Arbeitsraum für 400.000 Menschen schaffen sollte. Die Heimat dieser Megastruktur sah er in Chicago.
Das Projekt Arcoindian I sah dagegen Hochhäuser in natürlichen und künstlichen Höhlen für 10.000 bis 20.000 Menschen vor. Und mit der Lean Linear City stellte sich Soleri für das sich damals bereits dem Westen öffnende China eine Stadt in Form einer Schlucht vor. Eine Seite sollte dem Wohnen dienen, die andere dem Anbau von Pflanzen und der Produktion von Nahrungsmitteln. Solar- und Windkraftanlagen auf den Dächern sollten für Energie sorgen. Parks und ein künstlicher Fluss sollten das Zentrum durchziehen. Für die lange Strecke vom Anfang bis zum Ende wäre eine Schnellbahn direkt in die urbane Megastruktur integriert worden.
Die Entwürfe des 2013 verstorbenen Soleri sind bis heute visionär, seine Zeichnungen utopischer Städte beeindruckende Kunstwerke. Gebaut wurde jedoch keine davon. Denn Soleri konnte weder Politiker noch potenzielle Geldgeber überzeugen – auch weil man damals an der technischen Machbarkeit der Megaprojekte zweifelte. Solari setze Technologie-, Materialien und Baumethoden voraus, die erst Jahrzehnte später Realität wurden.
Aus diesem hat Soleri selbst die Experimentalstadt Arcosanti ins Leben gerufen. Sie ist quasi eine Miniaturausgabe oder ein proof of concept seiner Vision, die er zunächst für 1.500, später für 5.000 Einwohner plante. Seit 1970 wird sie von jeweils 50 bis 150 Anhängern des Architekten im Yavapai County, Arizona, schrittweise realisiert – in Handarbeit. Nach und nach entstehen Häuser, Plätze, Arbeitsplätze und Felder. Bis heute sind jedoch kaum mehr als fünf Prozent des Plans verwirklicht, der vorsieht, dass alle Teile eines Tages zu einer durchgängigen und wundervoll symmetrischen Struktur zusammenwachsen. Teilnehmer des Projektes gehen davon aus, dass es selbst mit schwerem Gerät mindestens ein Jahrzehnt in Anspruch nehmen würde, Arcosanti zu vollenden.
Von Soleris Vision einer Arkologie ist Arcosanti also noch weit entfernt. Stattdessen ist es heute vor allem ein Pilgerort für Architekten, Kreative und Lebenskünstler – und ein Hort abstrakter, esoterischer und philosophischer Ideen, denen Soleri in seinen letzten Lebensjahren immer mehr nachhing. Ohnehin hat sich die Vorstellung davon, was eine Arkologie sein sollte, in den letzten Jahrzehnten – nicht zuletzt durch Popkultur und Science Fiction – gewandelt und zugespitzt.
Die ganze Stadt in einem Haus
Einige von Paolo Soleris Entwürfen für urbane Megastrukturen erstreckten sich weit in die Fläche, kaum in die Höhe, sind offen und luftig. Sie würden heute wohl nur noch bedingt als Arkologie durchgehen. Denn auch wenn es keine eindeutige Definition des Begriffs Arkologie gibt, so werden darunter in der Moderne vor allem Bauprojekte verstanden, die auf gigantische, autarke und abgeschlossene Gebäude abzielen, die eine ganze Stadtbevölkerung aufnehmen. Nahezu alles wird im Gebäude produziert, verarbeitet und entsorgt – Strom, Nahrung, Wasser, Müll. Die Bewohner müssen die Arkologie theoretisch nie verlassen, um ihrem Leben nachzugehen.
Seit den 1980er und 1990er Jahren gab es immer wieder Anstrengungen, eine solche moderne Arkologie zu errichten. Zum einen, um die Machbarkeit zu testen. Vor allem aber, um dem Platzhunger der Städter und dem schwindenden Land in und um die großen Metropolen Herr zu werden. So war es vor allem die Inselnation Japan, in der die Idee auf breite Resonanz stieß und zeitweilig sogar von einer Forschungsgruppe, der Hyper Building Study Group, vorangetrieben wurde.
Schon 1980 entwickelte das Bau- und Ingenieurunternehmen Taisei Corporation, beflügelt durch den Wirtschaftsboom, Pläne für den X-Seed 4000. Es sollte ein 4.000 Meter hoher Turm mit einem Grundriss von fast 6.000 Metern in der Bucht von Tokio werden, der die Form des Berges Fuji nachbilden sollte. Insgesamt eine Million Menschen sollten darin Platz finden. Diese sollten auf 800 Stockwerken entlang der Außenwände des Bauwerks leben. Das Innere des Turms sollte weitgehend hohl sein, um in riesigen Atrien Parks, Plätze, Felder und kleine Wälder einzufassen. Doch auch hier waren es statische Unmöglichkeiten, der Mangel an belastbaren Baustoffen und die später wankende Wirtschaft, die dem Traum einen Strich durch die Rechnung machten.

