21. April 2025
Digitale Souveränität: Die EU braucht Alternativen zu Google, Microsoft und OpenAI

Die großen Technologie- und Internetkonzerne haben gezeigt, dass sie sich dem Willen der Trump-Administration beugen. Das sollte der Europäischen Union verdeutlichen, wie dringend sie im Digitalen mehr Unabhängigkeit und Souveränität braucht. In einigen Fällen ist dies bereits möglich – weil es EU-Alternativen gibt. In anderen Bereichen muss noch viel getan werden, um unabhängiger zu werden.
Ein Kommentar von Michael Förtsch
Die Europäische Union muss mehr Selbstständigkeit und Souveränität entwickeln. Sie muss und kann selbst zu einem Innovator und einer treibenden Kraft werden. Das haben wir – und auch andere – in den vergangenen Jahren immer wieder postuliert. Vor allem in Bezug auf Künstliche Intelligenz. Denn bei dieser immer bedeutender werdenden und sämtliche Lebensbereiche durchdringenden Technologie haben die USA eine Vorreiterrolle inne, die mit Macht und Einfluss einhergeht – erschüttert bislang nur von China. Diese Realität hat die EU mittlerweile erkannt und will Milliarden in die Entwicklung eigener KI-Modelle und Betriebskapazitäten investieren. Doch wie sich immer deutlicher zeigt, wird das nicht ausreichen. Die Länder, die sich als europäische Nationen verstehen, müssen insgesamt digital unabhängiger und souveräner werden. Denn auf die Vereinigten Staaten als Freund und Verbündeten ist offenbar kein Verlass mehr, warnen Polit- und Gesellschaftsexperten – die Abhängigkeit von ihnen ist jedoch weiterhin groß.
Sowohl Software, Hardware als auch digitale Dienste großer US-Tech-Konzerne sind tief in unseren Alltag und unsere Arbeitswelt verwoben. Wie stark diese Verflechtung wirklich ist, zeigt sich meist erst, wenn man bewusst versucht, darauf zu verzichten – wie etwa Daniel Koller kürzlich in einem Selbstexperiment für Der Standard. Das Smartphone? Egal ob iPhone oder Android-Gerät – deren Betriebssystem: aus den USA. Auf dem Rechner? Bei den meisten: Windows, klar – von Microsoft in Redmond. E-Mail-, Karten- oder Kalenderdienste? Auch hier setzen viele auf Google oder Microsoft. Die Suche? Google, Microsoft mit Bing oder neuerdings Perplexity. Und bei KIs? Da dominieren OpenAI, Anthropic und Google mit großem Abstand. Die tägliche Dosis Social Media? Kaum jemand kommt an Instagram, Reddit, X oder Bluesky vorbei – die Liste ließe sich problemlos erweitern. Lediglich TikTok stammt nicht aus den USA, sondern – juristisch gesehen – von den Cayman Islands, ist aber in chinesischer Hand.
Wie die Gesellschaft für Informatik kritisiert, versuchen derzeit vor allem große Anbieter wie Microsoft, Amazon, Oracle und Google, die wachsende Skepsis mit geschicktem Framing zu entkräften. Sie präsentieren ihre Cloud-, Computing- und anderen Dienste zunehmend als „souverän“, weil diese zum Beispiel auf Servern in der EU oder mit Open-Source-Software betrieben werden. Doch diese Unternehmen unterliegen weiterhin – teils offen, teils indirekt – gesetzlichen Verpflichtungen gegenüber US-Behörden und Geheimdiensten. Dadurch macht sich die EU angreifbar, abhängig und im Ernstfall erpressbar. Denn bei geopolitischen Konflikten könnten Dienste abrupt eingeschränkt werden und sensible Daten trotz gegenteiliger Zusagen auf US-Servern landen – womöglich auch für nachrichtendienstliche Zwecke oder Industriespionage. Besonders brisant wird das unter einer unberechenbaren US-Regierung wie der aktuellen.
Projekte ohne Lösungen?
Über Jahre hinweg hat es die Europäische Union versäumt, mit Nachdruck eigene digitale Lösungen und Alternativen zu US-Diensten aufzubauen und gezielt zu fördern. Zwar gab es Projekte wie Quaero, das Mitte der 2000er mit EU-Geldern finanziert wurde und eine Art europäisches Google hervorbringen sollte. Oder GAIA-X, ein 2019 vorgestelltes Vorhaben zum Aufbau einer „leistungs- und wettbewerbsfähigen Dateninfrastruktur für Europa“ – von dem aber wohl die wenigsten je gehört haben. Seit der Ankündigung wurden bei GAIA-X nur einige wenige Spezifikationen verabschiedet, und Teilnehmer wie Nextcloud oder Scaleway sind entnervt ausgestiegen. Der Grund: Vom ursprünglichen Ziel, eine europäische Cloud-Alternative zu schaffen, sei kaum noch etwas übrig – schon alleine weil neben EU-Unternehmen auch Amazon Microsoft und Google beteiligt sind.
Dass Europa keinerlei Alternativen zu den US-Dominatoren bietet, stimmt jedoch auch nicht – wie etwa die Website European Alternatives zeigt. Dort lassen sich gezielt europäische Gegenstücke zu Microsoft Office, Google, Gmail, Microsoft Teams, Slack, Dropbox, GitHub und weiteren finden. Manche dieser Dienste sind durchaus konkurrenzfähig, einige sogar besser, datensparsamer und sicherer als die US-Vorbilder. Insbesondere mit E-Mail-Diensten wie ProtonMail aus der Schweiz oder Posteo aus Deutschland, den Cloud-Speicher-Anbietern Proton Drive und pCloud aus der Schweiz und Internxt aus Italien gibt es überzeugende Alternativen. Für Unternehmen und Entwickler existieren Pendants zu AWS, Azure, Okta, Jira, Vercel & Co. Diese sind häufig qualitativ hochwertig, aber leider nicht immer so preisgünstig, skalierbar oder nutzerfreundlich wie die Originale. Vor allem aber sind sie weniger bekannt.
Etwas mau sieht es bei Alternativen zu den gängigen Social-Media-Plattformen aus. Hier existieren zu den etablierten Netzwerken fast ausschließlich Gegenstücke im sogenannten Fediverse – einem dezentralen Netzwerk aus freien Nachbauten oder Neuinterpretationen von Twitter, Instagram, Facebook und Reddit. Dazu zählen vor allem Mastodon, Pixelfed und Lemmy. Diese haben in den vergangenen Jahren durchaus an Relevanz und Bedienkomfort gewonnen, sind aber für viele Nutzer weiterhin zu umständlich oder unattraktiv, weil Masse und Vernetzungsgrad fehlen. Ein wenig besser, aber immer noch ausbaufähig, ist die Lage bei Messengern wie WhatsApp. Immerhin existiert mit Threema eine sichere, in einer breiten Nische etablierte und europäische Alternative aus der Schweiz. Und Signal – auch wenn es in den USA entwickelt wird – ist ein gemeinnütziges, quelloffenes Projekt und daher ebenfalls eine vertrauenswürdige Option.
Und was ist mit Betriebssystemen? Da ist das Angebot gleichzeitig rar und vielfältig. Zwar existieren zahlreiche Projekte, die Alternativen zu Windows und macOS entwickeln wollen – doch viele davon sind für den Alltag normaler Nutzer kaum praktikabel. Letztlich bleiben daher nur verschiedene Linux-Varianten, die heute aber deutlich zugänglicher sind als noch vor zehn Jahren. Besonders ZorinOS aus Irland will mit einer schlanken, Windows-ähnlichen Oberfläche den Ein- und Umstieg in die Linux-Welt erleichtern. Aber auch Distributionen wie openSUSE aus Nürnberg, das von einem deutschen Verein getragene Debian, das niederländische NixOS oder das britische Ubuntu – eine der weltweit populärsten Linux-Distributionen – bieten mit etwas Einarbeitung solide Alltagslösungen.
Wer sich als iPhone-Nutzer von Apple lösen will, der hat praktisch kaum eine Möglichkeit. Doch Android-Nutzer hätten die Option, etwa auf das finnische Sailfish OS – entwickelt von ehemaligen Nokia-Mitarbeitern – oder auf das französische /e/OS umzusteigen, das ein komplett von Google befreites Android ist. Ebenso existiert mit PostmarketOS ein freies Smartphone-Betriebssystem, das auf Alpine Linux basiert und von einem internationalen Entwicklerteam vorangetrieben wird. Jedoch sind all diese Lösungen mit einem Einschnitt hinsichtlich Komfort verbunden, da eben der klassische Google/PlayStore fehlt.