Mitte der 1990er Jahre bildete sich ein Konsortium aus 75 Unternehmen, das den damals bereits 77-jährigen Paolo Soleri mit der Planung eines Hochhauses beauftragte. Soleri entwarf daraufhin das sogenannte Hyperbuilding, einen Kilometer hohen Wolkenkratzer, der rund 100.000 Menschen Platz bieten sollte. Der Koloss, bestehend aus einem zentralen Turm, zahlreichen Stützen und einem riesigen Portal, sollte gemäß seinen Entwurfsprinzipien alle Abwässer und Abfälle in unterirdischen Anlagen recyceln. Seine Bewohner hätten in Gewächshäusern in einem gläsernen Zentrum ihr eigenes Obst und Gemüse anbauen können. Der Strom- und Wärmebedarf sollte durch Solarzellen und Windturbinen gedeckt werden. Bei guter Wartung, das sagte Soleri voraus, könne das Hyperbuilding mindestens 1.000 Jahre lang überdauern und genutzt werden. Die japanischen Unternehmen waren drauf und dran, das Projekt voranzutreiben, doch dann schlitterte Japan in eine Rezession.
Nach den wirtschaftlichen Turbulenzen der 1990er stellte die Shimizu Corporation Anfang der 2000er Jahre ihren Entwurf für die Shimizu TRY 2004 Mega-City Pyramid vor, die in der Nähe von Tokio errichtet werden sollte. Es ein Plan für eine gigantomanische Pyramidenfachwerkkonstruktion aus verschachtelten Rohren, die innerhalb der Hauptkonstruktion 204 kleinere Pyramiden bilden sollten. Auf insgesamt acht Etagen von je 250 Metern Höhe sollten Wohnpyramiden und Bürotürme, Erholungs- und Industriebereiche untergebracht werden. Bei einer Höhe von 2.004 Metern und einer Grundfläche von acht Quadratkilometern, so errechneten die Konstrukteure, wäre Platz für 750.000 Menschen gewesen.
Für den Transport innerhalb der Pyramidenkonstruktion waren Laufbänder, Rolltreppen und Aufzüge vorgesehen, die in den Röhren fahren sollten. Strom sollte aus gigantischen Solarfenstern, Unterwasserturbinen und Gezeitenkraftwerken gewonnen werden. Doch Shimizu machte bei der Vorstellung der Pläne gleich klar, dass der Bau mit heutigen Baustoffen noch nicht möglich sei. Man brauche Kohlenstoff-Nanoröhren und ähnlich fortschrittliche Materialien. Deshalb wurde der Baubeginn schon damals auf frühestens 2030 kalkuliert und inzwischen auf das nächste Jahrhundert verschoben.
Außerhalb Japans war die Zahl der archäologischen Projekte nicht ganz so groß, aber nicht weniger kühn und ehrgeizig. So warb der amerikanische Architekt Eugene Tssui, der organische Gebäude wie die Watsu School in Harbin Hot Springs entworfen hatte, 1991 für den Ultima Tower, den er in San Francisco errichten lassen wollte. Der trichterförmige Turm sollte ganze 3.218 Meter hoch und an der Basis halb so breit werden. Die Einwohnerzahl? Eine Million Menschen. Doch Tssui wollte nicht nur Wohnungen, Büros und Geschäfte in diesem Bauwerk unterbringen, sondern ganze Landschaften mit Flüssen und Hügeln, auf denen diesen Umgebungen entsprechende Gebäude errichtet werden sollten.

Energie sollte sowohl durch die Veränderung des Luftdrucks von der Spitze zur Basis als auch durch riesige Photovoltaikanlagen, die sich über den gesamten Turm erstrecken sollten, erzeugt werden. Für Mobilität sollten Aufzugssysteme und kleine Elektrofahrzeuge sorgen. Langfristig, so die Hoffnung, könnte der Ultima Tower eine Vielzahl kleiner Ökosysteme und Minigesellschaften beherbergen, die alle völlig autark existieren könnten. Der Plan erregte damals wegen seines utopischen Charakters einiges Aufsehen. Die Realisierbarkeit der Pläne wurde jedoch heftig bestritten.
Fast bescheiden wirken da die Dimensionen von E. Kevin Schopfers Entwürfe für New Orleans und Boston. In New Orleans wollte der Architekt Ende der 2000er auf einer schwimmenden Plattform eine 366 Meter hohe Dreieckskonstruktion aus Stahl und Glas errichten, die 40.000 Menschen Platz bieten sollte. Mit der Boston Arcology wiederum wollte er einen Glasquader für 15.000 Menschen bauen, den er 2010 vorstellte. Windturbinen, Solarenergie und Kläranlagen sollten für eine annähernde Selbstversorgung sorgen. Diese Arkologien sollten keine völlig hermetischen Stadtsysteme sein, sondern vielmehr separate Stadtteile sowie Touristen- und Besuchermagneten mit Hotels und Casinos, die auch im Falle einer Katastrophe oder eines steigenden Meeresspiegels bestehen bleiben könnten.

Ist das Konzept der Arkologie gescheitert?
Wie einst bei den Ur-Arkologien von Paolo Soleri ist also auch aus den obigen Plänen nichts geworden – außer beeindruckenden Bildern und großen Zahlen. Denn: Sie waren zu groß, zu teuer oder architektonisch und statisch (noch) nicht realisierbar. Ähnlich verhält es sich mit vielen anderen Bauprojekten, die dem Gedanken der Arkologie zwar nicht ganz, aber doch einigermaßen nahekommen sollten.
Zum Beispiel der 450 Meter hohe Glaspalast Crystal Island in Russland, der Schulen, Hotels, Wohnungen und vieles mehr unter einem riesigen Dach vereinen sollte. Seit der Finanzkrise von 2009 liegt die einst mit Nachdruck verfolgte Idee aber auf Eis. Dann wäre da noch Masdar City, eine utopische Ökostadt in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Der Bau hat begonnen, Menschen leben und arbeiten dort, Studenten besuchen eine Universität. Aber es ist fraglich, ob die Stadt über die bisher existierenden Gebäude, hinauskommen wird. Ähnlich erging es dem vergleichbaren Ökostadt-Projekt Dongtan, das zur Expo 2010 in China eröffnet werden sollte – und nun von den Bauherren totgeschwiegen wird.
Das wohl spektakulärste moderne Arkologie-artige Bauprojekt ist The Line, Teil des riesigen Neom-Plans, das in Saudi-Arabien entsteht. Dabei handelt es sich um eine als gerade Linie geplante Stadt, die aus zwei parallelen, durch Brücken und Fundamente verbundenen Hochhäusern mit einer Höhe von 500 Metern besteht. Schnellbahnen und Aufzüge sollen für Mobilität sorgen. Die gesamte Anlage soll mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Ursprünglich sollte die Linie 170 Kilometer lang werden. Inzwischen sind die Pläne jedoch eingedampft worden. Bis 2030 sollen 2,4 Kilometer fertiggestellt werden – immerhin genug Platz für 300.000 Menschen. Und tatsächlich: Der Bau läuft. Wobei viele Architekten weiterhin an der Umsetzbarkeit zweifeln.

Ohnehin sind nicht wenige Stadtplaner und Architekten davon überzeugt, dass schon rein rechnerisch die meisten Arkologien langfristig und auf sich allein gestellt nicht überlebensfähig wären. Die Einwohnerzahlen wären zu gering, um einen nachhaltigen und genetisch vielfältigen Bevölkerungsstamm zu kultivieren. Für eine stabile Nahrungs- und Energieproduktion stünde zu wenig Fläche zur Verfügung. Denn um einen Menschen zu versorgen, bräuchte man selbst mit modernen Hydrokulturen und Bioreaktoren durchgängig zwischen 200 und 300 Quadratmeter. Um diese zu betreiben, bräuchte man wiederum nicht nur regenerative Energien, sondern wohl Atomreaktoren, die rund um die Uhr den nötigen Strom liefern. So wie sie bislang konzipiert sind, wären Arkologien daher keine Gebäude der Zukunft, sondern eher vorprogrammierte humanitäre Katastrophen.
Natürlich gibt es auch Ausnahmen. Die Shimizu Corporation, die hinter der Riesenpyramide steht, hat vor einigen Jahren auch Green Float entworfen, Städte mit 10.000 bis 50.000 Einwohnern auf dem Meer, die in Form riesiger Türme schwimmen und sich ebenfalls komplett selbst versorgen sollen. Die 1.000 Meter hohen Türme sollen fast vollständig aus Garten-, Wiesen- und Waldflächen bestehen. Nur der obere Teil ist als Wohnraum für die Bewohner vorgesehen. Doch auch dieser Entwurf wird wohl nie Wirklichkeit werden – auch wenn er in der Realität funktionieren könnte.
Science-Fiction-Visionen und Warnungen
Was einer Arkologie heute am nächsten kommt, ist ironischerweise ein wenig glamouröser, ja anti-utopischer Wohnblock in Whittier, Alaska. Im Begich Towers Condominium wohnt nämlich fast die gesamte 208-köpfige Bevölkerung der abgelegenen Hafen- und Umschlagstadt. Dementsprechend sind auch fast alle Dienstleistungen und Versorgungseinrichtungen unter dem Dach der Türme untergebracht. Dazu gehören zwei Geschäfte, eine Kirche, ein Krankenhaus, eine Polizeistation, ein Hotel, ein Spielplatz, ein Garten und ein kleines Schwimmbad. Die Schule grenzt direkt an die Begich Towers und ist durch einen unterirdischen Tunnel zu erreichen – denn im Winter liegt hier bis zu sechs Meter Schnee. Aber eine echte Arkologie ist das natürlich trotzdem nicht.
Letztlich existieren Arkologien daher also bisher nur als Konzepte sowie in der Popkultur und der Science Fiction, wo sie oft nicht nur Handlungsort, sondern auch Gedankenspiel sind. In Larry Nivens Roman Todos Santos verkauft die Stadt Los Angeles ein nach einem Aufstand brachliegendes Katastrophengebiet an einen Baukonzern, der dort eine riesige Arkologie errichtet. Die Menschen, die dort einziehen, leben gut und billig – und entwickeln eine ganz eigene Kultur, die mit der jenseits der Mauern nur noch wenig zu tun hat. Zwischen Verwaltern und Bewohnern entsteht ein halbfeudales Verhältnis, das von gegenseitiger Fürsorge, aber auch von allgegenwärtiger Überwachung geprägt ist.