Unabhängigkeit auch bei der Hardware
Während sich im digitalen Bereich eine Abkehr von den USA durchaus realisieren lässt, wird es bei der Hardware deutlich komplizierter. Zwar gibt es europäische Smartphone-Hersteller wie Fairphone aus den Niederlanden, Volla aus Deutschland oder Nothing aus Großbritannien, ebenso wie Laptop- und PC-Produzenten in Europa. Doch die verbauten Komponenten stammen meist nicht aus der EU. Chips für Mittel- und Oberklasse-Smartphones werden vor allem von US-Firmen wie Qualcomm entwickelt, bei günstigeren Geräten dominiert der taiwanesische Hersteller MediaTek. Bei PC- und Laptop-Prozessoren sind Intel und AMD führend, bei Grafikkarten Nvidia und erneut AMD. Da gibt es derzeit kaum Alternativen, auch wenn beispielsweise China bei Prozessor- und GPU-Entwicklung große Sprünge macht.
Zwar hat ARM, einer der wichtigsten Entwickler alternativer Mikroprozessorarchitekturen, seinen Sitz in Großbritannien – doch das Unternehmen lizenziert seine Technik primär an Branchengrößen wie Apple, Qualcomm, Samsung oder Huawei und produziert nicht selbst. Infineon wiederum fertigt in der EU durchaus fortschrittliche Halbleiter, diese kommen jedoch primär in Haushaltsgeräten, Medizintechnik, Industrieanlagen oder IoT-Anwendungen zum Einsatz. Eines der wenigen echten Computererfolge aus der EU der letzten Jahre ist dadurch der Einplatinenrechner Raspberry Pi. Der ist zwar vielfältig einsetzbar, durchaus ein ernstzunehmender Computer, wie Bastler und Profis bezeugen können, aber eben keine Alternative zu einem rechenstarken Gaming- oder Arbeitsrechner.
Immerhin scheint auch in diesem Bereich ein Umdenken einzusetzen: Die EU hat die Notwendigkeit erkannt, bei Schlüsseltechnologien unabhängiger zu werden – etwa durch Förderung leistungsfähiger Prozessoren auf Basis der offenen RISC-V-Architektur, die auch ARM nutzt. Auch erhalten Start-ups im Halbleitersektor zunehmend Unterstützung. Davon gibt es immer mehr. Etwa das 2023 gegründete Quintauris aus München, Semidynamics Technology aus Spanien oder das französische SiPearl, das derzeit mit eigenen Chips den Supercomputer Rhea-2 baut, der noch dieses Jahr in Betrieb gehen soll. Oder auch Akhetonics, Axelera und Synthara und weitere.
Mehr Unabhängigkeit wagen
Die technologische Abhängigkeit der Europäischen Union von den USA ist real – und durchaus besorgniserregend. In manchen Bereichen ist sie extrem ausgeprägt, in anderen bereits etwas schwächer. Stellenweise können sich Unternehmen und Privatpersonen heute schon von US-Diensten emanzipieren – aber das geht nicht ohne Hürden, Anstrengung und Kompromisse. Das zeigt klar, wie sehr EU-Staaten in den vergangenen Jahrzehnten darauf vertraut haben, dass Innovation und digitale Infrastruktur aus Übersee kommen würden – anstatt sie selbst aktiv zu gestalten.
Eine stärkere Unabhängigkeit ist jedoch unabdingbar. Um die EU souveräner, digital selbstständiger, sicherer und nachhaltiger zu machen. Die Mittel dazu sind vorhanden – ebenso wie das kreative und technologische Potenzial. Was es nun braucht, ist eine fokussierte Strategie, gezielte Förderung, eine Intensivierung der innereuropäischen Kooperation – und eine breite Sensibilisierung für die Risiken der Abhängigkeit wie auch für die Chancen einer digitalen Selbstbestimmung. Denn bereits jetzt können Entscheidungen getroffen werden, von denen Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen in der EU langfristig profitieren. Der Weg zu einer digital souveränen EU ist kein kurzer – aber er ist machbar.

Michael Förtsch
Leitender Redakteur
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