In der Neuromancer-Trilogie von William Gibson sind Arkologien weniger ökologische Lebensräume oder Orte neuer Gesellschaftsmodelle als vielmehr Herrschaftsinstrumente mächtiger Megakonzerne. Sie wurden gebaut, um den Regierungen und ihrer Exekutive zu entkommen. Denn in den Arkologien gelten keine Gesetze, sondern Unternehmensrichtlinien, die von Privatpolizeien und Privatarmeen durchgesetzt werden. Mitarbeiter können überwacht, festgehalten und abgeurteilt, unethische Forschungsexperimente durchgeführt und Verbrechen unbemerkt vertuscht werden. Es sind Staaten im Staat.

Darüber hinaus sind Arkologien auch in den Kulissen des Science-Fiction-Kultklassikers Blade Runner, des Pen & Paper-Rollenspiels Shadow Run und des Ego-Shooter-Rollenspiels Deus Ex zu finden. Am bekanntesten wurde das Konzept aber wohl durch das bereits 1993 erschienene Computerspiel Sim City 2000. Hier können Arkologien gebaut werden, wenn die Einwohnerzahl der Stadt eine kritische Grenze überschreitet. Dabei steht nicht nur eine Art von Arkologie zur Auswahl, sondern verschiedene Ausprägungen. Das kann eine grüne Utopie sein, eine seelenlose Wohnmaschine oder eine biomechanische Dystopie, in deren Lüftungsschächten eine gefährliche Kreatur herumkriecht.

Es ist vielleicht etwas überspitzt, aber dennoch dürfte die Darstellung in Sim City 2000 der denkbaren Realität recht nahe kommen. Denn selbst wenn die architektonischen, finanziellen und technischen Hürden überwunden wären, bliebe es letztlich ein Glücksspiel, ob eine Arche funktioniert und wie sie sich auf ihre Bewohner auswirkt. Die Baumeister setzen darauf, dass sich innerhalb des Wohnkolosses ein Gleichgewicht einstellt – nicht nur zwischen den Bedürfnissen der Bewohner und dem, was die Arkologie an Versorgung, Nahrung, Lebensraum und Katharsis bieten kann. Sie würden auch auf ein friedliches Gleichgewicht zwischen den Bewohnern selbst setzen, die in einer Menge auf konzentriertem Raum zusammenleben würden, wie es vorher nicht möglich war.
In der Tat könnten harmonische Zustände, eine neue Art des Zusammenlebens entstehen. Es ist aber auch denkbar, dass die Arkologien in Chaos und Unruhe versinken. Denn es lässt sich nicht sagen, was passiert, wenn Menschen in abgeschlossenen Strukturen zusammengepfercht werden. Ähnlich wie in High-Rise, einem Roman von James Graham Ballard, in dem die Bewohner eines High-Tech-Wolkenkratzers nach Stromausfällen und Lebensmittelknappheit allmählich in Wahnsinn und Anarchie verfallen. Die dritte Option wäre eher langweilig: Arkologien könnten, falls und wenn sie jemals Realität werden, einfach ziemlich große Wohnhäuser sein, in denen das Leben weitergeht wie bisher.
Teaserbild: Cosanti Foundation

Michael Förtsch
Leitender Redakteur
Weiter bei 1E9...

Überschrift 3
Cooler Artikel!

Überschrift 3
Artikel

Überschrift 3
Cooler Artikel!

Überschrift 3
Cooler Artikel!